Kann man sich fragen, ob Österreichs Wirtschaftsforschende keine anderen Sorgen haben als Christian Felber – in einer Welt, die dringend realitätstaugliche ökonomische Antworten auf Fragen wie Klimawandel, Verteilungsgerechtigkeit und Finanzstabilität braucht? Ja. Aber darum geht es nicht. Kann man finden, dass die Idee der Gemeinwohlökonomie – die ja gewiss nicht von Felber stammt – mit jungen Menschen diskutiert werden sollte? Ja. Verschiedene wirtschaftliche Ideen kennenzulernen sollte Teil von Bildung und Ausbildung sein. Aber auch darum geht es hier nicht.

Es geht darum, dass Meinung und Wissen verwechselt werden. Das ist zwar eine weitverbreitete Unsitte – aber dass diese den Weg in ein Schulbuch findet, ist mehr als verstörend. Denn so wenig Felber die Gemeinwohlökonomie erfunden hat, so wenig hat er eine Wirtschaftstheorie. Das ist der Kern der Sache: Engagierter Aktivismus wird mit theoretischer Leistung verwechselt. Felber hat nichts Theoretisches vorzuweisen. Schon gar nicht etwas, das auch nur in die Nähe von dem kommen würde, was Keynes, Hayek und Friedman gedanklich zustande gebracht haben. Mit Marx ist Felber ja auch schon vor dieser Schulbuch-Posse in Verbindung gebracht worden – von Leuten mit einem Interesse daran, Felber als "marxistisch" zu brandmarken.

Bleiben wir bei Marx. Dieser – wie man heute sagen würde – interdisziplinäre Denker war ja nicht deshalb ein großer Geist, weil er sich dazu geäußert hat, wie eine zukünftige Gesellschaft aussehen soll. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil gibt es dazu recht wenig von ihm zu lesen. Nein: Die gründliche Beschreibung geschichtlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Dinge macht Marx zu dem, was er ist. Der hier völlig unverdächtige Joseph Schumpeter hat eben deshalb allerhöchstes Lob über ihn ausgeschüttet. Schumpeter hätte nie politischen Aktivismus mit theoretischer Brillanz verwechselt.

Genau das tut nicht nur das inkriminierte Schulbuch, sondern auch die Äußerungen in den sozialen Netzwerken. Wenn jungen Menschen beigebracht wird, dass zwischen Wissen und Meinen kein Unterschied besteht, müssen wir uns nicht wundern, dass sie später Meinungen haben, die nicht auf Wissen basieren, sondern auf dem wohligen Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Die erschütternde Flachheit der Diskussion im Netz legt über diese Dynamik beredtes Zeugnis ab. Dass der Protest der Wirtschaftsforschenden gegen den Schulbuch-Eintrag als Ausdruck "neoliberaler" Gesinnung und theoretischer Verzweiflung verhöhnt wird, macht das erschütternde Niveau der Debatte deutlich.

Doch dann, mit Karl Kraus gesprochen: Trifft, was trifft, nicht auch zu? Hat nicht die Mainstream-Ökonomie große Probleme mit den Herausforderungen unserer Zeit? Ja, hat sie. Alternativen zum Mainstream sind in unserer Welt dringend nötig. Diese werden etwa von ökologischen Ökonominnen und feministischen Ökonomen gesucht, und nicht nur Studierende fordern mehr Pluralismus in der Ausbildung. Dabei geht es darum, die Welt mithilfe von Theorie besser zu verstehen. Zu einer leistungsfähigen Theorie trägt Felber freilich nichts bei. Er streitet für die Idee einer Gemeinwohlökonomie und leistet einen Beitrag zu einer wichtigen Debatte. Nicht mehr, nicht weniger.

Ich fürchte, dass die Gemeinwohlökonomie in der Felber-Vision, wenn man sie zu Ende denkt und durchführt, weitaus mehr Ähnlichkeit mit Nordkorea hätte als mit einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft, in der freie Menschen für ihr Leben und die Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Bringen wir jungen Menschen nicht bei, dass anspruchsvolle Theoriearbeit durch radikale Veränderungsfantasien ersetzt werden kann. Zeigen wir ihnen, dass zwischen Meinen und Wissen ein wichtiger Unterschied besteht und dass es besser ist, Dinge kompetent und kritisch zu hinterfragen – natürlich auch den Inhalt von Schulbüchern. (Fred Luks, 11.4.2016)