Einer Befragung zufolge sprechen sich 39 Prozent der österreichischen Bevölkerung ohne Einschränkungen für eine Immunisierung durch Impfungen aus. Die resltichen 61 Prozent sind Impfskeptiker oder Impfgegner.

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Bevölkerungsanteile, die gegen ausgewählte Krankheiten geimpft sind.

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Seitenstetten – Experten sind sich einig: Wenn es um die Verhütung von Krankheiten geht, sind Impfungen eines der wirksamsten Mitteln. In Österreich gibt es auf diesem Gebiet allerdings teilweise erhebliche Lücken, hieß es am Donnerstag beim Gesundheitsforum Seitenstetten "Praevenire".

"Wir hatten in Österreich im vergangenen Jahr 309 Masernfälle. Das ist die dritthöchste Fallzahl in Europa. Österreich hat die zweithöchste Inzidenz (Häufigkeit pro 100.000 Einwohner und Jahr; Anm.) der Masern in Europa", sagte Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien im Rahmen der Veranstaltung.

An sich sollten mehr als 95 Prozent der Menschen gegen Masernviren geschützt sein, um die Krankheit zurückzudrängen. Doch das ist nicht der Fall. "Wir haben hier Lücken bei den Kindern. Das betrifft aber auch die jungen Erwachsenen. Wir haben ein ähnliches Problem bei Keuchhusten", sagte die Expertin.

Finnen impfen mehr als Österreicher

Laut einer Umfrage bezeichnen sich vier Prozent der Österreicher als "Impfgegner" und 57 Prozent als "Impfskeptiker". 39 Prozent der Bevölkerung sind ohne Einschränkungen für Immunisierungen, ergänzte Ursula Wiedermann-Schmidt.

In Finnland mit 5,4 Millionen Einwohnern dürfte dem Immunologe Seppo Meri von der Universität Helsinki zufolge das Impfwesen zum Teil besser als in Österreich funktionieren. "Wir haben bei Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten im Jahr 2012 eine Durchimpfungsrate von 97,2 Prozent gehabt, bei Masern, Mumps und Röteln lag der Wert bei 95,4 Prozent", so der Wissenschafter.

Der finnische Staat wendet derzeit für sein Impfprogramm rund 22 Millionen Euro auf. "Man kann sagen, dass ein Euro für Impfungen rund zwei Euro an Ersparnissen bringt", sagte Meri. Finnland habe auch deutlich weniger Masernerkrankungen als Österreich.

Modellhafte Impfgemeinde

Im Rahmen des Gesundheitsforums Seitenstetten soll ein Konzept entworfen werden, wie man in der Modellgemeinde Pöggstall in Niederösterreich innerhalb eines Jahres die Impfraten überprüfbar erhöhen könnte. Die Gemeinde hat 2.400 Einwohner und weist rund 900 Haushalte auf. Zwei niedergelassene Allgemeinmediziner, drei Fachärzte und eine Apotheke bilden den Kern der medizinischen Versorgung. Das Projekt wird unter dem Titel "Pöggstall sucht den Impfkalender" laufen.

Steigende "Krankheitslast"

Ein weiteres Thema des Gesundheitsforums "Praevenire" war die steigende "Krankheitslast" in vielen Staaten – trotz Fortschritte auf zahlreichen Gebieten der Medizin und des Gesundheitswesens . Schuld daran seien die nicht übertragbaren Erkrankungen. Die Daten dazu stammen von Cristian Baeza, der lange Jahre an der Spitze der Sozialversicherung in seinem Heimatland Chile stand und jetzt eine Professur für "Global Health" an der University of Washington (Seattle) innehat. "In Chile ist es uns gelungen, zwischen 1990 und dem Jahr 2000 die Zahl der durch vorzeitigen Tod und Krankheiten verlorenen gesunden Lebensjahre um 16 Prozent zu senken", so der Experte.

Diese Entwicklung wurde vor allem durch den Rückgang bei den Infektionskrankheiten erzielt. "Gleichzeitig konnten wir den Zugang zum Gesundheitswesen für die Bevölkerung dramatisch verbessern. In der letzten Dekade stieg die Krankheitslast aber wieder um vier Prozent an", sagte der Experte für Öffentliche Gesundheit. Daran beteiligt seien vor allem die demografische Entwicklung und das Wachstum der Bevölkerung. Auch in Österreich sei eine ähnliche Entwicklung mit einer Reduktion von durch Krankheit verlorener gesunder Lebenszeit und vorzeitiger Todesfälle zwischen 1990 und 2013 um rund 14 Prozent zu beobachten gewesen. In jüngster Vergangenheit hätte sich die Situation wieder um zwei Prozent verschlechtert.

Die üblichen Verdächtigen

Der Grund liegt in der immer größeren Verbreitung von nicht ansteckenden Erkrankungen wie etwa Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes. "Sie beruhen zum größten Teil auf Faktoren, die nicht direkt medizinisch beeinflussbar sind", sagte Baeza. Lebensstilfaktoren – zum Beispiel mangelnde Bewegung, Rauchen etc. – ließen sich eben nicht so einfach beeinflussen, wie ein klar definiertes Krankheitssymptom durch ein einzelnes Medikament. "Wir müssen also von der Gesundheitsversorgung zur Gesundheit kommen", betonte Baeza.

Obwohl Chile und Österreich extrem unterschiedliche Länder sind, liegen in der Bevölkerung gerade für das Entstehen chronischer Erkrankungen de facto die gleichen Risikofaktoren vor. "Die wichtigsten 'Treiber' sind in dieser Reihenfolge der Bluthochdruck, das Übergewicht und das Rauchen", sagte der Experte. Sogar bei den zehn wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere chronische Leiden gebe es kaum Unterschiede zwischen dem südamerikanischen Staat und Österreich. (APA, 14.4.2016)