Wie eine Szene aus "Familie Feuerstein": ein wenige Wochen alter Rapetosaurus im Vergleich mit einem Menschen.

Illustration: R. Martin / K. Curry Rogers

Und hier der Vergleich mit einem erwachsenen Exemplar.

Illustration: R. Martin / K. Curry Rogers

St. Paul / Wien – Ausgewachsen wäre er 15 Meter lang geworden – als Baby reichte er einem Menschen nur bis zum Knie. Das Fossil eines jungen Rapetosaurus krausei, das in der Maevarano-Formation auf Madagaskar gefunden wurde, zeigt, auf welch ungewöhnliche Weise die Dinosaurier aus der Gruppe der Sauropoden heranwuchsen.

Rapetosaurus schlüpfte aus einem Ei, das nicht größer war als ein Fußball.
Illustration: T. Keillor / Ella Glass (UK) / A. Morrow

Diese langhalsigen Pflanzenfresser, unter denen Rapetosaurus nur im Mittelfeld lag, stellten mit Maximalmaßen von über 30 Metern Länge und 80 Tonnen Masse die größten Landtiere aller Zeiten. Trotzdem schlüpften sie aus Eiern, die kaum größer waren als die von einem der größten bekannten Vögel: dem "nur" 400 Kilogramm schweren Elefantenvogel, der ebenfalls auf Madagaskar lebte und dort erst in historischer Zeit vom Menschen ausgerottet wurde. Dass fast 200-mal so schwere Sauropoden keine größeren Eier legten als der Vogel, liegt schlicht an der Physik: Um stabil zu bleiben, müsste ein noch größeres Ei eine so dicke Schale haben, dass der Embryo darin ersticken würde.

Rapides Wachstum

Der kleine Rapetosaurus dürfte bei der Geburt 2,5 bis 4,3 Kilogramm gewogen haben, entsprach also den Dimensionen eines menschlichen Babys. Das sollte sich aber sehr schnell ändern: Nur zwei Monate später brachte er schon 40 Kilo auf die Waage, rechnen US-Forscher in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Science" vor. In absoluten Zahlen gemessen, legte kein anderes Landwirbeltier, Wale miteingerechnet, zwischen Geburt und Erwachsenenalter derart an Größe zu wie die Sauropoden.

Diese Knochen sind von dem jungen Rapetosaurus erhalten geblieben.
Foto: K. Curry Rogers, M. Whitney, M. D'Emic, and B. Bagley

Sie wuchsen aber nicht nur im Eilzugtempo, sondern auch auf eine andere Weise als viele heutige Tierarten, berichtet das Team um Kristina Curry Rodgers vom Macalester College. Die Forscher untersuchten mittels Computertomografie das Wachstumsmuster der Knochenzellen in den Rapetosaurusfossilien. Dabei stellten sie fest, dass der Kleine keinerlei Kindchenschema aufwies. Er entwickelte sich wie eine maßstabsgetreue Miniaturversion eines erwachsenen Rapetosaurus.

Kindchenschema im weiteren Sinne bezieht sich nicht nur auf eine als "niedlich" empfundene Gesichtspartie. Auch die Gliedmaßen und andere Teile der Anatomie haben bei den meisten Vögeln, Säugetieren und selbst nichtsauropoden Dinosauriern andere Proportionen als bei erwachsenen Exemplaren. Nicht so jedoch beim kleinen Rapetosaurus von Madagaskar.

Ein Rapetosaurusbaby in Relation zu einigen gleichaltrigen Säugetieren. Als Erwachsene hätten sie neben ihm wie Gnome gewirkt – selbst der Elefant.
Illustration: D. Vital

Curry Rogers und ihre Kollegen interpretieren dies so, dass er als Nestflüchter von Anfang an auf sich gestellt war. Kindchenschema geht mit elterlicher Fürsorge einher, für die es bei Sauropoden – anders als bei anderen Dinosauriergruppen – noch keine eindeutigen Belege gibt. Die Miniversion einer erwachsenen Anatomie dürfte dem Rapetosaurus in seinem erzwungenermaßen unabhängigen Leben geholfen haben.

Hier ist nur für einen Platz

2012 wies eine Schweizer Studie im Magazin "Biology Letters" darauf hin, dass ein solcher Wachstumszyklus zu einem entscheidenden ökologischen Unterschied zwischen der Dinosaurier-Ära und der Gegenwart geführt haben dürfte. Die großen Pflanzenfresser von heute sind Säugetiere. Solange sie sich von der Muttermilch ernähren, haben sie keine direkte Auswirkung auf ihre Umwelt. Und nach dem Abstillen sind sie bereits groß genug, dass sie dieselbe ökologische Nische besetzen wir ihre Eltern.

Ganz anders bei den Riesendinos: Sauropodenkinder konnten noch nicht die gleichen Nahrungsquellen erschließen wie die gigantischen Erwachsenen. Sie fraßen sich also im Lauf ihres Lebens von einer Nische in die nächste hoch. Eine Umgebung, die heute mehreren Säugetierarten verschiedener Größe Platz bietet, hätte damals eine einzige Dino-Art mit ihren extrem unterschiedlichen Lebensstadien abgeweidet. Mit der Folge, dass die Artenvielfalt der Dinosaurier vergleichsweise klein blieb: Ein gewichtiger Nachteil im Fall globaler Umwälzungen wie der vor 66 Millionen Jahren – nicht zuletzt deshalb, weil es dadurch just an kleineren Spezies mangelte, die bei Massenaussterbeereignissen in der Regel bessere Überlebenschancen haben als großgewachsene.

Skelettwuchs mit Zoomfaktor: Der Oberschenkelknochen des Rapetosaurus wuchs isometrisch an und hätte zuletzt Menschengröße erreicht.
Foto: K. Curry Rogers, M. Whitney, M. D'Emic, and B. Bagley

Für den verhinderten Riesen von Madagaskar spielte dies freilich keine Rolle, er fiel schon einer früheren Katastrophe zum Opfer. Aus dem Fossilienbefund weiß man, dass seine Heimat in der späten Kreidezeit immer wieder von verheerenden Dürren heimgesucht wurde. In einer solchen Zeit der Not ist der Rapetosaurus – das zeigt die gestörte letzte Wachstumsphase seiner Knochenzellen – irgendwann im zarten Alter von 39 bis 77 Tagen verhungert. (Jürgen Doppler, 22.4.2016)