Ich glaube nicht an Lieblingsspeisen, sehr wohl aber an Lebensabschnittsgerichte. Derzeit gehe ich dank eines Glases hervorragender Salzsardinen aus Barcelona durch eine Pasta-Puttanesca-Phase. Es gibt wenige Gerichte, die so einfach und gleichzeitig so köstlich sind wie Pasta Puttanesca. Das Gericht soll aus Neapel stammen und je nach Überlieferung das eine oder andere mit den dortigen Prostituierten zu tun haben.

Es dauert stolze 15 Minuten vom Anfang bis zum köstlichen Ende; es setzt ausschließlich auf haltbare Zutaten und macht aus ihnen etwas derart Köstliches, dass man am Sinn eines Kühlschranks zu zweifeln beginnt. Es verbindet Schärfe, Süße, Säure, Umami und starke Fischigkeit, wie das sonst eher nur asiatische Pastagerichte zu bieten haben. Und die Sardine ist seine wichtigste Zutat.

Foto: Tobias Müller

Als Esser ist es schwer, sich ein besseres Tier vorzustellen als die kleinen Fische. Sie sind im Übermaß vorhanden, vermehren sich schnell und sind leicht und nachhaltig zu fangen. Sie sind verhältnismäßig günstig und gleichzeitig umwerfend köstlich – ein herrlich charaktervoller Geschmack, der im Meer seinesgleichen sucht und Austern und Seeigeln Konkurrenz macht, gepaart mit Biss und Konsistenz und Rückgrat. Und während sie frisch bereits köstlich sind, werden sie eingelegt noch einmal besser.

Gesalzen und/oder über mehrere Monate fermentiert wird die Sardine zum Prosciutto des Ozeans: Genauso wie im Schweinebein bewirkt das Reifen im Fisch, dass Enzyme und Mikroorganismen Unmengen an neuen, köstlichen Geschmäckern kreieren – Harold McGee schwärmt von "fruchtigen, fetten, gebratenen, gurkenartigen, blumigen, süßen, buttrigen, fleischigen, popcornartigen, pelzigen und malzigen Noten". So viel fällt ihm zu wenigen anderen Produkten ein. Entsprechend brilliert die Sardine in Küchen rund um die Welt als universaler Köstlichmacher: In Südostasien wird sie zur Fischsauce vergoren, in Japan als Niboshi getrocknet, in Spanien am Stück in Salz eingelegt.

Die richtig Guten

Pasta Puttanesca ist eine der schönsten und zugleich einfachsten Arten, diesen Geschmackswundern in Europa zu huldigen. Neben Sardinen dürfen traditionell noch Salzkapern, Chili, Knoblauch und Tomatensauce mitspielen, die Zugabe von Oliven und geriebenem Käse ist üblich, aber umstritten. Für den endgültigen, krautig-frischen Kick empfiehlt sich am Ende noch etwas frischer Petersil.

Natürlich können Sie jegliche Form von Salzsardine beziehungsweise Sardellen benutzen – denken Sie aber im Zweifel stets an Marcella Hazans mahnende Worte: "Die richtig guten sind nie billig, und die billigen sind meistens scheußlich." Wenn es Ihnen möglich ist, empfehle ich die edle spanische Salzvariante.

Foto: Tobias Müller

Die wird samt Verdauungstrakt eingelegt, was für den extraenzymatischen Kick sorgt, und darf monatelang reifen. Außerdem bleiben einem nach dem Filetieren die Wirbelsäulen übrig, die in Katalunia mehliert und frittiert werden – für den aufregendsten kleinen Snack seit Erfindung des Hühnerhaut-Chips .

Mind of a Chef

Pasta Puttanesca für zwei Esser

Filetieren Sie Ihre Sardinen und legen Sie sie für etwa eine halbe Stunde in Wasser ein, falls Sie Zeit haben.

Foto: Tobias Müller

Wenn nicht, ist das auch keine Katastrophe. Bringen Sie gerade genug Wasser zum Kochen, dass Ihre Nudeln darin später gerade einmal bedeckt sind.

Das macht das Kochwasser stärkehaltiger und daher besser zum Binden für die Sauce. Der ideale Partner für die Sauce sind dicke Spaghetti oder Linguini. Wählen Sie auf jeden Fall eine Pasta-Art, die mindestens zehn Minuten zum Garen braucht, dann geht sich das Saucekochen währenddessen schön aus.

Foto: Tobias Müller

Erhitzen Sie ordentlich Olivenöl mittelstark in einer Pfanne. Hacken Sie frische oder getrocknete Chilis (oder was auch immer Sie haben), vier Sardinenfilets und ein, zwei Knoblauchzehen in kleine Stücke und braten Sie alles fünf Minuten sanft an, bis sich die Sardinen fast aufgelöst haben.

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Gießen Sie das alles mit etwa 300 bis 400 ml Tomatensauce auf und werfen Sie eine kleine Handvoll gewaschene Salzkapern dazu.

Foto: Tobias Müller

Weil ich es gern besonders fischig mag und die Abwechslung schätze, hacke ich noch ein wenig getrocknete japanische Niboshi und werfe sie ebenfalls in die Pfanne. Das ist sehr gut, muss aber nicht sein. Etwas Dosensardinen haben einen eigenen, auch nicht zu verachtenden Effekt.

Lassen Sie die Sauce einkochen, bis die Pasta gar ist und sie idealerweise etwas eingedickt ist. Kosten Sie und helfen Sie je nach Geschmack und Tomatensauce mit Zucker und Essig nach. Bevor Sie die Pasta abgießen, schöpfen Sie eine Kelle Kochwasser ab. Werfen Sie die abgetropfte Pasta in die Sauce, schwenken Sie sie über hoher Hitze durch und gießen Sie Kochwasser zu, bis alles eine schöne Konsistenz hat und alle Nudeln schön von Sauce überzogen sind.

Wer will, rührt nun etwas geriebenen scharfen Käse ein. Auf Teller geben, mit frisch gehacktem Petersil bestreuen. Kochen Sie es immer wieder, bis zum traurigen Tag, an denen Ihnen die köstlichen Sardinen ausgehen. (Tobias Müller, 1.5.2016)

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