Caravaggio hat den Mythos des jungen Flussgotts gemalt: Nur sein eigenes Spiegelbild konnte ihm Freude bereiten, im 21. Jahrhundert würde man das als "narzisstische Störung" bezeichnen.

Foto: Galleria Nazionale d'Arte Antica, Rom

Der amerikanische Psychologe steht dem Phänomen Narzissmus positiv gegenüber und zeigt Spielarten auf. Unangenehm sind lediglich die extremen Formen, besonders dann, wenn sie sich als Selbstlosigkeit maskieren.

Foto: Dumont

Auf den Blickwinkel kommt es an: Das ist eine von vielen Wahrheiten, derer sich Menschen im Laufe ihres Lebens bewusst werden. Was ein Narzisst ist, wissen die meisten seit ihrer Pubertät. Zum einen deshalb, weil sie entweder die antike Geschichte kennen oder Hermann Hesses "Narziss und Goldmund" gelesen haben. Andererseits aber auch, weil die Begeisterung über sich selbst eine Eigenschaft ist, die im Rahmen exzessiver Selbstdarstellung in digitalen Medien (Stichwort Selfie) in den letzten Jahren Mainstream geworden ist.

Viel Verwirrung, sagt der amerikanische Psychologe Craig Malkin, dessen Buch "Der Narzissten-Test" gerade bei Dumont erschienen ist. Der US-Psychologe weiß, wovon er spricht: Aufgewachsen mit einer exzentrischen Mutter, die er erst nach vielen Jahren eigener Therapie als eine Frau mit einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörungen erkannt hat, weiß er um die Mechanismen, die Narzissten antreiben.

Blind selbstverliebt

So viel vorneweg: Craig Malkin beginnt mit seiner Narzissmusbetrachtung bei den antiken Mythen, erzählt die Geschichte des selbstverliebten Flussgottes als Phänomen, das andere so beeindruckt, dass sie verstummen – so wie die Nymphe Echo zum Beispiel. Das zeigt: Narzissmus ist so alt wie die Menschheit selbst.

Doch Malkin spannt recht zügig den Bogen in die Gegenwart, setzt sich als Psychologe sozusagen die Narzissmus-Brille auf und betrachtet menschliche Charakterzüge in dieser Perspektive.

Erst einmal, so Malkin, ist Narzissmus ein wichtiger Antrieb für die Entwicklung. Narzissmus als Wunsch, für die Eltern etwas Besonderes sein zu wollen, beginnt in der Kindheit. Narzissmus ist der Motor für so ziemlich jeden Fortschritt, ist Malkin überzeugt, und jeder Mensch hat mehr oder weniger starke narzisstische Anteile. Kernstück des Buches ist ein Test, in dem sich jeder Leser und jede Leserin ein Bild von sich selbst verschaffen kann. "Erkenne dich selbst (und andere)" scheint für den Autor das Leitmotiv gewesen zu sein.

Treibende Kraft

Egal ob Mut, Überwindung von Frustration, Kreativität, Frustration: Narzissmus spielt in vielen Bereichen mit – problematisch wird es dann, wenn die sozialen Kompetenzen leiden und das Miteinanderleben durch die eigene Eingenommenheit belastet wird. Wer denkt, dass es sich dabei immer um großspurige Typen handeln würde, irrt – als besonders "gefährliche Narzissten" empfindet Malkin jene, die ihr Licht ständig unter den Scheffel stellen und sich für ihre Aufgaben opfern: Sie als Narzissten zu erkennen sei besonders schwer, aber besonders wichtig, um mit ihnen zurechtzukommen.

Durch die vielen Fallbeispiele, die Malkin in seinem Buch zitiert, kristallisiert sich Seite um Seite ein recht genaues Bild heraus. Er spielt Lebenssituationen durch: Narzissten als Liebhaber, als Freunde, als Chefs oder in der Eltern-Kind-Beziehungen, wobei er betont, dass der richtige Umgang stets entscheidend ist. In einer recht plakativen amerikanischen Art gibt er seinen Lesern sogar so etwas wie ein Drehbuch für die richtigen Sätze in die Hand.

Balance finden

Der grundlegende Tenor: Narzissmus ist eine Art von mehr oder weniger ausgeprägtem Minderwertigkeitsgefühl, das Betroffene ständig zu kompensieren versuchen. Malkin dekliniert auch die Konsequenzen, die narzisstisches Verhalten für Nichtnarzissten bedeutet –neben allen negativen Auswirkungen nämlich vor allem Spaß, Unerwartetes und Aufregung.

Am Ende geht es Craig Malkin darum, seinen Lesern ein Bild von Balanciertheit zu vermitteln, denn ausgeprägte Narzissten sind auf lange Sicht unglückliche Menschen, die andere mit in einen Strudel ziehen. Ziel ist also eine gute Mischung aus Selbstwert und Empathie oder zumindest die Ahnung davon, was das genau bedeuten könnte. (Karin Pollack, 5.5.2016)