Noch fahren hier die Sattelschlepper ein und aus, doch in ein paar Jahren wird sich der alte Nordwestbahnhof in Wien-Brigittenau ganz anders präsentieren. Bis 2025 – so die ehrgeizigen Pläne – soll hier auf den 44 Hektar, die derzeit noch von der ÖBB als Frachtenbahnhof genutzt werden, ein völlig neuer Stadtteil entstehen.

Heute herrscht hier noch reger Lkw-Verkehr, künftig soll das neue Stadtviertel autofrei sein.
Foto: Putschögl

Hannes Derfler hat seit 2008 den Masterplan dafür in seinem Büro hängen. Der Bezirksvorsteher des 20. Bezirks will sich in die Bebauung stark einmischen, damit Fehler, die in anderen Stadtentwicklungsgebieten passiert sind, hier nicht geschehen.

Die Erdgeschoßzone ist so ein wichtiges Thema. Im ersten Abschnitt des Sonnwendviertels hat man sich nicht ausreichend darum gekümmert. Im Gespräch mit dem Standard nennt Derfler das Neubauviertel hinter dem Hauptbahnhof gleich mehrmals als Negativbeispiel. "Die Gebäude dort unterscheiden sich nur durch unterschiedlich verglaste Balkone – das ist doch keine Architektur."

Zehn Hektar "Grüne Mitte"

Für "seinen" Nordwestbahnhof wurde bereits von 2005 bis 2008 im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs ein städtebauliches Leitbild erstellt. Die Bevölkerung wurde eingebunden. Der Vorschlag des Züricher Architekturbüros Ernst Niklaus Fausch Architekten (enf) ging als Siegerprojekt daraus hervor. Herzstück der Planung ist die sogenannte Freie Mitte: eine zehn Hektar große Grünfläche, die teils öffentlich, teils halböffentlich sein wird.

Einst befand sich hier einer der sechs großen Wiener Kopfbahnhöfe, aktuell wird das riesige Areal, das den 20. Wiener Gemeindebezirk faktisch in zwei Hälften teilt, nur noch als Frachtenbahnhof genutzt. Oben der "Zwischenstand" des Leitbilds für die Bebauung; das endgültige Leitbild soll im Herbst beschlossen werden. Ändern werden sich nur noch Details; die "Grüne Mitte" ist fixer Bestandteil des Konzepts.
Bild: MA 21

Weil man ohnehin noch Zeit hatte – die ÖBB und mit ihr die vielen Lkws werden erst Ende nächsten Jahres das Areal verlassen und auf den neuen Terminal in Inzersdorf übersiedeln -, wurde das Leitbild jüngst nochmals überarbeitet – "aufgrund der aktuellen Stadtentwicklung vor allem im Hinblick auf die Aspekte der Bebauung, Verkehr und Infrastruktur", so Derfler. Und das war auch gut so: Die Nutzung ist jetzt kleinteiliger und vielschichtiger – zumindest auf dem Papier.

Dass das alles aber auch tatsächlich so oder zumindest so ähnlich gebaut wird, dafür will sich Derfler vehement einsetzen. Mit Bauträgern spricht er schon seit längerem über das Areal, macht seine Vorstellungen klar und bespricht Themen wie Tiefgaragen, Kunst im öffentlichen Raum oder eben die Erdgeschoßzone. Diesbezüglich wünscht er sich von den Bauträgern mehr Kreativität. "Die sagen alle: Erdgeschoßzonen brauchen wir gar nicht machen, denn das ist eine nicht verwertbare Zone." Man müsse sie den Bauträgern also "ganz anders verkaufen", meint der Bezirksvorsteher. Erweiterungsflächen für Kindergärten oder Schulen, Ordinationen, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, klarerweise auch Gewerbe oder Büros stellt er sich hier vor. Die Zonen sind schon klar definiert, meistens orientieren sie sich zum zentralen Park hin.

Bis zu 15.000 Menschen

Insgesamt sieht das neue, überarbeitete Leitbild rund 800.000 m² an Bruttogeschoßfläche vor, davon 570.000 für Wohnen, 130.000 für Büro, knapp 60.000 für Gewerbe, 45.000 für soziale Infrastruktur. Wohnungen für bis zu 15.000 Menschen werden sich am alten Frachtenbahnhof dereinst befinden; ganz schön viel für den 20. Bezirk, aber andererseits nicht einmal der derzeitige Jahresbedarf an Neubauwohnungen in Wien.

Zwei Bestandsgebäude des alten Frachtenbahnhofs werden in das neue Stadtviertel einbezogen werden, der Rest wird geschleift.
Foto: Putschögl

Wegen des starken Zuzugs wurde der Anteil der Wohnungen nun gegenüber dem alten Leitbild sogar noch erhöht, er liegt jetzt bei rund drei Viertel der Bruttogeschoßflächen.

Drei Baufelder sind für Bildungseinrichtungen reserviert – ebenfalls mehr als im alten Leitbild. Büros sind nur sehr wenige vorgesehen: als Mononutzung nur auf einem Baufeld im Norden, als Mischnutzung auch auf manch anderem Baufeld.

Hochhäuser und "optische Brüche"

Punktuell soll es Hochhäuser geben, zwei am nördlichen Spitz, eines ganz im Süden, eines in der Mitte. Zur "Grünen Mitte" hin können auch die anderen Baukörper höher werden. Das soll dann "optische Brüche" ergeben.

"Überzeugt hat das Leitbild ursprünglich deshalb, weil die Sachen, die im Bezirk noch fehlten, drin waren – nämlich unter anderem eine ordentliche Grünfläche", sagt Derfler. Diese soll nur zu Fuß, per Rad oder Straßenbahn überquert werden können (im Gespräch ist die Durchführung der Linie 33), der Autoverkehr soll draußen bleiben. "Es soll an der Oberfläche keine Durchfahrtsmöglichkeit geben, und auch nicht durch die Tiefgaragen." Die Pläne für Letztere werden laut Derfler übrigens noch "einiges an Gehirnschmalz" notwendig machen: Ob sie unter einzelnen Baufeldern kommen oder miteinander verbunden werden, ist noch Gegenstand von Diskussionen. Rund 5500 Stellplätze wird man brauchen, wobei Derfler sich eine bauliche Lösung wünscht, die eine Nutzung von leerstehenden Stellplätzen als Lagerräume ermöglicht. "Das ist laut Baupolizei ohne viel Mehraufwand möglich. Man braucht halt einen Brandabschnitt mehr, und die eine oder andere Belüftung. Aber machbar ist es."

Das Areal gehört den ÖBB, die deshalb bei der Verwertung natürlich ein kräftiges Wörtchen mitzureden haben wird.
Foto: Corn

Brigittenau "fertig bebaut"

Widmungen sind noch kein Thema. Erst ab Ende 2017, wenn der Grundeigentümer ÖBB auszieht, kann man darangehen. Danach wird es für jedes einzelne Baufeld einen Wettbewerb geben, so Derfler. Rein rechtlich hat er als Bezirksvorsteher zwar eigentlich weniger mitzureden, als ihm lieb wäre. Bei den Wettbewerben wird er sich aber als Jurymitglied stark einbringen, kündigt er an. "Es muss klare Vorgaben für die Bauträger geben. Denn die wissen ja sonst nicht, was sie machen sollen."

Wenn alles fertig ist, wird auch die Brigittenau fertig bebaut sein. "Also noch 44 Hektar, dann ist hier Schluss."

Ausstellung des Leitbildes

Das Leitbild kann ab 19. Mai und noch bis 24. Juni in der Gebietsbetreuung für den 2. und 20. Bezirk (Allerheiligenplatz 11) besichtigt werden. (Martin Putschögl, 17.5.2016)