Konsumieren Schmerzpatienten Cannabis, können Verunreinigungen und eine falsche Dosierung nicht ausgeschlossen werden, sagen Experten.

Foto: APA/DPA/DANIEL KARMANN

Schwerkranke denen eine andere Therapie nicht mehr hilft, sollen in Deutschland ab dem kommenden Jahr getrocknete Cannabisblüten und -extrakt auf Rezept erhalten. So sieht es ein von der deutschen Bundesregierung bereits abgesegneter Gesetzesentwurf vor. In Österreich sehen Fachleute dafür keinen Bedarf.

"Wir brauchen keine Legalisierung von Haschisch oder Marihuana", sagt Rudolf Likar, Generalsekretär der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) und Leiter der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt. "Uns stehen bereits jetzt wirksame und standardisierte Cannabinoid-Medikamente zur Verfügung, deren Wirksamkeit in einigen Indikationen gut belegt ist."

In Österreich gibt es Dronabinol als magistrale Zubereitungen von pflanzlichem oder synthetisch hergestelltem delta-9-THC; das synthetische Cannabinoid Nabilone sowie Sativex, das standardisierte Extrakte der Cannabis-Pflanze mit definiertem Gehalt an THC und CBD (Cannabbidiol) enthält. "Das sind alles Produkte, die ihre Wirksamkeit und arzneimitteltechnische Sicherheit bereits bewiesen haben", sagt Likar.

Gefährliche Begleiterscheinungen

Beim Konsum der Pflanze ließen sich dagegen Probleme wie mikrobielle und chemische Verunreinigungen nicht ausschließen. Zudem würde der "Joint auf Rezept" keine genaue Dosierung der medizinisch wirksamen Komponenten erlauben und sei mit den gesundheitlichen Gefahren des Tabakrauchens verbunden. "Es gibt auch keinen Beweis dafür, dass die medizinische Wirkung von Cannabis oder Marihuana besser wäre als die bereits verfügbaren therapeutischen Cannabinoid-Reinsubstanzen", sagt Likar.

Wurden THC-haltige Arzneimittel bis vor wenigen Jahren vor allem bei Tumor- und HIV-Patienten eingesetzt, belegen inzwischen immer mehr Daten wesentlich breitere Anwendungsmöglichkeiten: bei neuropathischen Schmerzen, Multipler Sklerose, beim Querschnittssyndrom oder anderen spastischen Schmerzen. Darüber hinaus gibt es vielversprechende Hinweise auf ein Potenzial in der Behandlung verschiedener chronisch-entzündlicher Erkrankungen, wie Rheumatoider Arthritis oder chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen.

Fünf Milliarden Euro werden in Österreich pro Jahr für die Behandlung von schmerzhaften Erkrankungen des Bewegungsapparates ausgegeben. "Ein Großteil der Therapiekosten könnte eingespart werden, wenn wir ausreichend in Prävention und eine frühzeitige Behandlung von Schmerzen investieren, bevor diese chronifizieren und damit zur individuellen und volkswirtschaftlichen Last werden", betont ÖSG-Präsident Wolfgang Jaksch (Wiener Wilhelminenspital).

Hohe Kosten für Schmerztherapie

Laut Statistik Austria leiden allein 1,8 Millionen Österreicher an anhaltenden oder wiederkehrenden Rückenschmerzen. Allein die direkten Kosten für die Behandlung chronischer Schmerzen in Österreich schätzen Experten auf Basis internationaler Daten auf jährlich bis zu 1,8 Milliarden Euro.

Einsparungen auf diesem Gebiet werden volkswirtschaftlich "teuer". Likar: "Die Behandlungskosten machen allerdings nur ein Drittel der Gesamtkosten aus, die indirekten Folgekosten für Krankenstände, Frühpensionen und erhebliche Produktivitätsverluste liegen noch einmal doppelt so hoch. Patienten mit starken chronischen Schmerzen haben ein sechsmal höheres Krankenstands-Risiko. Inzwischen sind dadurch bereits die Hälfte aller Krankenstandstage bedingt." In Summe bedeute das einen Verlust von 660.000 Arbeitstagen pro Jahr in Österreich. (APA, 18.5.2016)