Dunkle Geheimnisse fordern John (Kyle Chandler) und Diana (Jacinda Barrett) auch in den neuen Folgen.

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Dannys angeblicher Sohn, gespielt von Owen Teague.

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John (Kyle Chandler).

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MamaSally, Betreiberin eines kleinen Familienhotels an einem Traumstrand, gespielt von Sissy Spacek.

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Wien – Es war nicht schwer, nach "Bloodline" süchtig zu sein. Schon den Titelsong The Water Lets You In von Book of Fears wollte man in Endlosschleife hören, weil er alles ausdrückt, worum es in Bloodline geht: vergebene Chancen, Lügen Schmerz, Trauer, Schuld – große Schuld. "Wir sind keine bösen Menschen. Aber wir haben Böses getan", lautete die Überschrift, mit der Netflix die Serie 2015 zum Start bewarb. So konnte man es auch sehen.

Süchtig machte "Bloodline" auch aufgrund seiner Geschichte über die Familie Rayburn, die in den Florida Keys ein düsteres Familiengeheimnis hütet. Mit der Rückkehr des ältesten Sohnes Danny (Ben Mendelsohn) bricht das Zugedeckte mit existenzieller Wucht auf und reißt alle in den Abgrund.

Alle, das sind die Geschwister John (Kyle Chandler), Meg (Linda Cardellini), Kevin (Norbert Leo Butz) und die Mutter Sally, Betreiberin eines kleinen Familienhotels an einem Traumstrand (gespielt von der großartigen Sissy Spacek). Die Chancen standen gut, dass der Suchtfaktor in der zweiten Staffel – seit Freitag abrufbar – anhalten würde, nicht nur, weil der mördergute Titelsong beibehalten wurde. (Wer übrigens weder über die erste noch über die Fortsetzung Genaueres wissen will, sollte die nächsten zwei Absätze überspringen.)

Achtung, Spoiler!

Die zweite Staffel knüpft unmittelbar an die erste an. Wie Abel den Kain hat John seinen Bruder erschlagen, weil dieser den Familienfrieden gestört hatte, das Schweigegelübde nicht zu halten war. Kurz schien es, als könnte alles weitergehen wie bisher. John, der Polizist, fühlte sich sicher. Er werde den Mörder ihres Sohnes finden, verspricht er seiner Mutter. Und jetzt?

Wie aus dem Nichts taucht obendrein ein junger Mann auf, der behauptet, Dannys Sohn zu sein – und das fragile Familienglück droht erneut zusammenzubrechen. "Du hast Angst vor mir", wirft der Neffe dem Onkel hin, dreist wie der Vater. Der junge Mann wird ihnen noch eine ganze Menge Schwierigkeiten bereiten. Nicht nur er, denn die Serienmacher Todd A. Kessler, Glenn Kessler und Daniel Zelman haben sich eine weitere Überraschung ausgedacht, von der keiner erfahren soll.

Binge-Watching

Zu Unrecht rangiert Bloodline im Portefeuille des Streamingportals nicht ganz oben, erhielt bisher nicht die Aufmerksamkeit strahlender Mitbewerber, wie etwa von "House of Cards". Nichtsdestotrotz handelt es sich um ein Vorzeigeprojekt neueren Fernsehens. Denn die insgesamt 26 Folgen veranschaulichen, dass man es hier bis in die Wurzeln verstand, was episches Fernsehen bedeutet: ein bis in die Nebenrollen durchkonzipiertes Fortsetzungsstück, das sich nicht um das alte Zählmaß des Episodenfernsehens schert, das vorgab, wann welche Folge lief. "Bloodline" ist in seiner Dramaturgie ganz auf Binge-Watching ausgerichtet – die Sucht, nicht mehr aufhören zu können, bis man endlich weiß, wie es ausgeht. Das ist große Thrillerkunst.

Die Zuschauer werden in die Irre geführt, im Ungewissen gelassen und eingeweiht, wenn es der Spannung dient. Das moralische Dilemma besteht von Anfang an, weil man für die Vertuscher Sympathien hegt. Das erinnert an "Breaking Bad", wo Mister White für den Familienfrieden Crystal Meth kochte und immer kaltblütige Gegner aus dem Weg räumte. In Spannung steht das eine dem anderen um nichts nach. (Doris Priesching, 28.5.2016)