"Meine Kollektion besteht aus Einzelstücken", sagt Modepreis-Gewinnerin Anna Schwarz, in einem ihrer eigenen Outfits.

Foto: Luise Hardegg

Wieso sollte man überhaupt Mode machen?" Die Frage, die sich Anna Schwarz am Morgen nach der Juryentscheidung des RONDO-Vöslauer-Modepreises stellt, mag ungewöhnlich klingen. Seit sechs Jahren studiert die 27-Jährige an der Wiener Universität für angewandte Kunst Modedesign. Erst unter dem deutschen Modekomödianten Bernhard Willhelm, dann unter dem englisch-türkischen Designausloter Hussein Chalayan.

"Wir werden von Mode überschwemmt. Wer braucht da noch eine weitere Kollektion?" Es sind die großen Fragen, die Anna Schwarz interessieren. Jene, die in der Mode normalerweise nicht gestellt werden. Zum einen, weil abseits des täglichen Überlebenskampfes oder der großen Geschäftemacherei kaum Zeit dafür bleibt, zum anderen, weil die Fragen ans Eingemachte gehen.

"Wo bleibt der einzelne Mensch in der Mode?" ist so eine Frage. Oder: "Wie soll es weitergehen mit diesem System?" Antworten hat auch Anna Schwarz an diesem Morgen keine. Aber sie hat einen Weg gefunden, sich nicht nahtlos in bestehende Strukturen einzufügen.

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Im Falle der bildhübschen Studentin mit dem Ringelshirt und den zusammengebundenen Haaren besteht dieser Weg in erster Linie aus der Entfernung zwischen der Wiener Angewandten und der Wiener Akademie, die sie beinahe tagtäglich mit dem Fahrrad zurücklegt.

An der einen Hochschule studiert sie Mode, an der anderen Kunst. "Ich mache für mich selbst keinen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen", sagt sie. Mode behandelt sie wie Kunst, Kunst wie Mode.

Ein harmonisches Ganzes

Was das im Konkreten bedeutet, hatte sie einen Tag vorher anschaulich vorgeführt. Während die Kommilitonen ihre Abschlusskollektionen brav auf Kleiderbügel hängten, inszenierte Schwarz Kleidungsstücke wie Kunstwerke.

Eine weiße Short mit schwarzen, ledernen Gürtelschlaufen wird zu einem abstrakten Gebilde, ein Rock aus bordeauxrotem Lackleder zu einer amorphen Skulptur, ein Cape aus galvanisiertem Kupferstoff zu einer Falten-Installation. "Meine Kollektion besteht aus Einzelstücken", sagt sie. Allerdings aus solchen, die ein harmonisches Ganzes ergeben.

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"Ready to carry" hat sie ihre Diplom-Kollektion genannt. Darin steckt neben der Aufforderung, die Stücke zu tragen, natürlich auch eine Anspielung auf das Prinzip des Readymade, mit dem Marcel Duchamp Alltagsgegenstände zu Kunststücken erklärte. Eine Art Grenzüberschreitung, die auch Anna Schwarz zu ihrem Arbeitsprinzip gemacht hat.

Herkömmlicherweise entsteht eine Modekollektion nach monatelangen Vorarbeiten, bei denen zuerst ein Moodboard, dann Skizzen und schließlich erste Entwürfe erstellt werden. Steht die Kollektion, wird sie fotografisch inszeniert. Schwarz beschritt den umgekehrten Weg. Eine Fotosession mit befreundeten Kollegen und Künstlern stand am Anfang eines monatelangen Prozesses, bei dem der deutsche Theatermacher René Pollesch Pate gestanden hat.

Die Firma Abus ist für ihre Sicherheitsschlösser bekannt. In einer Modekollektion tauchte das Logo der Firma dagegen bisher nicht auf. Anna Schwarz integrierte es in ihre Entwürfe, um den Trägerinnen Stärke zu vermitteln ...
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.. – oder ihnen im Fall der Taschen, deren Träger aus Abus Ketten bestehen, eine Waffe zur Selbstverteidigung in die Hand zu geben.
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Pollesch als Ideengeber

Der gefeierte Theaterkünstler ist dafür bekannt, dass er seine Stücke gemeinsam mit den Schauspielern erarbeitet, unter Einbeziehung theoretischer und populärkultureller Texte. Ähnlich ging auch Schwarz vor. Regelmäßig traf sie sich mit ihren Kumpaninnen, diskutierte die erarbeiteten Mode- und Lektürestücke, verwarf, veränderte und variierte. "Es stört mich, dass das einzelne Individuum in der heutigen Mode keine Rolle spielt. Das will ich in meiner Arbeit aufbrechen."

Annabelle Mödlinger zum Beispiel (sie ist auf diesen Seiten als Model zu sehen) lernte Schwarz bei einer Ausstellung in der Wiener Albertina kennen. Aus dem Nebenerwerbsmodel und der angehenden Künstlerin wurde eine Begleiterin auf einem Weg, der bei der Abschlussmodeschau der Angewandten zu einem (vorläufigen) Ende kommt. "Ich möchte die fünf Minuten auf dem Laufsteg mit Mode und Menschen bestreiten, die eine gemeinsame Geschichte haben." Kleidung als sinnstiftende Angelegenheit. Und nicht als schnödes Wegwerfprodukt.

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In der heutigen Modelandschaft ist das eine Position, die zwar weder mehrheitsfähig noch finanziell rentabel ist, aber von vielen Menschen als Sehnsucht skizziert wird. Die immer größere Geschwindigkeit, der Mode unterworfen ist, hat zu einer Gegenbewegung geführt.

Sie zeichnet sich durch erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber den verwendeten Materialien aus, durch eine Verlangsamung des Produktionsprozesses, der Individualisierung der Kleidungsstücke. "Mich interessiert zum Beispiel, wie das Vetements macht", so Schwarz. Das gefeierte Pariser Modekollektiv zeichnet sich dadurch aus, dass es den Nachhaltigkeits- über den Innovationsgedanken stellt und sich bewusst dem starren Kalender der Mode entzieht.

Zukunft ist offen

Ein solches Modell kann sich auch Anna Schwarz für die Zukunft vorstellen. Auch wenn die gebürtige Salzburgerin (sie kam mit zehn Jahren gemeinsam mit ihrer Familie nach Wien) noch nicht wirklich weiß, in welchen Bereich es sie nach dem Abschluss des Modestudiums im heurigen und jenem des Kunststudiums im kommenden Jahr verschlagen wird.

Im Rahmen eines Studiums gehen Kunst und Mode vielleicht gut zusammen, beruflich wird man sich aber für das eine oder andere entscheiden müssen. Zu unterschiedlich sind die beiden Sphären, zu verschieden die Strukturen, zu groß die Vorbehalte der Künstler gegenüber den Modemachern beziehungsweise der Designer gegenüber den Künstlern.

"Ich weiß, dass das ein schwieriger Ausgangspunkt ist", sagt Modepreisgewinnerin Anna Schwarz, "aber es ist kein unmöglicher." (Stephan Hilpold, RONDO, 10.6.2016)

Neben der Aufforderung die Stücke zu tragen, steckt im Namen ihrer Kollektion "Ready to carry" eine Anspielung auf das Prinzip des Readymade, mit dem Marcel Duchamp Alltagsgegenstände zu Kunststücken erklärte.
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