Die Archäozoologie beschäftigt sich mit tierischen Überresten aus archäologischen Ausgrabungen. Neben archäologischen Resten prähistorischer und historischer Gesellschaften, etwa Architekturreste, Schmuck oder Gebrauchsgegenstände wie Keramikscherben, werden in Ausgrabungen üblicherweise viele Tierreste vorgefunden. Sie repräsentieren meist – wie die Reste der Gebrauchsgegenstände – Abfall des täglichen Lebens. Die tierischen sind für gewöhnlich solche, die zur Nahrung dienten, und deshalb stark fragmentiert. Typische Funde stammen von den wichtigsten Haustieren: Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner und Gänse. Andere Tiere, die für die Ernährung wichtig waren, sind etwa Fische, Muscheln und Schnecken.

Verschiedene Tierknochen, Fischschuppen und Molluskenreste.
Foto: A. Galik, ÖAI/ÖAW

Besondere Funde

Komplette Skelette kommen üblicherweise nur unter besonderen Umständen zur Ablagerung, etwa wenn Kadaver bestattet werden. Als Beispiel kann hier das komplett erhaltene Skelett eines Kamels aus Tulln angeführt werden. Das Tier dürfte im Zuge der Zweiten Wiener Türkenbelagerung im 17. Jahrhundert nach Tulln gekommen sein und ist, nachdem es verstorben war, in einem Kellerraum eines abgetragenen Hauses verscharrt worden.

Ein anderes Beispiel wäre die Brunnenverfüllung im türkischen Bad Hamam III in Ayasuluk westlich der İsa Bey Moschee im heutigen Selçuk. In diesem Brunnen konnten die Skelette zweier Männer, eines Pferdes und eines Hundes gefunden werden. Wahrscheinlich wurden sie im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen Mitte des 15. Jahrhunderts in den Brunnen versenkt.

Das Kamelskelett aus Tulln.
Foto: A. Galik, ÖAI/ÖAW
Skelette aus dem Hamam III in Ayasuluk.
Foto: N. Gail, ÖAI/ÖAW

Bestimmung im "bone-lab"

Für eine Bestimmung und Identifizierung des oft stark fragmentieren Abfalles aus dem täglichen Leben sind Knochen aus einer Referenzsammlung notwendig. Diese Knochen verschiedener Tierarten werden dann zum Vergleichen herangezogen. In Kooperation mit dem Institut für Anatomie, Histologie und Embryologie an der Vetmeduni Wien wurde vergangenes Jahr ein "bone-lab" im Grabungshaus des ÖAI in Selçuk eingerichtet.

Darin stehen zahlreiche Tierknochen verschiedenster Tierarten, Säugetiere, Reptilien, Vögel, Fische und auch Mollusken für Vergleichszwecke zur Verfügung. Diese Einrichtung dient natürlich zur wissenschaftlichen Untersuchung des archäozoologischen Fundmateriales. Sie kann aber auch anschaulich zur Ausbildung interessierter Studenten mit Praxisbezug zur Archäozoologie verwendet werden. Die morphologische Arbeitsweise, die den Hauptteil unserer Arbeit ausmacht, umfasst die Bestimmung der Tierart, des entsprechenden Körperteils wie etwa Oberarmknochen oder Unterkiefer, Körperseite, das Schlachtalter und wenn möglich das Geschlecht.

Das "Bone-lab" im Grabungshaus des ÖAI in Selçuk.
Foto: A. Galik, ÖAI/ÖAW

Abfall, Daten – Fakten?

Anhand dieser gesammelten Daten können dann Rückschlüsse auf die Ernährung der damaligen Bewohner, aber auch auf die Viehwirtschaft, Jagd oder Fischerei jener Zeit gewonnen werden. Im Hanghaus 2 in Ephesos waren so die Speisesitten der Bewohner in römischer Zeit rekonstruierbar. Passend zum architektonisch-luxuriösen Ambiente der Gebäude standen zartes Ferkel- und Lammfleisch, verschiedene Fische und Meeresfrüchte auf dem Speiseplan. Neben Hausgeflügel wie Huhn und Gans, Tauben oder Jagdfasan wurde auch das Fleisch verschiedenster Wildvögel, wie Steinhuhn, Wildenten, Wachteln oder kleiner Singvögel geschätzt. Verschiedenste Arten von Muscheln wurden verzehrt, die wichtigsten waren Herzmuscheln und Austern. Purpurschnecken wurden nicht nur zur Gewinnung von Purpurfarbstoff verwendet, sie waren in römischer Zeit ebenso wie die Weinbergschnecke von kulinarischem Interesse. Auch Fische wie Meerbrassen, Meerbarben, bunte Lippfische, Papageifische, Zackenbarsche, Muränen, sogar Haie und Rochen wurden verzehrt.

Allerdings waren in vergleichbarem Ausmaß auch Süßwasserfische im Fundmaterial, die nach zeitgenössischer überlieferter Literatur so gar nicht dem römischen Gourmet-Geschmack entsprochen haben sollen. Nichtsdestotrotz fand man viele Süßwasserfische, die aber auf Grund ihrer Artenarmut offenbar einem Selektionsmechanismus unterlagen. Nur Zander, Karpfen, Brachsen und sogenannte Schwarzmeerplötzen ließen sich nachweisen, obwohl bei regulärer Befischung und Konsumierung ein deutlich höheres Artenspektrum zu erwarten wäre. Das wohlschmeckende Fleisch dieser Fische wurde aber offenbar hoch geschätzt. Als Süßwasserfische könnten sie in den teilweise großen Fließwasserbecken innerhalb verschiedener Wohneinheiten des Hanghauses 2 für eine gewisse Zeit lang gekeltert worden sein, um frischen, noch lebenden Fisch zur Verfügung zu haben.

Eine Fischdarstellung in einer Wandmalerei aus dem Hanghaus 2.
Foto: A. Galik, ÖAI/ÖAW

Die archäologische Vielfältigkeit in und um das Weltkulturerbe Ephesos birgt noch großes Potential – auch für die Archäozoologie. Beginnend mit der frühesten Besiedlung jungsteinzeitlicher Bauern und Seefahrer am Çukuriçi Höyük, wo natürlich die Form der frühen Haustiere und die Wirtschaftsweise der frühen Siedler im archäozoologischen Vordergrund steht, spannt sich ein weiter Bogen an Siedlungstätigkeit über die Bronzezeit und die Eisenzeit über hellenistische und römische Befunde bis in die Neuzeit. Ein so langer chronologischer Zeitraum eröffnet neben wirtschaftshistorischen Untersuchungen auch die Möglichkeit von umwelthistorischen Rekonstruktionen. Anhand von Veränderungen in der Zusammensetzung bestimmter Tierarten oder in der Veränderung ihres Größenwachstums kann beispielsweise auf klimatische oder ökologische Umgestaltung der Landschaft über die Jahrtausende rückgeschlossen werden. (Alfred Galik, 9.6.2016)