"Ich liefere nur die Ideen": Für die vegetarisch-vegane Menülinie "Peter & Silie" des Caterers Sodexo kreiert Roland Trettl ausgefallene Menüs.

Foto: Sodexo Service Solutions / APA-Fotoservice / Hautzinger

Zehn Jahre lang war Roland Trettl das Aushängeschild des Salzburger Restaurants Ikarus im Hangar-7, in dem er mit über 100 Gastköchen aus der ganzen Welt kochte. Umso überraschender war es, als der Spitzenkoch den Posten als Executive Chef vor drei Jahren aufgab, um nur noch das zu machen, was ihm Spaß macht. Er versuchte sich als Tischler, Sattler und Käsemacher. Sein Buch "Serviert" ist eine Streitschrift, in der er mit der Gastronomie abrechnet. Bis das nächste Buch erscheint, designt der gebürtige Südtiroler Küchen, tritt in TV-Shows auf und denkt sich vegetarische Menüs für den internationalen Kantinenbetreiber Sodexo aus.

STANDARD: Wie kommt es, dass Sie jetzt Menüs für Kantinen kreieren?

Roland Trettl: Ich frage mich immer noch, was Gourmetküche und Fine Dining eigentlich sind. Für mich geht es immer um Genuss. Warum kann ich Genuss nicht auch in der Gemeinschaftsverpflegung haben? Es geht nicht darum, 25 Komponenten auf dem Teller zu haben oder nur Steinbutt oder Garnelen zu verwenden.

STANDARD: Aber ist in einer Kantinenküche nicht alles auf Masse ausgerichtet?

Trettl: Ja, aber Menschen in der Kantine sollen auch die Möglichkeit haben, gut zu essen. Ich liefere nur die Ideen. Die Köche müssen mir sagen, was geht und was nicht. Ich wurde mal gefragt, was mein allergrößter Traum ist. Ich vergleiche es gerne mit einem bekannten Musiker, der ein Stadion füllt und Menschen mit seiner Musik berührt. Das würde ich gerne mit Essen schaffen. Das geht in einer Gemeinschaftsküche wesentlich besser als in einem Restaurant mit 40 Sitzplätzen.

STANDARD: Wie entstehen Ihre Gerichte?

Trettl: Der Prozess ist immer der gleiche. Ich habe eine riesige Wand bei mir im Büro, auf der alle Lebensmittel geschrieben stehen, mit denen ich jemals in meinem Leben gekocht habe. Es ist dann wie ein Spiel. Ich nehme die Süßkartoffel, gebe die Orange dazu und ein paar Chia-Samen und Curry und so entsteht das Gericht.

STANDARD: Das klingt sehr banal.

Trettl: Ja, das ist es auch. Ich muss es aber vor mir sehen, weil ich ein sehr visueller Mensch bin. Dann geht es ganz schnell. Die Erfahrung hilft natürlich. Ich koche seit fast 30 Jahren und weiß, was zusammenpasst und was nicht. Es ist mir klar, dass das unromantisch klingt. Ich könnte auch erzählen, dass ich auf den Markt gehe und mich inspirieren lasse. Aber so ist es eben nicht.

STANDARD: In einer Kantine wird extrem viel weggeworfen. Wie sähe denn die perfekte Kantine von Roland Trettl aus?

Trettl: Wenn man Freitagnachmittag in eine Kantine geht und sieht, wie viel vom Essen entsorgt wird, ist man wirklich traurig. Ich verstehe nicht, dass es so ein Überangebot geben muss. Wozu brauche ich 15 unterschiedliche Gerichte? Das Geld, das man durch weggeworfene Lebensmittel verschwendet, könnte man für gute Produkte einsetzen. Ich habe Kantinen gesehen, bei denen mir die Tränen gekommen sind.

STANDARD: Haben Sie sich deshalb auch schon öfter als Gegner von Buffets deklariert?

Trettl: Ja genau. In Hotels habe ich schon so oft erlebt, dass extrem viel weggeworfen wird. Da ist es fast noch schlimmer, weil im Hotel nur das schönste Obst und Gemüse verwendet wird. Wenn es nicht die perfekte Form hat, lässt man es lieber auf dem Feld verfaulen. Ein Paprika mit einer leichten Krümmung ist kein schlechtes Gemüse. Mir ist klar, dass ich nicht die Welt retten kann. Aber es gäbe viel zu tun.

STANDARD: In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie ein Problem damit haben, für Veganer zu kochen, die Sie nicht vorher informieren. Wie stehen Sie generell zur veganen Ernährungsweise?

Trettl: Ich habe kein Problem mit Veganismus, solange er mich nicht berührt. Es ist aber eine absolute Respektlosigkeit dem Gastronomen und den anderen Gästen gegenüber, wenn ein Veganer das Restaurant nicht vorher über seine Ernährungsgewohnheiten informiert. Das ganze Küchenteam muss dann spontan alles umstellen. Darunter leiden die anderen Gäste, weil wir uns auf den Veganer konzentrieren müssen. Ich habe ein Problem damit, wenn Veganer davon ausgehen, dass man immer ein veganes mehrgängiges Menü parat hat.

STANDARD: Sie haben sich bewusst aus der Sternegastronomie verabschiedet, um leisezutreten. Jetzt entwickeln Sie Menüs für Sodexo, designen Küchen für Lohberger und sind in mehreren Kochshows zu sehen. Ist es doch schwieriger als gedacht, sich zurückzunehmen?

Trettl: Ich hatte nie das Ziel, komplett auszusteigen. Ich wollte zuerst vom Hangar-7 aussteigen und mich vom "System" lösen. Die Handwerksberufe habe ich gemacht, um einen Weitblick für andere Dinge zu bekommen. Ich habe einfach gemacht, was mir Spaß macht und was mich interessiert. Wenn ich heute Lust habe, in der Toskana bei Reinhard Plank Hüte zu machen, dann mache ich es einfach.

STANDARD: Da sind Sie aber schon privilegiert. Schließlich kann das nicht jeder machen.

Trettl: Ich habe das Gefühl, dass immer das fehlende Geld schuld daran ist, dass man nicht mutig sein und etwas anderes machen kann. Jeder glaubt, dass ich im Hangar-7 so viel verdient habe, dass ich jetzt nichts mehr machen muss.

STANDARD: Haben Sie nicht gut verdient?

Trettl: Ich habe gut gelebt, und es ist wenig übrig. Aber ich habe danach Abstriche gemacht und zum Beispiel mein teures Auto verkauft. Die wenigsten können so zurückschrauben. Ich habe auch ein Haus, das ich abbezahlen muss. Wenn ich die Raten nicht mehr zahlen kann, dann ziehe ich mit meiner Familie eben in eine kleine Mietwohnung. Wir haben uns, und das ist das Wichtigste. Wir müssen überlegen, ob wir den Luxus brauchen oder uns lieber einen Traum erfüllen, den wir das ganze Leben mit uns tragen. Ich wollte immer etwas mit Holz machen. Soll ich das bis zu meinem Lebensende im Kopf mittragen, oder erfülle ich mir diesen Traum? Eben!

STANDARD: In Ihrem Buch "Serviert" rechnen Sie mit der Sternegastronomie und mit Gastrokritikern ab. Kommt da noch was?

Trettl: Ich möchte ein zweites Buch schreiben. Es könnte vielleicht "Nachschlag" heißen. Wir mussten im ersten Buch sehr viele Dinge weglassen. Durch das erste Buch haben sich wieder viele neue Geschichten ergeben.

STANDARD: Ein Restaurant ist keine Option mehr?

Trettl: Nein, ich habe keine Lust mehr darauf. Die Vorstellung, dass ich jede Woche in eine Küche müsste, ist frustrierend und langweilig. Man muss sich mal überlegen, was am nächsten Tag mit dem passiert, was man gekocht hat, nachdem es gegessen wurde. Das ist doch deprimierend.

STANDARD: Nehmen sich manche Köche zu wichtig?

Trettl: Es gibt viele Köche, die glauben, sie könnten die Welt verändern mit dem, was sie auf dem Teller anrichten. Aber so wichtig sind wir Köche nicht. Und das sage ich Kollegen auch gerne. Natürlich habe ich mich damals auch teilweise wichtig gefühlt.

STANDARD: Sie waren dafür bekannt, Choleriker zu sein. Woher die neue Besonnenheit?

Trettl: Die meisten Choleriker sind einfach unsicher. Aus dieser Unsicherheit heraus wird man laut. Wenn man sicher ist, muss man nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit in die Luft gehen. Mir ist mittlerweile auch bewusst, dass wir nur Köche sind und keine Ärzte, die Leben retten. Mit diesem Bewusstsein wird alles leichter und wahrscheinlich besser. Es lohnt sich nicht, total auszuflippen, wenn ein Spargel verkocht ist.

STANDARD: Was empfehlen Sie jungen Köchen?

Trettl: Wichtig ist es, die Basis in einem guten Lehrbetrieb zu erlernen. Die traditionelle Küche muss man beherrschen. Es ist wichtiger, zu wissen, wie ein Schmorgericht oder ein Kalbsjus gemacht wird, als wie viele Überstunden man schon gemacht hat. Je mehr man das Kochen beherrscht, desto mehr Spaß wird es machen. (Alex Stranig, RONDO, 19.6.2016)