Klimts "Rosen unter Bäumen" (1905) gehörte einst Nora Stiasny: nunmehr ein Restitutionsfall für das Musée d'Orsay in Paris.

Foto: Klimt-Archiv Wien

Unbeschwerte Sommerferien 1928: Vor genau 88 Jahren entstand in Altaussee diese Fotoaufnahme, die Nora Stiasny mit ihrem Sohn Otto (li.) und ihren Neffen Rudi und Viki zeigt.

Foto: Privatarchiv

Klimts "Apfelbaum II" wurde 2001 an die Erben nach Nora Stiasny restituiert. Tatsächlich dürfte das Bild jedoch einst Elisabeth Bachofen-Echt (geborene Lederer) gehört haben.

Foto: Archiv Belvedere

Der Beginn der Sommerferien 1928 war von prachtvollem Wetter begleitet, das tausende Wiener in die städtischen Bäder und an die Ufer der Alten Donau trieb. Viele waren aus der Stadt geflüchtet, bezogen ihre Refugien auf dem Semmering und im Salzkammergut oder quartierten sich, wie Nora Stiasny und ihre Schwester Hermine Müller-Hoffmann, bei Freunden ein. Die Töchter des bekannten Chirurgen Otto Zuckerkandl trafen sich mit ihren Familien in Altaussee.

Davon zeugen Fotografien, die von unbeschwerten Momenten erzählen. Von Spaziergängen mit der quirligen Terrierhündin Peggy oder Bootstouren an brütend heißen Tagen. Eine der Aufnahmen, die auf den Tag genau vor 88 Jahren am 2. und 3. Juli 1928 entstanden, zeigt Nora im Badekostüm, ihren Sohn Otto und seine Cousins Rudi und Viki im Ruderboot. Ein Augenblick, der zehn Sommer und einen Anschluss später vergessen war, als es um das nackte Überleben ging.

Die Müller-Hoffmanns sollten dem Holocaust entkommen, nicht jedoch die Stiasnys. Otto und sein Vater waren nach Prag geflüchtet und kamen 1942 in Auschwitz um. Nora war mit ihrer 73-jährigen Mutter, der seinerzeit von Gustav Klimt porträtierten Amalie Zuckerkandl, vorerst in Wien verblieben. Im April 1942 wurden beide ins polnische Izbica deportiert, die Familie 1947 für tot erklärt.

Rückgabe an falsche Erben

Zu Noras Vermögenswerten gehörten 1938 Anteile des arisierten Sanatoriums Purkersdorf, ferner Silbergegenstände, die von der Steuerbehörde beschlagnahmt worden waren, sowie ein "Bild von Gustav Klimt im Werte von RM 5000". Es zeigte einen Apfelbaum und soll im August 1938 für nur 395 Reichsmark an einen Kaufmann verkauft worden sein.

Über Vermittlung von Philipp Häusler, einst Assistent von Josef Hoffmann an der Kunstgewerbeschule, mit dem Nora als Schülerin angeblich eine Liaison gehabt habe. Einerlei. Acht Monate später versuchte sie den Verkauf rückgängig zu machen, da Gustav Ucicky, NS-Propagandaregisseur und Klimt-Sammler, 1500 Reichsmark zu zahlen bereit wäre.

Was in weiterer Folge genau geschah, wird seit April vergangenen Jahres zu rekonstruieren versucht. Ins Rollen kam diese Causa über den Erben einer anderen Sammlerfamilie, konkret jene von August und Serena Lederer. Der äußerte die Vermutung, das Gemälde hätte "seiner" Familie restituiert werden müssen.

Bis dahin hatte man angenommen, jener "Apfelbaum II", der über einen Rückstellungsvergleich mit Ucicky nach dessen Tod 1961 in den Bestand des Belvedere gelangte, habe Nora Stiasny gehört. 2001 wurde das Bild an ihre Nachfahren restituiert, die es verkauften und den Erlös dem Erbschlüssel gemäß aufteilten.

Fataler Irrtum

Die Geschichte dieses Fehlers hatte mit einem STANDARD-Artikel des mittlerweile verstorbenen "Profil"-Herausgebers Hubertus Czernin im Jahr 1999 begonnen. Seine – über Recherchen vermeintlich belegte – Theorie: Die zum "Apfelbaum II" in der Literatur bis dahin genannte Provenienz "Slg. August Lederer" sei falsch, vielmehr habe das Gemälde der Zuckerkandl-Tochter gehört.

Eine These, auf die auch das Dossier verwies, auf dessen Basis der Kunstrückgabebeirat im Oktober 2000 die Rückgabe empfahl. Im Februar 2001 stieß Belvedere-Provenienzforscherin Monika Mayer im Staatsarchiv auf einen Hinweis, der diese Annahme ins Wanken brachte, und meldete dies sowohl ihrem Vorgesetzten (Gerbert Frodl) als auch dem Leiter der Kommission für Provenienzforschung (Ernst Bacher).

Denn auch Lederers Tochter Elisabeth Bachofen-Echt hatte noch 1938 nachweislich ein Apfelbaumbild von Klimt besessen. Die Empfehlung der Forscherin, eingehender zu recherchieren, wurde in den Wind geschlagen. Frodl befand ein Gutachten des Belvedere-Restaurators für ausreichend. Ein fataler Irrtum.

Offene Fragen

Seit Monaten versuchen Provenienzforscher nun neue Hinweise zu finden. Etwa, von wem Gustav Ucicky den restituierten "Apfelbaum II" erwarb: von Elisabeth Bachofen-Echt, die ihren Lebensunterhalt teils mit dem Verkauf von Kunstwerken bestritt, bis sie im Oktober 1944 verstarb? Das könnte erklären, warum ihr Bruder Erich Lederer nach dem Krieg nie Ansprüche auf das Bild erhoben hatte.

Oder verkaufte es ihr geschiedener Ehemann Wolfgang Bachofen-Echt nach ihrem Tod an NS-Regisseur Gustav Ucicky? Dass sie einander gut kannten, ist aktenkundig, denn der Regisseur benannte den Brauereibesitzer im Zuge des Rehabilitierungsverfahrens nach dem Krieg als Leumund.

Offen ist auch die Frage des Zeitpunkts des Besitzerwechsels. Denn falls dieser nach dem 8. Mai 1945 erfolgte, wäre das Bild gar nicht zu restituieren gewesen. Man weiß es (noch) nicht.

Ob sich im Privatarchiv der Familie Lederer der entscheidende Hinweis findet, ist unbekannt. Die Kommission wird sich erst dann detailliert mit der Causa befassen, wenn die Recherchen als abgeschlossen betrachtet werden können. Noch sind sie es nicht, jedoch haben Ruth Pleyer, Provenienzforscherin der Familie Zuckerkandl, und Monika Mayer vom Belvedere zwischenzeitlich Interessantes herausgefunden.

Verwirrung um die Apfelbäume

Konkret geht es um jenes Apfelbaum-Bild, das Nora Stiasny nachweislich besaß. Es war, wie sechs weitere Klimt-Gemälde, einst in der Sammlung ihres Onkels Viktor Zuckerkandl beheimatet. Als der Industrielle und Erbauer des Sanatoriums Purkersdorf und seine Ehefrau Paula 1927 kinderlos verstarben, wurde deren Nachlass 1928 versteigert.

Nicht jedoch die Klimt-Bilder. "Allee im Park von Schloss Kammer" verkaufte man für 16.920 Altschilling an die Österreichische Galerie, die anderen sechs teilte man unter den Angehörigen auf. Nora bekam das im Verlassenschaftsakt als "Obstgarten" bezeichnete und damals auf 10.000 Altschilling geschätzte Bild.

Anlässlich einer bislang in der Kunstforschung vernachlässigten Ausstellung zum zehnten Todestag Gustav Klimts in der Neuen Galerie im April 1928 war es dort gemeinsam mit den anderen Zuckerkandl-Klimts zu sehen, über die in der "Volkszeitung" berichtet wurde. Autor Max Roden erwähnt in seinem Artikel ein als "Apfelbäume mit den Rosen" bezeichnetes Bild. Es befindet sich seit 1980 im Bestand des Musée d'Orsay (Paris).

Die Werkverzeichnisse von Alfred Weidinger (2007, Prestel-Verlag) und Tobias Natter (2012, Taschen-Verlag) führen bei der Provenienz Viktor Zuckerkandl und das Erwerbsdatum 1911 an. Der zeitlichen Lücke der Vorbesitzerchronik von 1927 (Tod Viktor Zuckerkandl) bis zum Verkauf der "Galerie Nathan, Zürich" an das Museum 1980 maßen die Kunsthistoriker keine Bedeutung bei.

Hinweis eines Zeitzeugen

Im Ankaufsakt in Paris hätte sich ein Hinweis gefunden: "Prof. Häusler, Wien (Chef der Wiener Werkstätte), Privatbesitz". Häusler hatte Nora Stiasnys Apfelbaum-Bild offenbar nie verkauft, sondern behalten. Den entscheidenden Missing Link steuert ein Zeitzeuge bei, der anonym bleiben möchte.

Er sah das später nach Paris verkaufte Gemälde Ende der 1970er-Jahre in einer Privatwohnung in Frankfurt. Stolz war ihm das über einem Bettsofa hängende Werk von der Besitzerin, die Häuslers Sekretärin gewesen sein soll, präsentiert worden. Wie das Bild nach Frankfurt gelangte, ist unbekannt.

Ein zugehöriges Ausfuhransuchen gibt es nicht, also dürfte es Häusler außer Landes geschmuggelt haben. Er verstarb im Februar 1966 in Frankfurt. Während dort Teile seines Besitzes verblieben, wurde seine Urne in Wien beigesetzt.

Der geografische Radius dieser Causa hat sich folglich erweitert. Nun wird sich das Musée d'Orsay wohl mit Restitutionsansprüchen der Erben nach Nora Stiasny beschäftigen. Die Rückgabe des anderen Apfelbaum-Bildes 2001 ist indes nicht umkehrbar. Auch, weil es sich beim Kunstrückgabegesetz um ein Ermächtigungsgesetz handelt.

Erben haben demnach keinen Anspruch auf Rückgabe, bei der es sich juristisch gesehen um eine Zuwendung seitens der Republik handelt. Eine Schenkung, die innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von drei Jahren angefochten hätte werden können, etwa wegen Motivirrtums, da man sich in der Person des "Beschenkten" irrte.

Verjährt. Was bleibt, ist ein Präzedenzfall, der zwar nicht auf rechtlicher, so doch auf moralischer Ebene einer von der Republik unterstützten Lösung bedarf. Den aktuellen Forschungsergebnissen folgend, wäre die Kontaktaufnahme mit französischen Behörden ein guter Anfang. (Olga Kronsteiner, 3.7.2016)