Winfried (Peter Simonischek) setzt sich gerne eine Perücke auf, um als Toni Erdmann seltsame Dinge zu tun. Zu seiner ungleichen Tochter Ines (Sandra Hüller) dringt er damit nur bedingt durch. Foto: filmladen

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Wien – Nicht nur zu einem Streit, auch zu einem Späßchen gehören immer zwei. Dem pensionierten Musiklehrer Winfried ist diese Feinheit nicht immer bewusst. Er setzt sich gerne eine alberne Brille und Perücke auf, steckt sich ein hässliches falsches Gebiss in den Mund und wird zu einer auffälligen Person.

Die nennt sich dann Toni Erdmann und handelt in manchen Situationen so, dass anderen die Schamesröte ins Gesicht steigt. In Verkleidung legt sich dieser komische Mann mächtig ins Zeug. Er gibt sich verschwenderisch, bricht Konventionen, überrascht mit albernen Bekenntnissen. Eine Peinlichkeitsmaschine, die jedoch einen Wissenden braucht, damit der Gag auch richtig zündet.

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Winfrieds Tochter Ines ist ganz anders. Sie arbeitet als Unternehmensberaterin in Bukarest. Um als Frau in dieser Domäne zu bestehen, in der man ohne Rücksicht auf menschliche Verluste agiert, geht sie ihre Arbeit noch um ein Stück kontrollierter als ihre Kollegen an. Die Beziehung zwischen Vater und Tochter leidet auch deshalb unter einer gewissen Entfremdung. Keiner schätzt die Rolle des anderen. Sie dringen nicht mehr zueinander durch.

Fast ein wenig generisch könnte man diese Ausgangssituation von Maren Ades Toni Erdmann bezeichnen, jenem Film, der in Cannes bei Kritik und Publikum geradezu euphorisch aufgenommen wurde. Doch als Winfried unangekündigt bei Ines in Rumänien auftaucht, wird ein steiles Spiel eröffnet, das die Regisseurin von Alle anderen mit ebenso viel Raffinesse wie komischem Talent entworfen und umgesetzt hat.

Profession und Performen

Denn die Auseinandersetzung zwischen Vater und Tochter wird mitnichten nur im Privaten geführt. Ade hebt diese eine Stufe höher, hinein in Ines' Arbeitswelt, in deren Umkreis sich Winfried als schrulliger Coach Toni Erdmann herumzutreiben beginnt. Als Einladung oder Aufforderung an die Tochter gedacht, das zumindest in seinen Augen kühl-professionelle Auftreten aufzuweichen, wird daraus ein Messen auf dem Feld des couragierten Performens.

Letzteres ist ein Begriff, der passenderweise auch zum neoliberalen Arbeitsjargon gehört. Denn über die erweiterte Arena der Austragung wird der Film auch zu einer Untersuchung darüber, wie das soziale Miteinander über den Beruf mitbestimmt wird. Oder: Welche Rolle einem selbst und welche zum Teil immer schon der Profession gehört. Und welche Abweichung von der Norm mir nichts, dir nichts als unternehmerische Kreativität gewertet wird.

Womit man endlich bei den beiden fabelhaften Schauspielern wäre, die dieses Tauziehen in Toni Erdmann zum Ereignis werden lassen: die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller und der heimische Darsteller Peter Simonischek, beide auch am Theater gefragt.

Rollentausch als Annäherung

Ade hat mit ihnen beim Dreh alle möglichen Nuancen ausprobiert – nichts ist schwieriger, als wechselseitige Verfehlungen zu benennen und dabei auch die Zärtlichkeit zu erhalten. Doch Ade weiß auch, dass sich menschliches Verhalten gerade in jenen Zonen am deutlichsten bekundet, wo es an Grenzen vordringt, über die es keinen Konsens mehr gibt. Toni Erdmann hat mehrere solche fulminante Szenen, in denen eine Situation auf ganz unerwartete Weise über den Rand kippt und eine fast surreale Note annimmt. Er lässt im engeren Sinne der Worte die Hüllen fallen. Und es ist nicht die Wendung des Geschehens, die dabei so sehr zählt, als die Bewegung selbst, die in dem Moment auch andere Menschen mit sich reißt.

Toni Erdmann wird so zu einem überwältigenden Film über das Rollenhafte des Lebens selbst, darüber, wie schwierig es sein kann, der Anforderung zu genügen, ein soziales Wesen zu sein; und darüber, wie der Rollentausch, also der Umweg über den anderen, einen näher zu sich selber bringt. (Dominik Kamalzadeh, 10.7.2016)