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Gisela Mayer über Medienarbeit: "Nicht zu berichten geht nicht. Man sollte aber auch nicht nur die Opfer in den Fokus stellen."

Foto: EPA/MARIJAN MURAT

STANDARD: Sie haben nach der Tat von München gesagt, dass Sie wussten, dass ein Amoklauf passieren wird. Warum?

Mayer: Ich konnte natürlich nicht wissen, dass die Tat in München oder jetzt passieren wird. Aber wir wissen, dass es potenziell tatgeneigte Personen in der Gesellschaft gibt. Diese orientieren sich sehr stark an Vorbildern. Der fünfte Jahrestag des Amoklaufs von Anders Behring Breivik in Norwegen ist bezeichnend. Auch dass sich der Attentäter von München den Tatort außerhalb der Schule gesucht hat – wie Breivik –, spricht dafür, dass er sich den Norweger als Vorbild gesucht hat.

STANDARD: Ist seit dem Amoklauf in Winnenden 2009 genügend Präventionsarbeit passiert?

Mayer: Es lief ein dreijähriges Forschungsprojekt über Amokläufe, das nun fertiggestellt wurde. Darin sind Erkenntnisse enthalten, worauf zu achten ist, um potenzielle Täter eher zu erkennen. Diese Erkenntnisse sollten allen Personen, die mit jungen Leuten arbeiten, zugänglich gemacht werden.

STANDARD: Unter anderem aufgrund der Arbeit der Stiftung gegen Gewalt an Schulen wurde im Jahr 2009 das deutsche Waffenrecht verschärft. War das genug?

Mayer: Wir können nie sagen, dass wir so eine Tat wie in München hätten verhindern können. Durch die Verschärfung des Waffenrechts ist viel passiert, aber durch München hat sich eine Lücke offenbart: die Dekowaffen, die leicht wieder rückbaubar sind. Hier muss nachgebessert werden.

STANDARD: Experten sind sich einig, dass Medien bei der Berichterstattung über Amokläufe weg vom Täter hin zu den Opfern berichten sollten. Auch um die Nachahmungsgefahr zu verringern. Doch wie soll das geschehen, ohne die Opfer zu sehr zu belasten?

Mayer: Das ist nicht einfach. Nicht zu berichten geht nicht. Man sollte aber auch nicht nur die Opfer in den Fokus stellen. Eine Richtlinie besagt, dass man alles Geschriebene daraufhin überprüfen sollte, ob es als Werbung für den Täter verstanden werden kann.

STANDARD: Wie sollen die Medien konkret berichten?

Mayer: Man muss die Täter als das bezeichnen, was sie sind: feige, hinterhältige Mörder. Es braucht keinen Mut, um mit 300 Schuss und schwerer Bewaffnung vor einem Restaurant in München unschuldige Menschen zu erschießen. Das ist keine Heldentat, das ist kein Krieg. Nachahmer wollen aber Helden sein und sich an der Gesellschaft rächen, wollen nicht als Feiglinge bezeichnet werden.

STANDARD: Was hätten Sie sich bei der Berichterstattung über Winnenden gewünscht?

Mayer: Dass Journalisten zuerst nachdenken. Dass sie den Täter nicht als Kämpfer und in einer Pseudouniform abbilden. Sondern sachlich berichten, dass er in einer Schule feige und von hinten junge Mädchen erschossen hat. Außerdem hätte ich mir gewünscht, dass sie über die Leistung der Stadt und der Gemeinschaft berichten, die zusammengehalten und wieder zur Normalität gefunden haben.

STANDARD: Glauben Sie, dass einige Opfer von Winnenden erneut durch die Berichterstattung traumatisiert werden?

Mayer: Bei einigen Eltern ist das durchaus der Fall. Das ist sehr schwer. Doch ich sehe auch die andere Seite: Attentäter suchen sich Vorbilder. Der Täter von München hat sich offenbar auch den Schützen von Winnenden ausgesucht. Das hat mich furchtbar erschreckt. Ich kenne die Vorbildwirkung des Amoklaufs von Columbine auf weitere Taten in den USA und werde alles tun, dass Winnenden nicht dieselbe Vorbildfunktion einnimmt. (Bianca Blei, 26.7.2016)