Wien – Dokumentaristen arbeiten mit dem Material, das sie vorfinden. Das ist wahr und zugleich nicht, denn dem vorgefundenen Material geht erstens zumeist eine Recherche voraus und zweitens ist es bedeutsam, wie die Bilder arrangiert und angeordnet werden.

Gianfranco Rosis auf der Berlinale mit einem Goldenen Bären ausgezeichneter Dokumentarfilm Seefeuer (Fuocoammare), den er auf der Mittelmeerinsel Lampedusa gedreht hat, bietet in dieser Hinsicht einigen Gesprächsstoff. Die 400.000 Flüchtlinge, die dort in den letzten 20 Jahren gestrandet sind, wie es am Anfang in einem Insert heißt, zeichnet Rosi nämlich nur sehr eingeschränkt auf.

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Natürlich sieht man engagierte Leute wie einen Arzt, der sich um das Wohl all seiner Patienten sorgt, oder unterschiedliche Beamte, die den nicht abreißenden Zustrom an Menschen in halbwegs geordnete Bahnen lenken. Doch die Migranten selbst bleiben eigenartig gesichtslos – eine Menge, die nicht individualisiert wird. Und in dieser Form wohl offen für angstbesetzte Projektionen ist.

Souveräner Menschenbeobachter

Umgekehrt ist Rosi, wie er schon in Filmen wie Below Sea Level oder Sacro GRA bewiesen hat, ein souveräner Menschenbeobachter. In Seefeuer richtet er seine Sinne vor allem auf die Lokalbevölkerung, die mit der Parallelwelt der Flüchtlinge und ihren Auffanglagern kaum in Berührung kommt. In präzisen, einem Spielfilm würdigen Szenen begleiten wir den vorlauten zwölfjährigen Fischersohn Samuele, der mit selbstgebastelten Steinschleudern durch sein Inselreich abenteuert.

Ist dieses bedroht? So weit geht Rosi nicht, doch sein Blick auf die Welt der Einheimischen hat einen stark nostalgischen Zug. Die Toten hingegen, die er später auf den Schiffen filmt, bezeugen eine nackte Realität, von der dieser seltsam rhapsodische Film nur einen dürren Ast einfängt. (kam, 26.7.2016)