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Kriegsbemalung? Der lettische Sportler Edzus Treimanis setzte 2012 in London lieber auf Kinesio-Tape im Gesicht.

Foto: Reuters /Stefano Rellandini

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Eine Volleyballspielerin bei den Olympischen Spielen 2012 in London.

Foto: REUTERS/Marcelo Del Pozo

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Haut und Gewebe werden bei jeder Bewegung stimuliert, so die Theorie hinter Kinesio-Tapes.

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Blau, gelb, rosarot: Bei den Olympischen Spielen erscheinen nicht nur die Athleten auf der Bildfläche, sondern auch ihre beklebten Körper. Sie kleben auf Knie, Schenkel, Schultern und zeigen damit meistens auch, welche Körperpartien von einer sportlichen Disziplin besonders beansprucht werden. Sogar im Gesicht hat man die Pflaster schon gesehen, dort wohl eher als Kriegsbemalung.

Die Theorie hinter den sogenannten Kinesio-Tapes: Dort, wo die elastischen Pflaster kleben, werden Haut und Gewebe bei jeder Bewegung stimuliert. "Das regt die Lymph- und Blutzirkulation an", erklärt Julia Haberzettl, Physiotherapeutin in der Sportordination in Wien. Schwellungen und Ödeme sollen so leichter abheilen.

Die Körperpartie, an der das Tape klebt, wird laut Haberzettl aktiver wahrgenommen, die Schmerzrezeptoren durch das Anheben der Haut unter dem Tape entlastet, was zu einer Linderung der Beschwerden führen kann. Auch einen psychologischen Faktor sieht die Expertin: "Ein gewisser Placebo-Effekt ist sicher nicht von der Hand zu weisen – wie bei jeder anderen Behandlung auch."

Nachfrage steigt

Die Liste der Diagnosen, bei denen Kinesio-Tapes zum Einsatz kommen, ist lang: Bei Muskelverletzungen, Zerrungen, Muskelkater, Verspannungen, Sehnenansatzproblemen, neurologischen Erkrankungen und sogar Regelschmerzen wird geklebt. Auch bei muskulären Dysfunktionen oder zur Gelenksstabilisation kommen die Bänder zur Anwendung. Besonders empfehlenswert sei die Methode aber bei muskulären Beschwerden, sagt der Wiener Orthopäde Steven Moayad.

Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit der in den 1970er-Jahren in Japan entwickelten Methode fehlen jedoch weitgehend. In einer 2015 im British Journal of Sports Medicine publizierten Meta-Analyse wurde festgestellt, dass Kinesio-Tapes bei Schmerzen im muskoskelettalen System keine Vorteile gegenüber anderen Behandlungsmethoden bringen.

"Aber ich sehe in der Therapie, dass es wirkt", sagt Haberzettl. Und die Nachfrage an der Methode steigt stetig: "Viele Menschen rufen extra deswegen bei uns an", sagt Haberzettl. Eine Untersuchung vorab sei aber unbedingt notwendig.

Immer mehr tapen selbst

Denn eine Funktionsstörung lässt sich alleine durch Tapen nicht beheben. Als Unterstützung zu einer Therapie funktioniere es aber gut. "Was ich daran mag: Ich kann den Leuten etwas mit nachhause geben. Das Tape wirkt bis zu fünf Tage nach." Spätestens dann sollte es aber entfernt werden, weil es seine Spannung verliert – und unansehnlich wird.

Mittlerweile gibt es Bücher, die sich dem Thema widmen – und die auch Laien zeigen, bei welchen Beschwerden ein Tape wie angelegt werden soll. Haberzettl sieht das kritisch. Denn richtiges Tapen erfordert anatomische Kenntnisse – und das Wissen, mit welchem Zug das dehnbare Band angelegt werden soll. An bestimmten Körperteilen – etwa an der Wade – lasse sich ein Tape zudem alleine kaum richtig anlegen. Außerdem gebe es mittlerweile unzählige Anbieter von Tapes – und dabei große Qualitätsunterschiede, was Vordehnung und Struktur betrifft.

Allergie auf Klebstoff

In den meisten Fällen ist ein falsch angelegtes Tape wirkungslos. Wer sich aber beispielsweise die Kniescheibe falsch klebt, riskiert eine Knorpelüberlastung, warnt Haberzettl.

Überhaupt ist von Tapen abzuraten, wenn offene Wunden oder Hauterkrankungen vorliegen. Eine Allergie auf den Acrylkleber, mit dem das Pflaster an der Haut klebt, sei zwar selten, komme aber doch immer wieder vor, sagt Moayad. Auch in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft sollten Tapes im Wirbelsäulenbereich vermieden werden, so Haberzettl.

Mittlerweile sind die Klebestreifen in unzähligen Farben erhältlich. Blau soll traditionell beruhigend wirken, Rot anregend, meinen Anhänger der Farbenlehre. Moayad gehört nicht zu ihnen: "Aber interessant ist schon, dass gewisse Farben an manchen Patienten schlechter halten."

Haberzettl sieht die Farbwahl pragmatisch: "Den Menschen ist wichtig, dass das Klebeband zum Sportoutfit passt", erzählt sie lachend. Daher lässt sie ihren Patienten bei der Farbauswahl auch freie Hand. Ob die Olympia-Athleten bestimmen dürfen, ob sie blau, gelb oder rosa kleben, ist nicht bekannt. (Franziska Zoidl, 7.8.2016)