Wenn es eine Kultur auf der Welt gibt, die die schwierige Kunst des Rindfleisch (Aus)Kochens beherrscht, dann ist es die Vietnamesische. Sie schafft es, aus Rindsknochen, den richtigen Fleischstücken und einer Handvoll Gewürzen den König der Suppentöpfe zu erschaffen: Pho Bo, den Rinds-Pho.

Gute Pho Bos (Des Vietnamesischen Mächtige mögen mir die Mehrzahlbildung verzeihen) sind die balanciertesten Nudelsuppen, die mir bisher in die Schüssel gekommen sind. Sie leiden nie unter der fett-dreckigen Üppigkeit, die vor allem Tonkotsu Ramen so oft heimsucht oder der brutalen Würze einer Sichuan-Suppe, die mitunter noch Tage nach dem Essen im Esser wütet. Ihr Geschmack ist im Idealfall klar und rein wie frische Bergluft, die glücklicherweise intensiv nach gutem Rind duftet, und erfrischend wie Quellwasser, das hier heiß sein und nach Fleisch, Koriander, Frühlingszwiebel und ein wenig Chili schmecken darf. Das alles macht sie nicht nur köstlich, sondern auch zum perfekten Kateressen.

Foto: Tobias Müller

Seit einigen Monaten wollte ich hier über Pho Bo schreiben und dafür mit jener Dame kochen, die für den besten mir in Wien bekannten Pho im Vietthao am Karlsplatz zuständig ist. Leider ist aus diversen Gründen nichts daraus geworden. Dafür habe ich die letzten Wochen in Sydney verbracht, dank riesiger Community aus allen Teilen Asiens einer der Nudelsuppen-Hauptstädte der Welt, und hier jede Menge Pho gegessen. Außerdem hat Lucky Peach seine gesamte aktuelle Ausgabe diesem potentiellen Ramen-Nachfolger gewidmet, Pho-Basisrezept inklusive. Ich habe mich daher in Sydney selbst ans Pho Bo machen gemacht.

Wie so oft gilt auch beim Pho: es gibt so viele Rezepte wie Köche. Während die ursprüngliche, etwa 100 Jahre alte Variante aus dem Norden Vietnams stammt und relativ frugal gehalten ist – Rindfleisch, Reisnudeln, und das wars – wird die heute populärere, südvietnamesische Variante üppiger gewürzt und mit allerlei Kräutern und Saucen gereicht. Mein Rezept ist eine Mischung aus dem Grundrezept aus Lucky Peach und dem besten Pho, den ich kenne – jenem von Pho An im sehr vietnamesischen Sydneyer Stadtteil Bankstown. Pho Ans Pho Bo ist, ich kann es nicht anders nennen, spektakulär gut. Die Suppe ist so perfekt, dass ich abseits von ein paar Chilis nichts von den gereichten Beilagen hinein gebe – sie ist schlicht nicht zu verbessern.

Würzübung

Jetzt kann man natürlich zu recht sagen: so wie Straßenessen im Allgemeinen und Nudelsuppen im Speziellen ist Pho Bo nicht wirklich ideal, um zu Hause gekocht zu werden. Er profitiert enorm davon, in großen Mengen gekocht zu werden, wer nur ein paar Portionen macht, hat unproportional viel Arbeit und ein schlechteres Produkt. Ich finde aber: es macht trotzdem Spaß. Pho kochen ist eine hervorragend Übung im Balancieren von Würze – wer Pho Bo kochen übt, der lernt sehr viel über die hohe und hierzulande fast vergessene Kunst des Suppe Machens.

Kochen Sie einfach große Mengen Suppe und frieren Sie sie ein, dann haben Sie wochenlang ein mögliches schnelles Frühstück zur Hand. Oder schmeißen Sie eine Pho Bo Gartenparty. Und lassen Sie sich nicht von sommerlichen Temperaturen vom Suppe kochen abhalten. Heiße, scharfe Nudelsuppe ist das Beste, was man bei Hitze essen kann. Klingt seltsam, ist aber so. Fragen Sie die Vietnamesen.

Das folgende Rezept wird zu etwas führen, dass eindeutig als Pho erkennbar ist. Weil aber alle Rinderknochen und Gewürze anders sind, kann nur viel Übung und Kosten wahrlich große Ergebnisse zeitigen.

Sie brauchen jedenfalls in etwa folgendes:

Rinderknochen und Suppenfleisch: Richtig guter Rinds-Pho schmeckt zuallererst einmal nach Rind, deswegen sparen Sie hier nicht. Bei den Knochen empfiehlt sich Ochsenschlepp und/oder Markknochen, beim Fleisch ist die Rinderbrust sehr gut geeignet, erst der Suppe Geschmack zu geben und dann später dünn geschnitten in ihr serviert zu werden.

Foto: Tobias Müller

Gewürze: Damit Pho unverkennbar nach Pho schmeckt, brauchen Sie den Großteil der folgenden Aromastoffe: Zwiebel, Ingwer, Nelke, Sternanis, schwarzer Kardamon, Vietnamesischen Zimt oder Cassia Rinde, und Pfeffer. Das ist alles relativ problemlos im Asiashop Ihres Vertrauens zu besorgen. Die Gewürze werden in scheinbar homöopathischen Mengen verwendet, da sie aber allesamt sehr aromatisch sind und im Ergebnis eher im Hintergrund bleiben sollen, reicht das.

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Nudeln: Frische Reisnudeln sind die Standard-Einlage für Pho. Sie können sie entweder selber machen oder im Asia-Shop kaufen (meist im Kühlschrank zu finden). Das Pho An verwendet sehr lange, eher dünne Nudeln – ähnlich überlangen Linguini – die außerdem ziemlich weich gekocht werden. Al Dente ist hier fehl am Platz.

Foto: Tobias Müller

Fleisch-Einlagen: Meine Lieblingsversion im Pho An ist jene, die als "Pho Bo Combination" auf der Karte steht und eine ganze Reihe traditioneller Einlagen enthält: gekochte Rinderbrust, deren Fett den Geschmack der Suppe wunderbar aufnimmt; rohes Rindfleisch, das hier besonders dünn geschnitten wird und einen herrlich fein-frischen Geschmack hat; stundenlang weich gekochte Rinderknorpel; und dünn geschnittenen Kutteln für den Extra Biss und Abwechslung in der Konsistenz. Außerdem schwimmen Koriander, dünne, rohe Zwiebelringe und ein wenig gehacktes Frühlingszwiebel-Grün in die Suppe. Sie müssen natürlich nicht immer alles bei der Hand haben. Schmeißen Sie in ihren Suppentopf, was Ihnen unterkommt und gut und richtig erscheint.

Ein paar Worte zum rohen Rindfleisch: Hier ist essenziell, dass es in schön dünne Scheiben geschnitten wird, die durch die Hitze der Suppe ein wenig garen. Meist wird Beiried verwendet, bei vietnamesischen Fleischern und größeren Asia-Läden ist es bereits vorgeschnitten erhältlich. Wer nicht das Glück hat, in der Nähe von so einem Laden zu wohnen: gefroren lässt sich das Fleisch viel leichter wunderbar dünn schneiden, etwa auf einer Wurstschneidemaschine. Ansonsten hilft etwas Übung und ein sehr sehr scharfes Messer.

Salat und andere Beilagen: Pho An serviert zu seinem Pho eine Platte mit frischen Sprossen, Thai-Basilikum und Zitronenvierteln und eine Schüssel klein gehackter Bird Eye Chilis zum Einstreuen. Während ein exzellenter Pho nicht mehr braucht als etwas Chili, werden Ihre ersten hausgemachten Phos wahrscheinlich von Sprossen, noch mehr Kräutern und eventuell Saucen profitieren. Falls Sie also Thai-Minze, Fischsauce oder Hoisin Sauce zur Hand haben, zögern Sie nicht und reichen Sie dazu. Die Zitrone kann übrigens durch eine Limette ersetzt werden, beides macht sich sowohl über die Sprossen als auch in die Suppe gepresst gut.

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Pho Rezept

Die folgenden Mengenangaben gelten für etwa vier Liter Suppe – machen Sie aber so viel, wie in ihren Topf passen. Bereiten Sie die Suppe idealer Weise einen Tag vor dem geplanten Servieren zu.

Genug Rindsknochen, um Ihren größten Topf zur Hälfte zu füllen, bei Haushaltsgrößen maximal 2 Kg

1/2 Kg Rinderbrust

Rohes, dünn geschnittenes Rindfleisch, pro Esser etwa 50 Gramm

Kutteln und Rindersehnen nach Belieben, pro Esser etwa je 50 Gramm

2 große Zwiebeln

1 daumengroßes Stück Ingwer

Je ein Sternanis, Nelke, daumengroßes Stück Cassia Rinde, schwarzer Kardamon

Einige Pfefferkörner

Salz

Drei Esslöffel brauner Zucker oder, noch besser, ein ordentliches Stück Palmzucker

Koriander und Thaibasilikum

Bird Eye Chilis

Frühlingszwiebelgrün, gehackt

Sehr dünne Scheiben roher, weißer Zwiebel

Sprossen und Saucen nach Belieben

Tag 1

Packen Sie den Ingwer und die großen Zwiebel bei 180 Grad in den Ofen. Rösten Sie es für etwa eine Stunde.

Bringen Sie in einem großen Topf genug Wasser zum Kochen, dass alle Knochen damit bedeckt sind. Geben Sie die Knochen hinein und lassen Sie es erneut aufkochen und drei Minuten kochen, dann gießen Sie das Wasser ab. Waschen Sie die Knochen und den Topf gründlich. Das sorgt später für eine klarere Suppe.

Geben Sie die blanchierten Knochen und die Rinds-Sehnen (falls Sie sie verwenden) in den Topf und geben Sie genug Wasser dazu, dass alles etwa zehn Zentimeter bedeckt ist. Bringen Sie es über hoher Hitze zum Kochen und lassen es dann über sehr niedriger Hitze sieden.

Nach einer Stunde schälen sie die gerösteten Zwiebeln und geben sie gemeinsam mit dem Ingwer, den Gewürzen und der Rinderbrust in den Topf. Salzen und zuckern Sie. Warten Sie fünf Minuten und riechen Sie an Ihrer Suppe – auf wundersame Weise wird sie plötzlich nach Pho duften.

Foto: Tobias Müller

Lassen Sie das Rindfleisch so lange sieden, bis es schön weich ist, etwa zwei bis drei Stunden. Heben Sie es heraus, kühlen es in Eiswasser ordentlich ab und stellen es bis zum Servieren beiseite. Lassen Sie die Suppe eine weitere Stunde köcheln und seihen sie schließlich ab. Nehmen Sie die Sehnen heraus und legen Sie mit der Brust zur Seite. Alles über Nacht kalt stellen. Am nächsten Tag können Sie ganz leicht das harte Rinderfett von der Oberfläche der Suppe abnehmen.

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Kochen Sie die gut geputzten Kutteln (falls Sie sie verwenden) in einem separaten Kochtopf in gesalzenem Wasser, bis sie weich sind, etwa vier Stunden. Schrecken Sie sie gut ab und pressen Sie die Kutteln eventuell über Nacht in einer Pfanne unter ein paar schweren Töpfen. Das macht es leichter, sie in dünne Streifen zu schneiden.

Tag zwei bzw. vor dem Servieren

Bringen Sie ihre Suppe erneut zum Kochen und bereiten Sie all ihre Einlagen vor:

Verflüssigen Sie ihr Rinderfett über niedriger Hitze, schneiden Sie Rinderbrust in dünne Scheiben, hacken Sie den Koriander und die Frühlingszwiebel klein, legen Sie das rohe, dünn geschnittene Rindfleisch bereit, schneiden Sie die Kutteln in dünne Streifen und die Knorpel in mundgerechte Happen, waschen Sie die Sprossen und Kräuter, schneiden Sie die Chilis und vierteln Sie die Zitronen.

Foto: Tobias Müller

Zuletzt, wenn Ihre Suppe bereits wallt, kochen Sie die Nudeln nach Anleitung auf der Packung – das dauert nur wenige Sekunden.

Foto: Tobias Müller

Geben Sie in jede Schüssel eine Portion Nudeln, Rinderbrust, Kutteln, Knorpeln und einen Löffel flüssiges Fett. Gießen Sie alles mit wallender Suppe auf, legen Sie das rohe Rindfleisch obenauf, bestreuen alles mit gehacktem Koriander, Frühlingszwiebelgrün und rohen Zwiebelringen und servieren es mit Sprossen, Chili, Kräutern, Zitronen und Saucen zum Nachwürzen. Mit Stäbchen und Löffel genießen. Sie haben es sich verdient. (Tobias Müller, 7.8.2016)

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