Im September 2015 sind in Nickelsdorf noch große Massen an Flüchtlingen angekommen. Österreichweit wurden in diesem Monat 10.666 Asylanträge verzeichnet.

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Mittlerweile hat sich das Bild gewandelt. In den vergangenen Monaten gab es rund 3.000 Anträge.

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Wien – Aus Sicht des Innenministeriums sind die Vorarbeiten abgeschlossen. Ein Entwurf für eine Sonderverordnung zur Einschränkung des Asylrechts – vulgo Notverordnung – liegt fixfertig in der Schublade, wie Sprecher Karl-Heinz Grundböck bestätigt. Was noch fehlt, ist, wie berichtet, die Zustimmung der SPÖ, die noch nicht restlos überzeugt ist, dass man diese Möglichkeit wirklich braucht.

Voraussetzung für das Inkrafttreten der Verordnung ist, "dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sind", wie es im Asylgesetz heißt. Die Folgen wären erheblich: Viele Flüchtlinge könnten direkt an der Grenze zurückgewiesen werden. Wer illegal einreist und einen Asylantrag stellt, könnte in Polizeianhaltezentren festgehalten werden.

Funktionsfähigkeit beeinträchtigt

Stellt sich natürlich die Frage, ob man im Österreich des Jahres 2016 wirklich von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sprechen kann. Berücksichtigt werden soll jedenfalls die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen des Asyl-, Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Sicherheitsbereiches.

Den Verordnungsentwurf veröffentlicht das Innenministerium zwar noch nicht, Sprecher Grundböck macht aber klar, dass nicht nur harte Fakten – also etwa Asyl- oder Arbeitslosenzahlen – Eingang finden werden, sondern auch abstrakte Entwicklungen. Eine wichtige Rolle spiele im Bereich der inneren Sicherheit etwa die "Polarisierung der Gesellschaft". "Es geht darum, wie der soziale Friede von den Themen Asyl und Migration mitbeeinflusst wird." Nachlesbar sei das auch in den jüngsten Verfassungsschutzberichten.

Steigende Fremdenkriminalität

Ein weiterer Grund für die Verordnung sei die "steigende Fremdenkriminalität, die faktisch gegeben ist". Grundböck verweist auf frühere Aussagen des Generaldirektors für die öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler, wonach es vor allem im Bereich der Kleinkriminalität ein Plus gebe. Umgekehrt sei auch die wachsende Zahl an Vergehen gegen Flüchtlinge und Zuwanderer "ein Indikator dafür, dass der soziale Friede gefährdet ist", sagt Grundböck.

Konkrete Zahlen für 2016 gibt es freilich noch nicht, weil die Daten noch unbereinigt sind (Doppelzählungen sind möglich) und daher erst im Frühjahr 2017 veröffentlicht werden.

Schwieriger Arbeitsmarkt

Sehr wohl konkrete Zahlen gibt es für den Arbeitsmarkt. Zwar ist Österreich als eines von wenigen EU-Ländern mit steigenden Arbeitslosenzahlen konfrontiert, gleichzeitig gibt es aber nur sieben EU-Staaten, die eine niedrigere Arbeitslosenquote haben. Nicht zuletzt deshalb deponierte Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) zuletzt, man sei weit von einer Notsituation entfernt. Im Bildungs- und Gesundheitsministerium wollte man sich auf Anfrage erst gar nicht dazu äußern, wie groß man die Belastung des Systems durch Flüchtlinge einschätzt.

Allgemein gerechnet wird in Regierungskreisen mit Klagen, sobald Flüchtlinge wegen der Notverordnung abgewiesen werden. Damit diese vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht gekippt wird, braucht es also eine gute Begründung, warum zu einer drastischen Einschränkung des Asylrechts gegriffen wird.

"Erhebliche Gefahr"

Laut ständiger Rechtssprechung des EuGH braucht es für die Gefährdung der öffentlichen Ordnung nämlich außer einer "sozialen Störung" auch eine "tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr", die "ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt". Der Begriff der inneren Sicherheit wiederum umfasst laut EuGH "die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung". Zudem muss das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.

In den Erläuterungen zum aktuellen Asylgesetz wurde an diversen Stellen darauf hingewiesen, die öffentliche Ordnung und Sicherheit seien wahrscheinlich gefährdet, wenn der Zustrom an Schutzsuchenden im Jahr 2016 in einer "vergleichbar hohen Zahl" wie im Vorjahr erfolgt.

24.260 zugelassene Anträge

Wie schauen nun die letzten Asylzahlen aus? Von den fast 90.000 Anträgen des Vorjahrs ist man weit entfernt. Ende Juli gab es laut Innenministerium exakt 24.260 zum Verfahren zugelassene Anträge. Pro Monat sind zuletzt etwa 3.000 dazugekommen. Der von der Regierung festgelegte Richtwert von 37.500 würde bei anhaltender Entwicklung also ungefähr im November überschritten.

Kanzler Christian Kern (SPÖ) stellte deshalb in der "Kronen Zeitung" die Frage, "ob man sich für bloß vier Wochen bis zum Jahresende den ganzen Wirbel bei der Umsetzung der Notverordnung antun soll". Laut Gesetz kann die Sonderverordnung bis zu sechs Monate erlassen, und bis zu drei Mal verlängert werden.

Wie stark der Richtwert heuer überschritten wird, hängt aber auch von den Nachbarländern ab. Aktuell gibt es noch rund 10.000 Asylanträge nach dem Dublin-Verfahren (zuständig ist jener EU-Staat, in dem der Flüchtling zuerst eingereist ist), die noch geprüft werden. Wie berichtet gibt es vor allem mit Ungarn Probleme bei der Kooperation. Können diese Flüchtlinge also nicht in ein anderes EU-Land überstellt werden, könnte ein Großteil dieser 10.000 Menschen auch in Österreich zum Asylverfahren zugelassen werden – und dann würde der Richtwert wohl deutlich überschritten. (Günther Oswald, 12.8.2016)