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Chronisch kranke Kinder brauchen auch in der Schule immer wieder Hilfe von ihren Lehrerinnen und Lehrern. Dabei geht es um komplexe haftungsrechtliche Fragen. Im Bild bekommt ein Mädchen von seiner Mutter mit einem Pen das notwendige Insulin gespritzt.

Foto: dpa-Zentralbild/Jens Kalaene

Wien – In Österreich gibt es mehr als 190.000 Kinder, die chronisch krank sind. Sie leben zum Beispiel mit Asthma, Allergien, Diabetes, Epilepsie oder Rheuma. Viele von ihnen brauchen ständig Medikamente und im Notfall schnelle Hilfe durch Erwachsene. Zu Hause sind das die Eltern – aber was ist in der Schule, wenn ein allergisches Kind beim Wandertag von einer Biene gestochen wird, beim Turnen einen akuten Asthmaanfall oder einen epileptischen Anfall hat? Dann sind die Lehrerinnen und Lehrer gefordert.

Über dieses rechtliche Problemfeld gibt es nun auf Juristenebene im Unterrichtsministerium eine Diskussion, die dem Vorsitzenden der Pflichtschullehrergewerkschaft Paul Kimberger "große Sorgen bereitet", wie er im STANDARD-Gespräch sagt. Es geht um die angemessene Betreuung chronisch kranker Kinder in der Schule und die rechtliche Absicherung der Lehrerinnen und Lehrer, die die Gewerkschaft in Gefahr sieht – beides nämlich, die gute Versorgung der Kinder und den Schutz für die Pädagogen.

Starker Schutz des Staates

Bisher ist jede dieser Handreichungen für kranke Kinder, die über Erste Hilfe, zu der ohnehin jeder verpflichtet ist, hinausgeht, für den Fall, dass etwas passieren sollte, durch die Amtshaftung der Republik abgesichert, erklärt Kimberger: "Grundsätzlich hat die Republik gehaftet, weil die Lehrer als Organ der Republik tätig sind, wenn sie dem chronisch kranken Kind helfen. Nur wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin grob fahrlässig handelt, kann direkt auf ihn oder sie zugegriffen werden. Das ist ein wirklich starker Schutz, aber der ist auch notwendig."

Aus Juristensicht stellt sich die Sachlage laut dem Lehrergewerkschaftschef diffiziler dar. Ausgehend davon, dass die Betreuung von chronisch kranken Kindern in der Schule durch Lehrer eine "freiwillige Leistung" ist, zu der auch kein Pädagoge gezwungen werden kann, gibt es juristische Positionen, die meinen, "dass die Lehrer zivilrechtlich haftbar sind, wenn etwas passiert, weil sie das ja freiwillig machen".

"Finger weg!"

Das sorgt natürlich für Alarmstimmung in der Lehrerschaft, und der Gewerkschaftschef sagt klar: "Wenn Lehrer hier durch den Dienstgeber Staat nicht mehr wirklich gut geschützt sind, kann ich nur jedem Lehrer sagen: Finger weg! Denn da geht es im Extremfall um die Existenz." Die Gewerkschaft wird in diesem Fall "die Empfehlung geben, die Betreuung und Aktivitäten mit chronisch kranken Kindern sehr restriktiv zu behandeln", warnt Kimberger.

Das hätte weitreichende Konsequenzen: "Wir sind als Lehrer sehr daran interessiert, dass auch chronisch kranke Kinder alles mitmachen können, was Schule ausmacht – Skikurse, Ausflüge, Exkursionen etc. –, das wäre dann gefährdet." Die gewerkschaftliche Forderung für dieses Szenario würde lauten: "Bei jeder Schullandwoche müsste, wie in anderen Ländern durchaus üblich, eine diplomierte Krankenschwester oder ein Arzt dabei sein."

Diese juristisch unsichere Lage "muss geklärt werden, um Rechtssicherheit zu haben – nicht nur für die Lehrer, auch für die Eltern und die Kinder", fordert der Lehrergewerkschafter. Dazu ist zuallererst die politische Zuständigkeit zu klären: Wer ist für diese gesundheitlichen Unterstützungsleistungen zuständig? Das Unterrichts- oder das Gesundheitsministerium? Ende August gibt es einen Termin bei Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ).

"Grottenschlechte" Zustände

Kritik an der aktuellen Versorgung chronisch kranker Kinder in der Schule kommt derweil auch von der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. "Aus der Perspektive der Kinder und Eltern ist sie grottenschlecht geregelt", sagt Liga-Präsident Klaus Vavrik dem STANDARD. Nicht nur, dass es eine extrem schlechte Datenlage über die betroffenen Kinder gebe: "Kinder mit chronischen Erkrankungen erleben zu einem großen Teil Einschränkungen, etwa, dass sie nicht die volle Schulzeit absolvieren oder nicht an Projektwochen oder Ausflügen teilnehmen dürfen, aus Angst, dass sie Medikamente brauchen", kritisiert der Kinder- und Jugendpsychiater. "Dabei wäre es auch Aufgabe des Lebensraums Schule, diese Kinder zu integrieren."

Vavrik hat Verständnis dafür, "dass nicht alles auf die Lehrer abgewälzt werden kann". Er plädiert für Schulgesundheitsteams, in denen Schulärzte, Psychologen, Sozialarbeiter etc. zusammenarbeiten, um die Bedürfnisse nicht nur chronisch kranker Kinder abzudecken. Denkbar wären weiters "Schulgesundheitskompetenzzentren" auf Bezirksebene. Auch notwendige Therapien wie Ergotherapie oder Logopädie könnten vor Ort angeboten werden, wie es das in einigen Wiener Schulen bereits gibt.

Mehr Kompetenzen für Schulärzte

Vavrik fordert zudem, die Kompetenzen der Schulärzte auszuweiten. Derzeit dürfen sie keine Diagnosen erstellen oder therapeutisch tätig werden, sondern nur Lehrer beraten und die bekannten "Reihenuntersuchungen" (Größe messen, Wirbelsäule anschauen etc.) durchführen.

Vavriks Schulvision sähe so aus, dass es für alle Beteiligten eine "Selbstverständlichkeit ist, dass man einem Kind bei Bedarf beim Verabreichen eines Asthmasprays hilft, dass es aber auch Gesundheitspersonal braucht". (Lisa Nimmervoll, 15.8.2016)