Der 1929 entdeckte, rund 700.000 Jahre alte Schädel des Pekingmenschen in einer Nachbildung. Rezente Funde in China werfen neue Fragen zum Übergang von Homo erectus zu Homo sapiens auf.

Foto: Yan Li

London/Wien – 1929 war die Entdeckung eine Weltsensation: Forscher fanden in den Drachenknochenhügeln am Stadtrand von Peking einen gut erhaltenen Schädel, der damals auf eine halbe Million Jahre datiert wurde. Man erklärte den Fund zum Pekingmenschen und glaubte, die Wiege des Menschen gefunden zu haben.

Doch in den Jahrzehnten danach wurden in Afrika immer ältere Fossilien von möglichen Vorfahren und Verwandten des Menschen entdeckt. Das hatte zum einen zur Folge, dass sich die westlichen Paläoanthropologen immer mehr auf Afrika konzentrierten. Zum anderen setzte sich dann spätestens in den 1980er-Jahren die Out-of-Africa-Theorie gegen jene vom asiatischen oder multiregionalen Ursprung des modernen Menschen durch.

Das heutige Lehrbuchwissen geht davon aus, dass es vermutlich drei Mal zu einem "Out of Africa" (benannt nach dem Bestseller von Karen Blixen) kam: Vor 1,8 Millionen Jahren wanderte der Homo erectus nach Eurasien aus, vor rund 400.000 Jahren machte sich Homo heidelbergensis auf die Reise, der sich in den Neandertaler und den asiatischen Denisova-Menschen aufspaltete, ehe schließlich vor etwas mehr als 100.000 Jahren Homo sapiens seinen Siegeszug rund um die Welt antrat.

Doch in den letzten Jahren kam insbesondere durch einige neue Funde in China einige Verwirrung in diese Hypothesen: Sie zeigen im Wesentlichen, dass es vor etwa 900.000 bis 125.000 Jahren in Ostasien von Frühmenschen nur so wimmelte, deren Eigenschaften irgendwo zwischen Homo erectus und Homo sapiens liegen, behauptet der chinesische Forscher Wu Xinzhi, der mit dieser Aussage in einem Übersichtstext in "Nature" zitiert wird. Es zeige sich immer mehr, dass etliches an Material aus Asien nicht mit dem klassischen Bild der Evolution des Menschen in Übereinstimmung zu bringen sei.

Belächelte Theorien

Westliche Paläoanthropologen hatten jene chinesischen Kollegen, die an der wichtigen Rolle Asiens bei der Entwicklung des Menschen festhielten, lange belächelt. Doch mittlerweile nimmt man die Forschungen in China ernster: Asien sei ein von den westlichen Fachkollegen "vergessener und unterschätzter Kontinent", sagt etwa Chris Stringer (Natural History Museum, London) im "Nature"-Artikel.

Wissenschafter in China deuten die neu gefundenen "Übergangsfossilien" als Beweis dafür, dass der Pekingmensch, der mittlerweile als 700.000 Jahre alt gilt, ein Vorfahre des modernen asiatischen Menschen sei. Der vom Homo erectus abstammende Frühmensch habe sich demnach in Asien mit neuen Gruppen aus Afrika und anderen Teilen Eurasiens gekreuzt.

Diese These der Kontinuität mit Hybridisierung verträgt sich allerdings schlecht mit genetischen Daten: Auch 97,4 Prozent der DNA heute lebender Chinesen stammen vom prähistorischen modernen Menschen aus Afrika. Die neuen Funde in China könnten aber auch damit erklärt werden, dass der moderne Mensch vor mehr als 100.000 Jahren gleich einmal nach China wanderte. Womöglich stecken aber auch die Denisova-Menschen dahinter.

Einig sind sich die Wissenschafter nur in einem Punkt: Asien wird in den nächsten Jahren wohl noch stärker als bisher zur Enträtselung der Geschichte der Menschheit beitragen. (tasch, 28.8.2016)