Wien – Eines scheint klar zu sein: Früher oder später wird die sogenannte Asyl-Notverordnung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen. Um die Chancen zu erhöhen, dass sie nicht gekippt wird, hat das Innenministerium in den vergangenen Wochen und Monaten fleißig Material dazu gesammelt, warum die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit in Österreich durch die hohe Zahl an Flüchtlingen gefährdet seien.

Nur unter diesen Voraussetzungen ist es nämlich laut Asylgesetz zulässig, die Verordnung in Kraft zu setzen und somit das klassische Asylrecht massiv einzuschränken. Anträge könnten dann direkt an der Grenze abgelehnt werden, Flüchtlinge dürften in Polizeianhaltezentren zwei Wochen lang festgehalten werden.

Tritt die Notverordnung in Kraft, könnten Flüchtlinge direkt an der Grenze zu Österreich (im Bild Spielfeld) abgewiesen werden.
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Letzte Verhandlungen

Die Regierung will die Notverordnung kommende Woche im Ministerrat beschließen. Derzeit laufen die letzten Verhandlungen. Dem STANDARD liegt bereits ein Entwurf vor, der zum einen zeigt, welch bedrohliches Szenario gezeichnet wird, und zum anderen, wie die SPÖ noch auf Entschärfungen beim Kapitel Arbeitsmarkt drängt.

Aber der Reihe nach: Auf 20 Seiten werden ausführlich die Auswirkungen auf die verschiedenen Staatsbereiche erläutert:

Asylbereich: Wegen des Rückstaus an Asylverfahren (Ende April waren es 85.700) sei das "Funktionieren der öffentlichen Einrichtungen" in diesen Bereichen bereits jetzt "wesentlich beeinträchtigt", heißt es. Und: Ein weiterer Zustrom an Schutzsuchenden vergleichbar jenem des Vorjahrs hätte "einen totalen Zusammenbruch der Einrichtungen zur Folge". Zwar wird betont, die Schließung der Balkanroute habe zu einer Reduktion der Anträge geführt, gleichzeitig wird aber auf Schätzungen verwiesen, wonach allein "in Libyen aktuell zwischen 500.000 und 1 Million Personen auf eine Überfahrt nach Europa" warten würden, sodass die Ankunft einer "weiterhin außergewöhnlich hohen Zahl" an Flüchtlingen nicht auszuschließen sei.

Grundversorgung: Auch bei der Bereitstellung von Quartieren für die Asyl-Grundversorgung wird gewarnt, das System werde im Fall eines erneuten Zustroms "völlig zusammenbrechen". Bereits jetzt habe man "temporäre Obdachlosigkeit der Schutzsuchenden" nicht verhindern können. Zudem seien Großquartiere, auf die man häufig angewiesen sei, "mit einem hohen Potenzial an ethnisch-kulturellen bzw. sozialen Konflikten und Anspannungen" verbunden.

Die gestiegene Zahl an fremden Tatverdächtigen wird vom Innenministerium als Argument für die Verordnung verwendet.
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Sicherheit: Ausführlich zitiert werden Details der Kriminalstatistik. So sei die Zahl der fremden Tatverdächtigen von 2014 auf 2015 von 89.594 auf 92.804 gestiegen, während jene der nichtfremden Tatverdächtigen gesunken sei (von 166.221 auf 157.777). Der Anteil der Asylwerber unter den fremden Tatverdächtigen sei von 11,6 auf 15,6 Prozent gestiegen.

Einen Anstieg gebe es auch bei den Anklageerhebungen und Verurteilungen von Fremden. Seitenweise werden Statistiken zu Suchtmitteldelikten, Diebstahl, Körperverletzungen und sexuellen Übergriffen aufgelistet, und es wird auf Gruppen mit hohen Fallzahlen – Staatsbürger von Afghanistan, Nigeria, Marokko und Algerien werden häufig genannt – eingegangen. Kräftig gestiegen seien umgekehrt aber auch die Delikte gegen Flüchtlinge. In den ersten beiden Quartalen 2015 gab es nur 25 Tathandlungen, im zweiten Halbjahr dann bereits 172.

Justiz: Das Justizministerium wiederum warnt, in den Gefängnissen zeichneten sich "innerhalb der Gruppe der Fremden besondere Radikalisierungstendenzen ab". Bei den Bundesverwaltungsgerichten wird ein weiterer Anstieg der Asylbeschwerdeverfahren – heuer dürften 15.000 anhängig sein – befürchtet.

Schulen: Im Bildungsbereich führe der Anstieg bei den Flüchtlingskindern – die Zahl der außerordentlichen Schüler, also jener, die wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht dem Unterricht folgen können, ist innerhalb eines Jahres um ein Drittel auf 46.000 gestiegen – zu "kaum zu bewältigenden Herausforderungen". Diese Formulierung wollte das Bildungsressort aber ersatzlos streichen, das Innenministerium hat sie jedoch in dem Verordnungsentwurf gelassen. Bemängelt wird in dem Entwurf auch das Fehlen von Schulpsychologen und Sozialarbeitern.

Im Bildungsbereich sieht man die hohe Zahl an außerordentlichen Schülern als Problem an.
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Gesundheit: Bei der psychosozialen Betreuung von Kindern wird auch im Gesundheitskapitel vor einer "massiven Überlastung" gewarnt, insbesondere in der Kinderpsychiatrie. Zudem drohten wegen des Mangels an Gesundheits- und Pflegepersonal "Versorgungsengpässe".

Arbeitsmarkt: Umstritten ist das Arbeitsmarktkapitel. Gegenüber Erstentwürfen des Innenministeriums hat das Sozialministerium von Alois Stöger (SPÖ) bereits zahlreiche Passagen entschärft. Nicht in den Erläuterungen zur Verordnung haben will man, dass "75 Prozent der beim AMS gemeldeten Schutzsuchenden maximal einen Pflichtschulabschluss" haben, man mit einer "historisch hohen Arbeitslosenrate" konfrontiert sei und eine "direkte Konkurrenz" im Segment der unqualifizierten Beschäftigung drohe. Statt einer "enormen Belastung" will das Stöger-Büro von einer "zusätzlichen Herausforderung" sprechen. Ebenfalls gestrichen haben will man, die Flüchtlinge würden zu einer "langfristigen Belastung" am Arbeitsmarkt führen.

Und schließlich will das Sozialressort auch nicht lesen, dass die gesamten Mehrkosten zwischen 2015 und 2019 bei "kumulativ zehn Milliarden Euro" liegen. Die Kosten für das heurige Jahr – zwei Milliarden – sind aber auch im letzten Entwurf enthalten. Die sind schließlich bereits im nach Brüssel gemeldeten Finanzrahmen enthalten. (Günther Oswald, 31.8.2016)