Aus pastellfarbenen Polstermöbeln auf die Flaniermeile runterschauen: Das neue "Graben 30" ist ziemlich schick geworden.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Oktopuscarpaccio mit Peperonata ist mürb und saftig, schaut dekorativ aus und schmeckt durchaus gefällig

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass am Graben ein Restaurant ohne Fotospeisekarte und Pommes mit allem aufsperrt, ist schon einmal bemerkenswert. Okay, der exakt zwischen Chattanooga und Café de l'Europe platzierte Neuzugang muss derweil ohne Gastgarten auskommen. Es könnte also sein, dass mit kommendem Frühling (bis dahin soll die Gartenbewilligung fix sein) eh noch auf Steaktoast, Spareribs, Bernerwürstel und die anderen Retro-Kalorien umgesattelt wird, die an diesem touriaffinen Standort bislang Pflichtprogramm zu sein scheinen.

So ganz kann man sich das angesichts des "Graben 30" aber nicht vorstellen – der Kontrast zu den Nachbarn ist deutlich. Im Erdgeschoß merkt man das nicht gleich, da hat lediglich ein Empfangsbereich mit Lift und Stiege Platz. Oben aber öffnet sich ein weiter Raum mit mattschwarzen Wänden, opulenten Fauteuils, nobel eingedeckten Tischen und einer aufwendigen Beleuchtungsinstallation aus Messing. Die Fenster sind raumhoch, dementsprechend prächtig ist die Aussicht auf den Graben. Nebenan gibt es einen noch größeren, allerdings fensterlosen Bereich mit langer Bar und Hochtischen, im Stock drüber ist noch eine Bar. Von da darf man wieder auf den Graben gucken – und rauchen.

Hauptzielgruppe Touristen

Geleistet hat sich das eine Investorengruppe aus Kroatien, die hauptsächlich Strandrestaurants und Großraumdiscos im Portfolio hat. Mit Touristen kennen sie sich aus, die scheinen auch Hauptzielgruppe für das neue Standbein in Wien zu sein: Die dem Graben zugewandten Räume sind abends schon mehr als gut besucht, das Sprachgewirr mit deutlich slawischem Überhang, die Gäste mit High Heels, Cocktailkleidchen, Anzug auf eine Art aufgebrezelt, wie man es in Wien nur an wenigen Adressen gewohnt ist.

Das Essen kann nur begrenzt der Anlass sein, aber das ist in anderen Bling-Bling-Buden der Innenstadt kaum anders. Bei den Vorspeisen ist hier wie da (und sonst auch überall) Beef Tartare unvermeidlich, es gibt aber auch Eiscreme von der Entenleber mit knuspriger Blunze oder Oktopuscarpaccio mit Peperonata. Das ist mürb und saftig, schaut (siehe Bild) dekorativ aus und schmeckt durchaus gefällig – man kann sich halt schon bei der Hauptspeise kaum noch daran erinnern. Fischsuppe wird mit drei Häppchen vom kurz gebratenen – und intensiv gesalzenen – Filet aufgetragen, gerät dicht, aber auch seltsam dumpf im Nachgeschmack. Dazu wird eine Art Cremeschnitte mit Frischkäse serviert, der mit Sardellen gewürzt ist. Eine nette Idee, wenn nur der Teig nicht von so kartonöser Konsistenz wäre, dass beim Anschneiden (oder gar Abbeißen) von allen Seiten die Creme herausquillt – wirkt nicht gerade elegant.

Fisch statt Fleisch

Ungleich besser: Mit Miso marinierte Makrele, der Fisch köstlich, deutlich japanisch inspiriert und mit samtigem, keineswegs fettem Selleriepüree und Shitake-Pilzen kombiniert. Rote-Rüben-Püree mit Quinoa, gegrilltem Zucchino und Kumquat ist die vegane Option: gut abgestimmtes Aromenspiel, schöne Konsistenzkontraste, animierende Säure – ein tadellos komponiertes Gericht.

Im Vergleich dazu fallen die Fleischspeisen ab: Lammfilet ist tadellos gebraten, die Sauce aus Morcheln und Pistazien schmeckt aber hauptsächlich nach verbrannter Zwiebel. Und beim gebackenen Ochsenschwanzknödel mit Schwarzwurzelpüree könnte es sich auch um eine Nachspeise handeln, so süß und vanillig wie die abgeschmeckt ist. Die Weinkarte ist beachtlich, die gesalzenen Preise aber auch. Offenbar wird da versucht, die vergleichsweise zivile Speisenkalkulation über den Durst auszugleichen. (Severin Corti, RONDO, 16.9.2016)

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