9/11-Memorial in New York.

Foto: AFP/Bryan R. Smith

Am 11. September 2001 saß ich im Büro des syrischen Verteidigungsministers Mustafa Tlass und übergab ihm eine Liste von Fragen, die die Familien von drei entführten israelischen Soldaten zusammengestellt hatten und nur ihre Söhne beantworten konnten. Es war einer der vielen Versuche herauszufinden, ob die drei Soldaten, die an der Grenze zum Libanon überfallen worden waren, überhaupt noch am Leben waren.

Vermittelt hatte die Gespräche mit der syrischen Regierung der damalige Verteidigungsminister Herbert Scheibner. Er flog mit mir nach Damaskus und stellte mich Vertretern der syrischen Regierung vor. Zur Vorbereitung der Gespräche in Damaskus hatte ich gemeinsam mit Scheibner inoffiziell zweimal den israelischen Vizeverteidigungsminister Efraim Sneh getroffen – einmal in Tel Aviv und einmal in Wien. Trotz Boykottmaßnahmen Israels gegenüber Österreich und des Abzugs des israelischen Botschafters aus Wien. Nur wenige Mitglieder der Regierung wussten davon, und Journalisten hatten keine Ahnung.

Gespräch mit Tlass

An diesem 11. September nahm Minister Tlass die Liste, die ich ihm reichte, und übergab sie einem Assistenten. Beide waren in Uniform. Tlass hatte keine Lust, über die entführten Israelis zu sprechen, und betonte mehrere Male, dass es den "Gästen" der Hisbollah, wie er sie nannte, gut gehe. Ein paar Monate später gab jedoch die Führung der Hisbollah bekannt, dass sie bereits bei der Entführung ermordet worden waren.

Tlass sprach lieber davon, wie sehr er Österreich liebe und sich dort wohlfühle. Er stand plötzlich auf und nahm aus einem Safe hinter seinem Schreibtisch eine Holzkiste, sperrte sie auf und nahm eine Pistole heraus. Er reichte sie mir. "Die gehörte Hitler", sagte er nicht ohne Stolz.

Klopfen an der Tür

Dann hörte ich ein Klopfen an der Tür. Ein Mann in Uniform trat ein und sprach aufgeregt und laut mit Tlass. Er wandte sich an mich und erklärte in fließendem Deutsch, die Unterredung sei beendet. Er würde mich ins Hotel führen, ich hätte zehn Minuten Zeit, meinen Koffer zu packen. Dann würde er mich direkt zum Flughafen fahren.

Auf meinen Einwand, mein Flug nach Wien würde erst für den nächsten Tag gebucht sein, antwortete er, man habe für mich bereits ein neues Ticket besorgt. Ich hatte in den Monaten der Verhandlungen in Damaskus gelernt, keine unnötigen Fragen zu stellen. Manchmal empfing man mich, manchmal nicht, ich wusste nie, wer mit mir sprechen würde und welche Botschaften man über mich nach Israel zurücksenden wollte. Nach den Treffen in Damaskus flog ich meistens nach Zypern und von dort nach Tel Aviv.

Eilige Abreise

Wir fuhren zurück ins Hotel, und ich packte meine Sachen. An der Rezeption teilte man mir mit, das Zimmer sei bereits bezahlt. In den Straßen auf dem Weg zum Flughafen waren ungewöhnlich viele Menschen. Manchmal kam man kaum durch mit dem Auto. Sie machten einen fröhlichen Eindruck, schienen zu feiern und sich zu freuen.

Auf dem Flughafen drückte mir der Offizier ein Ticket nach Zypern in die Hand und sagte, das sei der letzte Flug, bevor der Luftraum gesperrt werde. Er gab keine Begründung, und wieder stellte ich ihm keine Fragen. Er holte mich 20 Minuten später aus der Lounge ab. Dort saß ich als einziger Gast. Die TV-Geräte waren abgeschaltet, und das Mobiltelefon funktionierte nicht.

Zwei Stunden später landete ich in Zypern. Auf dem Flughafen standen die Menschen vor den TV-Geräten, und ich sah zum ersten Mal, was an diesem Tag passiert war. (Peter Sichrovsky, 14.9.2016)