"Wiener Nackedeien" von 1906: Die Ausstellung "Sex in Wien" zeigt, dass Wien um 1900 nicht nur mit Sigmund Freud in den Sexualwissenschaften führend war, sondern auch im Pornogeschäft.

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Wien – Die Zeiten sind meistens vorbei, wenn man an sie denkt. Mei, früher. Ha? Schon schön, oder? Nur so zum Beispiel: Künstler wie Peter Weibel rezitierten damals unter Kreisky mit ihrem Stundenhotelorchester Morphila Sexinserate aus der Kronen Zeitung. Über pumpenden Beats wurden sie mit Verkaufsangeboten für Jauchepumpen kombiniert. Um dann zum paradoxen Schluss zu kommen: "Sex in der Stadt ist, was keiner hat!"

Kondome gab es damals noch nicht beim Dildoking oder dem Spartakus online, sondern beim Wirt ums Eck gefühlsecht am Klo. Eigentlich aber war man seriell eh immer wieder treu und brauchte das nicht. Und der "Sexkoffer" von 1989 war definitiv ein Schimpfwort und kein mittlerweile wahrscheinlich auch schon längst aufgebrauchtes Lehrmittel für die obere Pflichtschulstufe.

Seither ist ein halbes Menschenleben vergangen. Nach dem Youporn-Gewirks, nach der Pornografisierung der Gesellschaft dank Werbung und Dings, nach Paris Hilton (nicht das Hotel!) sowie Bonnie Rotten (nicht der Sänger!), seit dem weltweiten Siegeszug des brasilianischen Landestreifens sowie der Diskussion darüber, ob sich Teenager herrichten dürfen wie Jennifer Lopez auf Ausgang zu einer Geburtstagsparty in die Kontaktsauna, ohne dabei von selbstbestimmten feministischen Mindestgrundsätzen aus der liberalen Erziehung abzuweichen, ist dieser Tage schon wieder alles anders geworden.

Heute haben wir den Burkini und die dieses Mal nicht aus Hollywood importierte Tendenz zur Vermummung sowie die Rückkehr der guten alten Verletzung irgendwelcher religiösen und anderer gschamiger Gefühle. Im Wesentlichen künden diese neuen Medienbrüller davon, dass sehr viele Menschen immer noch Angst vor Frauen haben (oder vor Männern, aber das weniger).

Wenn man allerdings davon ausgeht, dass ein Mensch zumindest ab der sexuellen Reife gleich mehrmals pro Stunde an die praktische Auslegung seines Fortpflanzungstriebs denkt, ohne dabei dezidiert den großen Rahmen der Arterhaltung im Augenmerk zu behalten, ist eines nach dem Ende des Sexmuseums im Wiener Prater natürlich naheliegend: Eine Ausstellung namens Sex in Wien muss nicht nur erst 2016 zum musealen Quotenhit werden.

Vollgerammelte Räume

An diversen Audiostationen erhält man ab sofort im Wien-Museum am Karlsplatz in der Schau Sex in Wien. Lust. Kontrolle. Ungehorsam nicht nur Auskunft darüber, wie in der Stadt über das Treiben geredet wird: "Pudern, pempern, schnackseln ..."

Neben der für das Thema wohl wissenschaftlich bedingten, behutsamen Verweigerung der Bedienung reiner Schaulust fällt in den Räumen zu den Themenkreisen "vor", "beim" und "nach dem Sex" neben einer (von Menschen entvölkerten) Fotoserie Klaus Pichlers zum Thema Wiener Bordelle, Swingerclubs, Peepshows und Puderhütten schon auch ein pädagogischer Ansatz auf.

Bei insgesamt 550 Ausstellungsobjekten wird zwischen Gerade, Quer und Dazwischen auf vollgerammeltem Raum eine urbane Stadtgeschichte erzählt. Diese verhandelt über das Vehikel Sex mittelbar auch eine Gesellschaftshistorie und deren jeweilige Moralvorstellungen. Es geht bei Themen wie Geschlechtskrankheiten, Vergewaltigung und Abtreibung und natürlich dem Aufkommen der Sexualwissenschaft mit Sigmund Freud in Wien um 1900 ohnehin zwangsläufig auch um eine menschliche Notwendigkeit, die selbst im Vergnügen und im Exzess ihre Ordnung braucht, sucht und findet.

Allerdings ist Sex in Wien in seinen Kammern nicht nur der Strenge gewidmet. Man erfährt hier auch, dass Wien mit Aufkommen des Mediums Film zwischen 1906 und 1911 mit der Firma Saturn-Film und deren "pikanten Herrenabendfilmen" bis zur behördlichen Schließung selbiger einige wenige Jahre lang auch so etwas ähnliches wie die Pornometrople Europas war.

Auf Stadtplänen wird nachgezeichnet, wo sich früher in Wien das Rotlichtmilieu abspielte. Ein Foto über eine 1971 im Künstlerhaus veranstaltete Schau namens Sexpo 71 bleibt mit einem heutzutage geradezu keusch anmutenden weiblichen Model und einer gaffenden Männerschar in besonderer Erinnerung; ebenso wie ein Kondom aus Schafsdarm, Plakate von Sexarbeiterinnen-Demonstrationen oder die bizarren Schmuseteddy-Dildos des Partykollektivs H.A.P.P.Y. Am Schluss steht natürlich die Frage: Wie geil ist das denn?! Die Antwort lautet: Danke, es geht so. (Christian Schachinger, 14.9.2016)