Kriege und Krisen sind's, die die EU-Sicherheitspolitik in den letzten Dekaden vorantrieben. Sicherheitspolitik wohlgemerkt, und nicht Friedenspolitik. Es hat öfter geklappt, also greift man zu Bewährtem. Der völkerrechtswidrige Kosovo-Krieg 1999 hat noch im selben Jahr die EU-Truppe von 60.000 Soldaten beschlussreif gemacht. 9/11 führte auch auf dieser Seite des Atlantiks zum Ausbau der Sicherheitsapparate. Die Ablehnung des Nizza-Vertrages durch Irland half bei der Schaffung eines militärischen Kerneuropa, und die Anschläge von Madrid ließen prompt die vormals als EU-Rüstungsagentur bezeichnete Institution losarbeiten. Lang musste man im Ukraine-Krieg nicht warten, bis Jean-Claude Juncker die Euro-Armee ausrief. Und nun nutzt man nach dem Brexit die Gunst der Stunde, um in der Schublade befindliche militärische Konzepte umzusetzen. Juncker blinkt in Richtung "sozialere EU", aber biegt in Richtung Militärmacht ab.

Das Juncker-Prinzip ist schon alt. Um die Jahrtausendwende ließ er in seine Trickkiste schauen: "Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert." Im EU-Kontext meistens nichts oder kaum Hörbares. "Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." Genau das versucht Juncker gerade in der Sicherheitspolitik. Nicht nur die Neutralen sollten laut schreien.

Was Juncker wirklich will, ist der Ende Juni beschlossenen Globalstrategie der EU zu entnehmen. Man benötige "bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen", um interventionsfähig zu sein. "Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten (...) zur Verfügung stehen muss." Volles Programm bei Militärausgaben: "ferngesteuerte Flugsysteme, Satellitenkommunikation und autonomer Zugang zum Weltraum". Die Instrumente sind die Rüstungsindustrie, Kerneuropa, eine Verstärkung des Demokratiedefizits und eine Bevölkerung, die – so der Juncker-Trick Nummer eins – "gar nicht begreift, was da beschlossen wurde".

Zu lange haben wir die internationale Politik "versicherheitlicht". Militär, Polizei, Geheimdienste, Waffenexporte, Abschreckung, Mauerbau und im Bett mit dem Feind des Feindes. Zu augenscheinlich ist die Bilanz des militärischen Interventionismus, um diese Politik einfach mit noch mehr Geld und Waffen fortzusetzen. Ein Blick auf die EU-Auslandseinsatzpolitik seit 2003 zeigt, dass gut drei Viertel des Personals Militärs sind. Friedensmacht schaut anders aus. Die EU gibt stets vor, nach ihren – sehr richtigen – Werten zu handeln: Menschenrechte, Gleichstellung und Demokratie. Viele globale Herausforderungen werden jedoch überwiegend durch die Sicherheitsbrille gesehen: Flüchtlinge, Klimawandel und Entwicklungspolitik. Staaten des globalen Südens scheinen oftmals nach ihrer Rolle als Flüchtlingsherkunfts- oder Flüchtlingstransitland bzw. ihrer Funktion beim Terror beurteilt zu werden. Die Debatte wird heute auch von der politischen Mitte nicht um die adäquaten Instrumente geführt, sondern wer dafür in welche Uniform schlüpft.

Verfolgt die EU das Ziel der selbstproklamierten Friedensmacht, muss sie sich auf den Weg von der Sicherheitslogik zur Friedenslogik machen. Einer der Unterschiede liegt im zivilen, ursachenorientierten Ansatz. Die Forschung ist schon sehr weit. Wir kennen alle leichten, schweren und sogar die (noch) gewaltfreien Krisen. Die Lücke zwischen Erkennen und Handeln müssen wir überbrücken. Selbst das EU-Parlament meint, dass man wegen des Schwerpunkts auf der militärischen Dimension die zivilen Fähigkeiten zur Konfliktverhütung viel zu langsam entwickle. Viele Projekte aus der Zivilgesellschaft leisten weltweit Pionierarbeit im Sinne umfassender Krisenprävention. Mit der aktiven Unterstützung der EU würden diese Ansätze einen enormen Multiplikator bekommen.

Die EU und die Mitgliedstaaten verfügen über ein Bündel an Politikbereichen, die als Instrumente des zivilen Krisenmanagements gebraucht werden können. Außenhandels-, Energie- und Entwicklungspolitik sind nur einige Beispiele. Das breite potenzielle Instrumentarium unterscheidet die EU von der Nato. Allerdings muss die EU lernen, wie sie diese Instrumente nicht nur gemeinsam nützt, sondern friedensfähig zum Einsatz bringt. Wer stets mehr Waffen in alle Welt verkaufen will und mit Lebensmittelexporten regionale Wirtschaften im globalen Süden stört, wird Menschenrechtsverletzung, soziale Verwerfungen und Migration ernten.

Einen Friedensnobelpreis erhält, wer sich für "die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere" engagiert. Die Schaffung einer Euro-Armee ist ganz zweifellos das Gegenteil. Unter den künftig 27 EU-Staaten ist nur noch eine Atommacht. Außenminister Sebastian Kurz engagiert sich mit dem "Humanitarian Pledge" für eine atomwaffenfreie Welt, und die Bundesregierung unterstützt das Anliegen eines kernwaffenfreien Europas.

Die Krisen und Kriege, aber besonders ihr Umgang damit haben uns weniger Sicherheit gebracht. Es ist an der Zeit, ein Stück Friedenslogik in die EU-Sicherheitsdebatte zu bringen. (Thomas Roithner, 20.9.2016)