Regungslos verfolgt der 27 Jahre alte Alen R., der mit seinen Eltern aus dem Krieg in Bosnien nach Österreich geflüchtet ist, den Prozess um seine Amokfahrt. Seine Aussagen klingen oft verwirrend.

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Graz – Keiner im Gerichtssaal will an diesem Tag in der Haut eines Geschworenen stecken und darüber entscheiden, ob dieser Mann da vorn in Handschellen, der in dieser merkwürdigen blütenweißen Aufmachung erschienen ist, ob dieser Alen R. wirklich bei Sinnen ist.

Und ob der ehemalige Autohändler zu jener verhängnisvollen Stunde zurechnungsfähig war, als er um die Mittagszeit des 20. Juni 2015 in einer Amokfahrt in der Grazer Innenstadt – wie ihm die Staatsanwaltschaft am Dienstag in der ersten Verhandlungsrunde im Grazer Straflandesgericht vorhielt – "zwei Erwachsene und ein Kind vorsätzlich getötet hat", indem er mit seinem Geländewagen "mit hoher Geschwindigkeit und gezielt auf die drei Personen zufuhr, sie mit dem Fahrzeug erfasste und ihnen tödliche Verletzungen zufügte". 36 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, in Summe 108 Passanten gefährdet.

Alen R. hört sich alles regungslos an. Er steckt irgendwie verloren in seinem übergroßen, weißen Sakko, die Stimme ist leise, der Redefluss hörbar durch Psychopharmaka verlangsamt. Ja er bekomme Medikamente, sagt Alen R. Zurzeit lebt er in der Göllersdorfer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

"Ich bin ein ruhiger Mensch"

"Ich bin ein sehr ruhiger Mensch", sagt Alen R. "Sind Sie das wirklich? Wer sind Sie eigentlich? Sind Sie der Alen R., wie er sich heute im Gerichtssaal als ruhiger Mensch zeigt, oder sind Sie der Zynische von der ersten Einvernahme nach der Amokfahrt?", fragt Richter Andreas Rom und spielt einige Szenen dieser Einvernahme am Bildschirm ab. Da sitzt ein bärtiger Mann in kurzer Hose und Unterleiberl, der nervös mit den Füßen zuckt, schnippisch, aber zusammenhängend antwortet. Er sei unter Stress gestanden, all diese Fragen, auch er sei ein Opfer. "Ich bin nicht schuld, schuld sind die, die mich verfolgen und bedrohen." Es sei so, wie wenn man auf einer Treppe stehe, gestoßen werde und beim Fallen den vor ihm Stehenden mitreiße. Da sei "der oben, der gestoßen hat, schuld", sagte er zur Polizeiärztin.

"Wer verfolgte sie?

So sehr Richter Rom, die beisitzenden Richterinnen, die Staatsanwaltschaft und auch die Geschworenen versuchen, in ihn zu dringen, ein Motiv zu finden, warum er Menschen wahllos, aber gezielt mit dem Auto anvisiert, verletzt und sogar getötet habe, es ist vergeblich. Alen R. murmelt nur etwas Vages wie "... es war wegen der Schüsse". Oder: "Ich habe die Herrschaft über das Auto verloren", "... ich kann mich nicht mehr erinnern", "ich konnte in der Panik nicht anders reagieren, ich wollte weg, damit ich nicht erschossen werde." "Wer verfolgte Sie?", will Richter Rom wissen, "die Türken, Islamisten die bosnische Mafia, wie Sie angaben?" "Mein Schwiegervater", sagt Alen R. diesmal. Das sei ihm im Gefängnis eingefallen.

Noch einmal geht der Richter mit ihm die Horrorfahrt durch, Abschnitt für Abschnitt. Was er gefühlt habe, als er in die volle Herrengasse gefahren sei? "Die Leute sind ja sowieso ausgewichen", sagt Alan R. Und das tote fünfjährige Kind? "Es tut mir schrecklich leid, ich kann mich nicht mehr erinnern, die Panik ..."

Junges Paar "ganz klar anvisiert"

Gezielt habe er jedenfalls niemanden niedergefahren. Dem widerspricht der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl, der als Zeuge aussagt. Nagl wäre um ein Haar auf seiner Vespa fahrend niedergestoßen worden. Er habe gesehen, wie Alen R. "ganz klar" das junge Paar anvisiert habe. Der Mann war wenig später tot. Nagl leistete Erste Hilfe.

Alen R.s Frau war nach schweren Gewalttätigkeiten ins Frauenhaus gezogen. Nein, er habe sie nicht gezwungen, eine Burka zu tragen. "Das einzige Buch in ihrer Wohnung war der Koran", sagt der Richter. Alen R.: "Ja, aber der war für meine Frau." "Warum", fragt Richter Rom, "wollten Sie eigentlich in eine Krankenstation verlegt werden?" "Ich bin für das Gefängnis nicht geeignet." Ob er die weiteren Jahre dort verbringen wird, müssen die Geschworenen in den kommenden Tagen beurteilen. (Walter Müller, 21.9.2016)