Sommer im Glas: Im Kühlschrank hält sich fermentiertes Gemüse mehrere Monate lang.

Foto: Erik Kunkel, Löwenzahn Verlag

Umfassende Informationen und spannende Rezepte haben sowohl Kirsten und Christopher Shockey in ihrem Buch Fermentieren (Löwenzahn-Verlag) ...

Cover: Löwenzahn-Verlag

... als auch Mary Karlin in Das große Buch vom Fermentieren (AT-Verlag) versammelt.

Cover: AT-Verlag

Ziemlich verwundert schauen Gäste an der Bar auf ihr Handy – in der Annahme, sie hätten eine SMS bekommen. Irgendwann ist aber auch ihnen klar, dass das ominöse Blob-Geräusch nicht von ihrem Mobiltelefon, sondern von einem der riesigen Tontöpfe, die hinter ihnen stehen, kommt. So beschreibt Küchenchef Peter Fallnbügl amüsiert das tägliche Schauspiel im Wiener Restaurant Heuer am Karlsplatz. Was da in den schweren Töpfen blubbert, ist das Gas, das bei der Fermentation entsteht und sich seinen Weg nach draußen sucht. Der Koch fermentiert alles, was ihm in die Finger kommt und experimentiert dabei mit neuen Aromen.

"Speziell bei veganen Menüs verwende ich gerne fermentiertes Gemüse. Das macht das Essen wesentlich spannender", sagt Fallnbügl, der den Gastraum als Lager für Gläser und Töpfe nutzt. Mit seiner Leidenschaft, Gemüse zu vergären, steht er nicht allein da. Der Fermentations-Hype erreichte vor einigen Jahren nach den USA und Skandinavien auch Österreich und reißt seitdem nicht mehr ab. Es gibt kaum ein Spitzenrestaurant, in dem nicht zumindest ein Gang mit irgendetwas Fermentiertem serviert wird. Der schwedische Spitzenkoch Magnus Nilsson verwendet fermentierte Pflanzen zum Würzen, Noma-Küchenchef René Redzepi macht eine Sauce aus fermentierten Grashüpfern. Dabei ist das alles keine neue Erfindung der Küchen-Hipster. Neben Käse, Bier und Joghurt ist Sauerkraut eines der uns bekanntesten Fermentationsprodukte.

Selbst ist der Fermento

Während man im Supermarkt fast nur noch industriell verarbeitete Lebensmittel findet, gibt es immer mehr Menschen, die zu Hause selbst fermentieren. Dadurch sind Produkte nicht nur viel länger haltbar, auch der Geschmack der Lebensmittel ist wesentlich intensiver. "Wenn ich eine Pasta mache, gebe ich fermentierte Tomaten in die Sauce. Die Gäste sind begeistert und können sich nicht erklären, woher dieser intensive Tomatengeschmack kommt. Und genau das macht es so spannend", erklärt Fallnbügl.

Bei der Fermentation von Gemüse bedient man sich nützlicher Milchsäurebakterien. Sie verwandeln Kraut, Gurken und Co in köstlich intensiv schmeckende Komponenten auf dem Teller. Die Prozedur ist nicht besonders aufwendig, bedarf aber ein bisschen Übung.

Das geschnittene Gemüse wird in ein Glas oder in einen Gärtopf aus Ton geschichtet und mit einer Lake aus Wasser und Salz aufgefüllt. Bei der Wahl des Salzes sollte man auf eine gute Mischung an Mineralien achten und kein Haushaltssalz verwenden, das raffiniert und mit Rieselhilfen versetzt wurde. Das Salz verhindert, dass unerwünschte Bakterien wachsen und ermöglicht den Milchsäurebakterien, sich zu vermehren. Diese leben von den Kohlenhydraten, die im Gemüse enthalten sind.

Eine weitere wichtige Funktion des Salzes ist, dass es das Pektin aus den Pflanzenzellen verhärtet, was das Gemüse stabiler macht. Sobald die Gärphase beginnt, steigen Luftbläschen – durch die Kohlendioxidentwicklung – auf. Das Plopp-Geräusch lässt einen wissen, dass der Fermentationsprozess begonnen hat. Optimal gelingt der Vorgang bei einer Raumtemperatur von ungefähr 22 bis 23 Grad.

Trickkiste

Wer auf Nummer sicher gehen will, kann ein bisschen nachhelfen, weiß Peter Fallnbügel: "Man kann einen Löffel Joghurt oder Buttermilch hinzugeben. Das erleichtert das Fermentieren, weil die Bakterien bereits wissen, was sie zu tun haben. Es kommt natürlich auf die richtige Temperatur an. Im Kühlschrank dauert Spargel beispielsweise länger, wird aber feiner. Wichtig ist eine mit Wasser gefüllte Gärrinne. So kann der Geruch nicht entweichen." Diese Rinne ist Bestandteil der meisten Gärtöpfe. Fermentiert man in einem großen Glas, kann man die Flüssigkeit auch mit einer Folie abdecken.

Falsch machen könne man laut dem Küchenchef aber generell wenig. Die Dauer der Gärzeit hängt immer von mehreren Faktoren wie Gemüsemenge, Temperatur und persönlichem Geschmack ab. Wichtig ist daher, das Gärgut immer wieder zu probieren. Hat es den gewünschten Geschmack, wird die Lake abgegossen, und das Gemüse kommt in den Kühlschrank.

Die Lake ist danach reiner Gemüsesaft, der durch die Fermentation entsteht, und enthält hohe Mengen an Vitaminen sowie Probiotika, Enzyme und Mineralstoffe. Es wäre also schade, dieses trübe Elixier wegzuschütten. Mutige trinken die Lake pur. Genießer verwenden den trüben Saft als Zutat für kreative Cocktails. Sauerkrautsaft harmoniert nämlich genauso hervorragend mit trockenem Wermut wie Kimchi-Lake mit Wodka.

Wer sich keinen schweren Tontopf in die Küche stellen möchte, kann klein beginnen und beispielsweise mit einem Tsukemono fermentieren. Das praktische Plastikbehältnis, das aus Japan stammt, ist günstig in der Anschaffung und ein praktisches Gerät für den Fermento-Lehrling. Der Vorgang ist der gleiche wie jener mit einem großen Topf oder Glas. Es wird aber eine wesentlich kleinere Menge Gemüse abwechselnd mit Salz in den Behälter geschichtet und mit einer Presse nach unten gedrückt. Nach einigen Tagen kann das fertige Ferment in den Kühlschrank gestellt werden und hält sich dort über einen längeren Zeitraum.

Von Kefir bis Sauerteig

Neben dem Fermentieren mit Salz gibt es noch unzählige andere Arten, Lebensmittel mithilfe von Bakterien zu verändern. So kann Obst beispielsweise mit Wasserkefir, Alkohol mit Reinzuchthefen oder Brot mit Sauerteig behandelt werden. Bei fermentiertem Gemüse, wie beispielsweise Kimchi oder Sauerkraut, spricht man aber immer von Milchsäuregärung.

Neben der geschmacklichen Vielfalt und der Haltbarmachung sollen fermentierte Lebensmittel laut Ernährungswissenschafterin Claudia Nichterl auch wesentlich bekömmlicher und besser verdaulich für den Körper sein. "Inzwischen weiß man, dass positive Milchsäurebakterien gut für den Körper sind. Fermentierte Lebensmittel liefern das Futter für diese positiven Bakterien. Umso schöner finde ich es, dass man wieder Sauerkraut und anderes fermentiertes Gemüse isst. Das hat einen gesundheitlichen Mehrwert. Ich finde es wichtig, dass dieses traditionelle Wissen weitergetragen wird", sagt Nichterl, die in Wien eigene Fermentations-Workshops anbietet.

Vitaminlieferant

Aber nicht nur der Verdauung tut fermentiertes Gemüse gut. Anders als beim Einkochen bleibt der Vitamingehalt erhalten. Das war auch der Grund, warum Seefahrer früher oft Sauerkraut gegessen haben. Und nachdem es im Winter eben keinen Spargel und keine Tomaten aus Österreich gibt, ist das die einfachste und geschmacklich spannendste Form, saisonales Gemüse haltbar zu machen. Was wie eine neue Wissenschaft oder ein Trend klingt, sollte für Köche ganz normal sein.

"Fermentation muss man verstehen. Das gehört zur Grundausbildung eines Kochs. Ich weiß, dass die Realität anders aussieht. Oft wissen Hobbyköche mehr als Profis über das Fermentieren. Die Basis ist das Wichtigste bei einem Koch. Da gehört auch das Fermentieren dazu. Wenn man nicht weiß, wie man Sauerkraut herstellt, kann man nie einen Hummer drauflegen", sagt Fallnbügl, dessen Gärtöpfe immer gut gefüllt sind und wie eine Spielwiese für Aromen-Junkies wirken.

"Ich habe unzählige Bauern und Manufakturen, die mir Grundprodukte liefern. Sofort nach der Lieferung werden die Produkte verarbeitet. Das ist praktisch, weil man keine große Lagerfläche braucht." Unpraktisch ist es nur, wenn es ein Glas zerreißt. Das ist dem Küchenchef beim Versuch, Eier zu fermentieren, passiert. Diesen Geruch werde man so schnell nicht wieder los. Es empfiehlt sich also, mit Gemüse zu beginnen, ehe man sich an derart ausgefallene Fermentationen wagt. (Alex Stranig, RONDO, 23.9.2016)