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Hat sich Islam einer historisch-kritischen Forschung zu unterziehen? Die Podiumsdiskussion am Donnerstag zu dieser und verwandter Fragen lief jedenfalls ungewöhnlich heftig ab.

Foto: REUTERS/Athar Hussain

"Wenn man es recht bedenkt", sagte Konrad Paul Liessmann im Frühjahr, als er das Thema des diesjährigen Philosophicums Lech vorstellte, "dann gibt es kaum etwas Präziseres, als 'Über Gott und die Welt' zu sprechen." Tatsächlich geht es bei der 20. Wiederkehr des alpinen Symposiums um Grundsätzliches, sozusagen um die Quersumme bisheriger gedanklicher Bemühungen, ohne dass es in Beliebiges, Unernstes abgleiten würde.

In seiner Eröffnungsrede steckte Liessmann, Philosoph an der Uni Wien und Leiter der Veranstaltungsreihe, bereits das Feld ab: Das Heilige im Diesseits sei nicht mehr nur Geschichtsstoff, es sei vielmehr aktueller denn je. Gott ist in den Alltag "eingewandert", und es stellt sich die Frage, ob wir auf ein neues Mittelalter zugehen, eine Theokratie, wie sie radikalere Religionen fordern.

Solche Forderungen finden sich in säkularisierten Formen ja auch im Martyrium politischer, nicht nur religiös motivierter Attentäter. Und umgekehrt erstaunt, wie sehr wir aufgeklärten Abendländer bereit sind, gewisse Instanzen anzubeten – Liessmann verweist auf Silicon Valley und dessen Heilsversprechungen bis hin zur Unsterblichkeit.

Schnell also gelangen wir in ein Labyrinth sakraler und profaner Kräfte. Das zeigte sich auch bei der Podiumsdiskussion am Donnerstag, die diesmal ungewöhnlich heftig ablief. Die Teilnehmer, die sich an verschiedenen Religionen orientierten, gerieten miteinander und mit dem Publikum in Streit, als die Rede auf den Islam in der Türkei und in Europa kam. Burkinis ja oder nein, Anpassung oder Anerkennung kultureller Unvereinbarkeiten?

Der Islam und die Forschung

Dahinter stand die Frage, ob sich der Islam einer historisch-kritischen Forschung zu unterziehen habe. Sie konnte naturgemäß nicht beantwortet werden, verwies aber auf dringend anstehende Aufgaben für Philosophen und Fachwissenschafter.

In einer, wie er sagte, "bescheidenen Konzeption" machte sich der Philosophie- und Judaistikprofessor Carlos Fraenkel (McGill Uni Montreal) an eine solche Aufgabe. Im Spannungsfeld von religiösen Autoritäten, säkularen Universitäten und politischen Konflikten suchte er Wege, mit Streitparteien ins Gespräch zu kommen. Als bekennender Atheist verbrachte er mehrere Monate in Diskussionen etwa mit islamischen Studenten an der Al-Quds-Uni in Ostjerusalem. Gegenseitige Bekehrungsversuche blieben zwar erfolglos, dafür konnte sich eine "Praxis produktiver Streitkultur" etablieren. Ähnliches widerfuhr ihm in anderen Regionen der Welt, etwa auch in Kanada in der Interaktion mit der "First Nation", den Ureinwohnern des Kontinents.

"Gott und das Geld – äh, die Welt": Es war zwar ein Versprecher Liessmanns, doch er meinte es richtig, als er den Philosophen Christoph Türcke (Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig) vorstellte. Denn dieser leitete die Herkunft von Währungen nicht vom Tauschwert ab, sondern von Opfergaben, die die Götter besänftigen sollten. Aus "wirklichen", lebenden Opfern wurden zwar abstraktere Präsente, doch die Schuld (der etymologische Ursprung von "Geld") blieb.

In einem Parforceritt, der durchaus dem Berg-und-Tal-Bahn-Erlebnis in der gegenwärtigen Finanzwelt glich, deutete Türcke die Entwicklung des Geldes als immer größeren Schwindel – "ausgeglichener Haushalt" sollte zum Unwort des Jahres werden, sagte er unter dem Beifall der mehr als 600 Zuhörer.

Ein vielleicht utopischer Ausweg wäre ein radikaler globaler Schuldenschnitt, ein Schritt zum "Geldatheismus" und eine "direkte zwischenmenschliche Zuwendung" als neue Währung. Was wohl Gott dazu sagen würde? Und was die Welt? (Michael Freund aus Lech, 24.9.2016)