Sonja Walch
Triebe, Reize und Signale

Eugen Steinachs Physiologie der Sexualhormone. Vom biologischen Konzept zum Pharmapräparat, 1894–1938
Böhlau 2016, 274 Seiten, 40 Euro

Warum Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts Welthauptstadt bei der Erforschung der Sexualität war, wäre ein eigenes Forschungsthema. Hier gab es nicht nur Sigmund Freud, Otto Weininger oder den Anatomen Julius Tandler, die mit ihren Arbeiten zum Thema Sex und Geschlecht bekannt wurden. Mindestens ebenso berühmt war Eugen Steinach (1861–1944), der nicht ganz unumstrittene Pionier der Sexualhormonforschung.

Welchen Status der aus Hohenems stammende Physiologe in der Zwischenkriegszeit genoss, kann man daran ermessen, dass er ab 1921 elf Mal für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, dass ihm zu Ehren ein Foxtrott unter dem Titel "Steinach-Rummel" komponiert wurde und dass damals jedermann wusste, was es bedeutete, sich steinachen zu lassen (Durchtrennung der Samenleiter, um bei alten Männern verjüngende Effekte zu erzielen). Selbst auf Englisch war die Bezeichnung "to be steinached" weithin geläufig.

Die Wissenschaftshistorikerin Sonja Walch hat Eugen Steinach ihre Dissertation gewidmet, die nun unter dem Titel "Triebe, Reize und Signale" als immer noch recht akademische, aber doch lesenswerte Monografie erschien. Im Zentrum steht dabei Steinachs Zusammenarbeit mit dem deutschen Pharmaunternehmen Schering ab 1923, die zur Herstellung des ersten künstlich hergestellten Sexualhormons führte, das unter dem Namen Progynon bis vor wenigen Jahren verwendet wurde.

Der Verjünger alter Männer

Zunächst rekonstruiert die studierte Pharmazeutin indes Steinachs Weg von der Neurophysiologie zur Endokrinologie, was ihn nach Wien an die Biologische Versuchsanstalt (BVA) führte. Dort erregte Steinach ab 1912 mit Geschlechtsumwandlungen von Ratten und Hamstern Aufsehen, ehe er 1920 mit einer Arbeit über hormonelle Verjüngung alter Männer mit einem Schlag international berühmt wurde. Der 1923 von der UfA produzierte Steinach-Film tat ein Übriges.

Diese Erfolge riefen auch Schering auf den Plan. Während Steinach seine Erkenntnisse längst schon medizinisch anwendete, begannen sich nun Chemiker der Synthetisierung der Sexualhormone zu widmen. Auf Basis von bisher unausgewerteten Archivalien rekonstruiert Walch die nicht ganz spannungsfreie Kooperation Steinachs mit Schering, die immerhin seine Forschung an der BVA finanzierte.

1939 endete dann die Zusammenarbeit zwischen Schering und der BVA, die von den Nationalsozialisten nach dem "Anschluss" buchstäblich ruiniert wurde. Eugen Steinach, der jüdischer Herkunft war, lebte da bereits im Exil in der Schweiz. Seine Villa im Prater-Cottage war längst arisiert, wie Walch rekonstruiert, und seine Frau beging im September 1938 Selbstmord.

Steinach starb vereinsamt 1944. Sein Vermögen stiftete er dem Steinach-Fonds, der bis heute Sozialprojekte im Kanton Zürich finanziert. (Klaus Taschwer, 26.9.2016)