Die Schlange vor der Halle E des Museumsquartiers in Wien ist lang. Ein sonniger Tag Ende Juni. Ungefähr 70 Menschen stehen an, die meisten haben Mappen unter die Arme geklemmt, sich herausgeputzt und blicken gespannt nach vorne zum Eingang. Es sind bedeutend mehr Männer da, und wenn man sich in die Nähe der Menschen stellt, kann man ein Gemisch aus vielen verschiedenen Sprachen hören. Deutsch ist dabei und Arabisch, aber auch Französisch, Englisch und Russisch.

In nur vier Monaten wurde Österreichs erste Berufs- und Orientierungsmesse für geflüchtete Menschen von einem 16-köpfigen Team auf die Beine gestellt. Der Name "Chancenreich" ist Programm: 70 Aussteller – 50 Unternehmen und 20 Beratungsorganisationen wie etwa das AMS – informierten 3500 Besucher über 1000 freie Stellen und Ausbildungsmöglichkeiten. Von früh bis spät fanden 900 Bewerbungsgespräche statt, die Halle war so voll, dass man für ein paar Meter mehrere Minuten brauchte, am Ende des Tages verkündeten die überwältigten Initiatoren Stephanie Cox und Leo Widrich mit einem Lächeln, dass die ersten Personen bereits in jener Woche mit ihrem neu gefundenen Job beginnen.

Full House bei der Chancenreich-Messe im Sommer, wo Flüchtlinge und Unternehmensvertreter zusammenkamen.
Foto: Newald

Wollen ist nicht genug

Die Messe zeigt auch: Beide Seiten wollen, aber das ist eben nicht genug. Unternehmensvertreter betonen den ganzen Tag, dass es ihnen ein Anliegen ist, diesen Menschen Perspektiven zu bieten. Die Realität birgt aber mehrere Probleme: Fehlende Sprachkenntnisse und Asylbescheide und damit keine Arbeitsberechtigung, die falschen Qualifikationen oder eine zu weite Anreise sind Gründe, die genannt werden. Und doch bleibt das Commitment der heimischen Wirtschaft. Dass Integration ohne Arbeit nicht funktioniert, das haben auch die Sozialpartner festgehalten und von der Regierung gefordert.

Einige der Unternehmen, die sich in der stickigen Halle den Flüchtlingen präsentieren, setzen sich schon lange für diese Gruppe ein. Da ist beispielsweise T-Mobile, wo schon seit sechs Jahren mit dem Verein Lobby16 zusammengearbeitet wird, oder Magdas Hotel, in dem ausschließlich Flüchtlinge arbeiten. Für andere Unternehmen ist die Messe und das soziale Engagement neues Terrain, manche Organisationen wurden sogar wegen Flüchtlingen gegründet, etwa die Jobplattform "Refugeeswork" oder spezielle Rechtsberatungen.

Natürlich gibt es für all dies nicht nur Beifall. Konkurrenten und vor allem Gegner der 2015 zum Wort des Jahres erkorenen Willkommenskultur sehen im Engagement nur Etikettenschwindel und PR. Im Paralleluniversum Facebook wird Engagement diskreditiert. Ihren Höhepunkt erreichte diese Empörung vergangenen Sommer, als sich Hartlauer und T-Mobile gezwungen sahen, gegen Unwahrheiten vorzugehen. Flüchtlinge bekämen 900 Euro teure iPhones von Händlern, Hilfsorganisationen und sonst wem geschenkt, wurde auf Facebook verbreitet.

Auch der Mobilfunker "Drei" war mit Gerüchten konfrontiert. Dem Social-Media-Team fällt dazu nur eine Antwort ein: "Bullshit", heißt es auf Twitter.

Helfen als Business-Case

Erstens sei dies einfach falsch, und zweitens "werden mit dieser Lüge auch Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diskreditiert, die durch ihre Unterstützungen dazu beitragen, dass Österreich die Integration der aus Krieg und persönlicher Bedrohung geflüchteten Menschen bewerkstelligen kann", schrieb T-Mobile-CEO Andreas Bierwirth. Die Mobilfunker bieten seit Herbst 2015 österreichweit 200 Flüchtlingsunterkünften der Caritas kostenloses mobiles Internet an, eine gesponserte App soll den Spracherwerb erleichtern, außerdem wurde intern für die Caritas-Unterkunft Jamal gesammelt, jeder von Mitarbeiter gespendete Euro wurde vom Unternehmen verdreifacht.

"Wir sehen unser Engagement nicht als Sozialprojekt, sondern durchaus den wirtschaftlichen Nutzen", kommentiert Johannes Zimmerl, Direktor des Konzernpersonalwesens bei Rewe, den oft gehörten Vorwurf, soziales Engagement sei nur PR. Es ist ein alter Hut, der nicht nur das Bemühen mit Flüchtlingen betrifft, sondern auch heimische Corporate Social Responsibility (CSR) und Nachhaltigkeitsziele von Unternehmen begleitet. In einer repräsentativen Umfrage des Zentrums für Nachhaltigkeit vervollständigten etwas mehr als die Hälfte der 1000 Befragten den Satz "Nachhaltigkeitsprojekte in Unternehmen dienen meiner Meinung nach der" mit der Antwort "Imagepflege".

Rewe begann letzten Winter spontan ein Extralehrlingsangebot für Flüchtlinge – ein Lernprozess für beide Seiten
Foto: Rewe International AG

Auch Ursula Simacek, Präsidentin der Unternehmensplattform für CSR und Nachhaltigkeit – Respact – und Geschäftsführerin von Simacek Facility Management, sagt, dass man soziale Verantwortung immer als Business-Case kommunizieren müsse. "Wir tun das nicht zum Spaß." Seit ein paar Jahren wird bei ihr im Unternehmen Sprachunterricht angeboten. Ein- bis zweimal die Woche kommt ein Deutschlehrer, Mitarbeiter können das Angebot nach ihrer Arbeit annehmen. "Natürlich bringt mir als Unternehmerin das etwas." Nur wenn dieser Gedanke auch in der Unternehmensführung angekommen sei, dann könne soziales Engagement funktionieren.

Hilfe abseits des Rampenlichts

Chancenreich ist natürlich nicht das einzige Beispiel, an dem man die zunehmende Auseinandersetzung mit sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen erkennen kann. Gerade beim Thema Integration von Flüchtlingen vernetzte man sich im letzten Jahr stark. Ein Beispiel dafür ist eine neue Arbeitsgruppe, die sich "Businesses 4 Refugees" nennt und von Respact gestartet wurde. Ziel: Erfahrungsaustausch sowie Potenzial und mögliche Zusammenarbeiten aufzeigen. Vertreter von 15 Unternehmen und Sozialpartner diskutierten beim Kickoff-Event über Engagement in Form von Zeitspenden (Corporate Volunteering), über Sach- und Geldspenden oder Lehrstellenvermittlung für junge Flüchtlinge, aber auch über Probleme, Ängste und notwendige Schritte in den nächsten Wochen und Monaten.

Vieles an getaner Hilfe ist fernab der Öffentlichkeit passiert – vor allem nachdem sich die öffentliche Meinung nach den ersten Wochen gedreht hatte und Hilfsleistungen von Unternehmen vor allem in den sozialen Netzwerken auf ein wütendes "Warum?" vieler Kunden stießen –, wie das Beispiel der verschenkten Smartphones deutlich macht. Ja, wir haben bewusst nicht kommuniziert, sagten einige Unternehmensvertreter beim Vernetzungstreffen.

Foto: Chancenreich

Finanzielle Unterstützung

Auch Geld wird in die Hand genommen: Der Deloitte Future Fund wurde zum Beispiel mit einem Budget von einer Million Euro an direkten Geldmitteln sowie Pro-bono-Leistungen von 10.000 Arbeitsstunden auf fünf Jahre ausgestattet. Die nächsten drei Jahre wird Deloitte seine CSR-Projekte konzentriert auf ein Thema ausrichten: die Eröffnung von Perspektiven für anerkannte Flüchtlinge durch Bildungsangebote und Arbeitsplätze. Konkret werden das Bildungszentrum Bach in Mödling sowie das Integrationshaus Imst sowohl finanziell als auch mit Freiwilligenarbeit durch Mitarbeiter unterstützt. Mit dem Impact Hub Vienna wurde die Initiative "found!" ins Leben gerufen. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Förderung von Social Entrepreneurs, die mit ihren Geschäftsideen Arbeitsplätze für Menschen mit Fluchthintergrund schaffen wollen. Neben intensiven Beratungsleistungen haben drei der Start-ups die Möglichkeit, zusätzliche finanzielle Unterstützung zu erhalten.

Ist die Flüchtlingskrise also der Auslöser für ein stärkeres soziales Bewusstsein von Unternehmen, oder geraten Initiativen und Projekte nur leichter an die Öffentlichkeit? Ruth Williams, bei der Caritas für Unternehmenskooperationen und CSR zuständig, sagt, es sei fühlbar, aber nicht in Zahlen zu bemessen. Das Engagement seit letztem Herbst sei "atemberaubend" gewesen, die Caritas habe nicht nur mehr als 10.000 Freiwillige mehr als im letzten Jahr, sondern auch zahlreiche neue Unternehmen als Partner gewinnen können.

Gefragt nach Beispielen, hört Williams gar nicht mehr zu reden auf, sie hat zig davon auf Lager, jede Kooperation sei dabei anders und individuell. Teilweise sei die Initiative von den Firmen selbst ausgegangen, manchmal habe sich auch die Caritas an sie gewendet. "Wenn wir wussten, dass etwas ganz Spezielles benötigt wird, haben wir nach passenden Unternehmen und Ansprechpartnern gesucht und sie in den allermeisten Fällen auch sehr schnell gefunden", sagt Williams. Sie betont aber auch: Es gibt noch Luft nach oben.

Freiwillige der Initiative "Train of Hope" am Wiener Hauptbahnhof.
Foto: Christian Lapp

EU-Richtlinie als Beschleuniger

Das bestätigt auch Daniela Knieling, die Geschäftsführerin von Respact. Es gebe eindeutig mehr Anfragen von Unternehmen, die sich gesellschaftlich engagieren wolle. Dass das Thema CSR und Nachhaltigkeit heute auch einen ganz anderen Stellenwert in der Bevölkerung hat, merke man in vielen Situationen: "Früher betreute ich Dissertationen zu diesem Thema", erzählt Knieling bei einer kurzen Pause auf der Chancenreich-Messe, "heute kommen Maturantinnen und Maturanten, die ihre Vorwissenschaftliche Arbeit dazu verfassen." Außerdem spüre man auch, dass Konsumenten zunehmend nachhaltig einkaufen wollen, sich Gedanken über Herkunft und Herstellung machen. Das war vor wenigen Jahren noch nicht so: 2014 hieß es beispielsweise in einer Studie von Accenture, "grün" sei kein kaufentscheidendes Argument. In der bereits erwähnten Studie des Zentrums für Nachhaltigkeit sagt heute die Hälfte der Befragten, dass solche Produkte eher im Einkaufswagen landen.

Es gibt aber noch andere Gründe, weshalb sich mehr Unternehmen bei der Plattform für Nachhaltigkeit und CSR melden: Auch die neue EU-Richtlinie zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten spiele eine Rolle, vermutet Geschäftsführerin Knieling.

Die angesprochene Richtlinie zur Offenlegung nichtfinanzieller Informationen (NFI-Richtlinie) wird aktuell in österreichisches Recht gegossen. Mit der Umsetzung der Richtlinie müssen große Unternehmen öffentlichen Interesses mit mehr als 500 Mitarbeitern ab 2017 verpflichtend über Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange sowie Diversitätsstrategien berichten. Von dieser Regelung sind ungefähr 200 Unternehmen in Österreich betroffen. Ob eine verpflichtende Prüfung der nichtfinanziellen Kennzahlen bestehen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch ungeklärt. Derzeit lassen laut Respact etwa 45 Prozent der Unternehmen ihren Bericht freiwillig extern prüfen – ein potenzieller Markt für Berater, wie es sie bei den Gehaltsberichten in vielen Ländern, beispielsweise der Schweiz, bereits gibt.

Das Team von Refugeeswork, einer Online-Jobplattform für Flüchtlinge.
Foto: Refugeeswork

Neu entstandene Unternehmen

Nicht berühren wird diese Richtlinie die vielen kleinen Unternehmen – einige von ihnen sind Social Businesses –, aber auch Vereine, die seit letzten Herbst entstanden sind. Hunderte Personen haben sich in Österreich den Kopf darüber zerbrochen, wie die Schutzbefohlenen gut unterkommen, wie sie schnell die Sprache lernen, wie Ängste und Vorurteile zwischen Ankommenden und Österreichern abgebaut werden können oder wie Flüchtlinge Jobs finden.

Neben Chancenreich gibt es da beispielsweise die Plattform "Refugeeswork": Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte können sich hier um von Unternehmen angebotene Jobs und Praktika bewerben. Neben jenen Menschen mit positivem Bescheid gibt es aber auch für Asylwerber Angebote auf Refugeeswork: Aufgrund des für sie eingeschränkten Zugangs zum Arbeitsmarkt – ohne Beschäftigungsbewilligung darf keine Arbeit gegen Entgelt ausgeführt werden – will die Plattform auch Volontariate, Lehrstellen, Saisonarbeit und gemeinnützige Hilfstätigkeiten vermitteln.

Auch nach einem erfolgreichen Bewerbungsgespräch will die Plattform für die Unternehmen da sein: Alle notwendigen staatlichen Formulare stehen zum Download bereit, außerdem werden Guides für behördliche Abläufe, Konzepte für die betriebliche Integration und Konzepte für Kommunikation und Sprache geboten. Interessierten Unternehmen soll, wo es nur geht, unter die Arme gegriffen werden. Dass Sozialunternehmen nun auch von oberster Stelle begrüßt werden, zeigen neue Fördermittel.

"Von Brot allein kann man nicht leben"

Hussain Aleleoiy, ein geflüchteter Arzt aus Syrien, bei der Pressekonferenz der Chancenreich-Messe.
Foto: Chancenreich

Was sagen eigentlich die Geflüchteten, das Zielpublikum so vieler Initiativen, Gründungen und Spenden? "Auf Arabisch gibt es das Sprichwort ,Die Menschen können nicht nur von Brot leben'. Wir sind dankbar für die großzügige Unterstützung in Form von Unterkünften, Essen oder Kleidung. Aber damit Menschen glücklich sind, brauchen sie eben mehr als das sprichwörtliche Brot", sagt Hussain Aleleoiy, ein geflüchteter Arzt aus Syrien.

Bei der Messe sah man viele fröhliche Gesichter, man konnte die Hoffnung förmlich spüren, die im Raum lag. Den dort anwesenden Unternehmensvertretern ging es ähnlich, teilweise wurde mit Händen und Füßen kommuniziert. Dennoch müsse auch klar sein, sagt AMS-Wien-Chefin Petra Draxl an jenem Tag im Museumsquartier, dass nicht alle eine Stelle finden werden, dass der Druck, sich so schnell wie möglich zu integrieren, einigen zu viel werden wird. Die Messe sei aber ein weiterer Schritt, um Flüchtlinge und Betriebe zusammenzubringen. "Bei solchen Veranstaltungen vernetzt man sich. Das bringt Selbstvertrauen." (lhag, 3.1.2017)