Frage: Was bringt die "Gemeinsame Erklärung" von Kanada und der EU zum Handelsabkommen Ceta, die nun vorliegt?

Antwort: "Ceta gewährleistet, dass das Regelungsrecht der Staaten und der EU zur Erreichung von Gemeinwohlzielen unangetastet bleibt." Diese beruhigenden Worte stammen nicht etwa aus der Zusatzerklärung zum Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, die am Donnerstag publik geworden ist, sondern aus dem ursprünglichen Vertragstext. Das Beispiel illustriert, dass die nun ausgehandelten Interpretationen in großem Ausmaß nur das wiederholen, was im Abkommen ohnehin enthalten ist. Im laut allen Beteiligten rechtsverbindlichen "Beipacktext" heißt es nun dazu, dass Kanada und die EU das Regelungsrecht im Interesse des Gemeinwohls anerkennen. Man kann natürlich jede Doppelung als Klarstellung oder Ergänzung bezeichnen. Somit relativiert sich die Frage nach der Rechtsverbindlichkeit der Zusatzerklärung.

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So sehen Kritiker Ceta: als Trojanisches Pferd, mit dem europäische Standards ausgehebelt werden.
Foto: Reuters / Mark Blinch

Frage: Und wie sieht das beim kritischen Punkt öffentliche Dienstleistungen aus?

Antwort: Auch hier handelt es sich mehr um eine Wiederholung mit leicht unterschiedlicher Formulierung als um eine Interpretation des Abkommens. Im Ceta-Vertragsentwurf heißt es beispielsweise, dass die EU und Kanada nicht gezwungen oder angehalten werden, öffentliche Dienstleistungen wie die Wasserversorgung, Gesundheitsleistungen, soziale Dienstleistungen oder das Bildungswesen zu privatisieren oder zu deregulieren. Im Zusatztext wird nun festgehalten, dass die Regierungen auch bereits privatisierte Dienstleistungen wieder unter öffentliche Kontrolle bringen dürfen. Doch selbst diese Klausel findet sich schon in dem seit Februar fertig ausverhandelten Abkommen: Ceta enthält demnach "keine Bestimmungen", die eine Regierung daran hindern, die erfolgte "Privatisierung dieser Sektoren jederzeit wieder rückgängig zu machen".

Frage: Ein anderer kritischer Punkt ist jenes Gericht, das über Klagen von Investoren gegen Staaten entscheiden soll, die sich benachteiligt sehen. Gibt es hier Änderungen?

Antwort: Nein, im Gegenteil: Das ordentliche Gericht, das übrigens erst nach Vereinbarung des ersten Ceta-Vertrags 2014 anstelle der Schiedsverfahren getreten ist, wird in der "Gemeinsamen Erklärung" ausdrücklich bestätigt. Zudem wird festgehalten, dass eine Kompensation an einen Investor – beispielsweise wegen einer Enteignung – nicht größer sein wird als der erlittene Verlust. Die umstrittene Entschädigung kanadischer Konzerne wird jetzt also ausdrücklich bestätigt.

Frage: Das heißt, den Staaten drohen hohe Entschädigungskosten, wenn sie beispielsweise Maßnahmen zum Umweltschutz setzen, die mit Interessen von Investoren kollidieren?

Antwort: Grundsätzlich ist das zwar der Sinn der Sache, allerdings gibt es weitreichende Ausnahmen beziehungsweise Prinzipien, die zu berücksichtigen sind. Besonders wesentlich: Kanadische Unternehmen können nur erfolgreich den Klagsweg beschreiten, wenn sie diskriminiert wurden. Ein Beispiel wäre, eine höhere Steuer, die das bestehende Geschäft unrentabel macht, nur auf kanadische Unternehmen zu beschränken. Umgekehrt könnte dagegen eine von manchen politischen Gruppen geforderte Mietszinsobergrenze eingeführt werden, ohne dass kanadische Investoren einen Anspruch geltend machen könnten. Die Maßnahme müsste klarerweise für alle Immobilienbesitzer gleichermaßen gelten. Das "Right to regulate", das Regulierungsrecht, bleibt jedenfalls bei den Staaten, wie eingangs schon dargestellt wurde.

Frage: Geht die Zusatzerklärung auf die Intervention von Bundeskanzler Kern bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zurück?

Antwort: Nein, daran wurde schon länger gearbeitet, auch weil die SPD darauf gedrängt hatte. Die deutschen Sozialdemokraten sind nun mit Ceta einverstanden. Inwieweit Kern den Text beeinflussen konnte, lässt sich schwer sagen. Dass die Erklärung am Donnerstag samt kanadischer Zustimmung fertig war, lässt eher darauf schließen, dass seit Mittwoch keine wesentlichen Änderungen vorgenommen wurden.

Frage: Was heißt das nun für Österreich? Ist Ceta damit durch?

Antwort: Es ist jedenfalls einen großen Schritt weiter. Bundeskanzler Christian Kern will den Text zwar noch analysieren, hat aber Zustimmung angedeutet. Noch deutlicher wurde am Donnerstag SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler. Er betonte in einer Aussendung, dass man "mit dem jetzigen Verhandlungsstand sehr zufrieden" sein könne.

Frage: Sind damit Kritiker innerhalb der Sozialdemokratie besänftigt?

Antwort: Wohl nicht ganz. Gewerkschaften haben beispielsweise substanzielle Änderungen im Vertrag gefordert. Und SPÖ-Klubchef Andreas Schieder hatte dafür plädiert, dass Österreich den Teil des Abkommens über das Investitionsgericht nicht anwendet. Auch dafür wäre eine vertragliche Änderung notwendig. Niedermühlbichler betont, dass viele Änderungen nur der engagierten Vorgehensweise Kerns zu verdanken seien. In einem Punkt gibt es tatsächlich eine Änderung: Juncker wollte ursprünglich gar keine Einbindung der nationalen Parlamente, weil es sich um ein reines Handelsabkommen in EU-Kompetenz handle. Kern zählte zu einer Gruppe von Regierungschefs, die dagegen mobilisierte.

Frage: Kann Österreich das Abkommen überhaupt verhindern?

Antwort: Faktisch ja. Das Abkommen fällt teilweise – beispielsweise Zölle und Handelshemmnisse – in EU-Kompetenz, teilweise – etwa das Investitionsgericht – in nationale Zuständigkeit. Für die Punkte in EU-Kompetenz reicht eine qualifizierte Mehrheit – Österreich hat also kein Vetorecht. Die Bereiche in nationalstaatlicher Zuständigkeit müssen freilich durch die einzelnen Parlamente. Das Völkerrechtsbüro im Außenministerium hat in einem Gutachten bereits klargestellt, dass Ceta nur als Gesamtpaket angewendet werden kann. Eine Umsetzung der EU-Bereiche und eine Aussetzung der nationalen Punkte wären wegen der engen Verzahnung der Themen nicht praktikabel, meinen die Experten. (Andreas Schnauder, 6.10.2016)