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Eine Minikamera im Pillenformat: Damit sind neue endoskopische Untersuchungen des Magen-Darm-Traktes möglich. Die Kamera wird geschluckt. Eine Reise durch den Darm dauert zirka 12 Stunden.

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STANDARD: Bis 19. Oktober ist Wien die Hauptstadt der Gastroenterologie, im Austria Center findet die UEG Week statt. Was erwartet die Teilnehmer?

Manns: Wir erwarten dieses Jahr 14.000 Teilnehmer aus dem gesamten europäischen Raum. Die United European Gastroenterology ist ein Fixpunkt, um sich über die Neuigkeiten auf dem Laufenden zu halten.

STANDARD: Die Gastroenterologie ist ein weites Feld. Der Magen-Darm-Trakt, Leber, Bauchspeicheldrüse – all das fällt in ihren Verantwortungsbereich. Wo sind die größten medizinischen Erfolge zu verzeichnen?

Manns: Ohne Zweifel bei der Hepatitis C. Konkret ist diese Erkrankung durch die neuen Medikamente heilbar geworden. Das ist medizinisch der größte Erfolg. Tatsächlich tut sich aber auch in anderen Bereichen sehr viel. Zum Beispiel bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, also Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa. Auch da haben wir neue medikamentöse Behandlungsoptionen und auch diagnostische Möglichkeiten.

STANDARD: Welche?

Manns: In der Endoskopie passiert viel. Gastroenterologen versuchen den Magen-Darm-Trakt von außen so präzise wie möglich zu untersuchen. Das passiert mit Schläuchen. Neu sind die Kameras zum Schlucken. Sie zeichnen dann ihren Weg von der Speiseröhre bis zum Enddarm auf und liefern uns Informationen über Bereiche, die bisher schwer zugänglich waren.

STANDARD: Ist das eine aufwändige Prozedur?

Manns: Eigentlich nein. Der Patient schluckt die Kamera und geht nach Hause. Die Ergebnisse werden im Nachhinein ausgewertet. Die Auswertung erfordert Expertenwissen, die Methode wird nur an bestimmten Zentren durchgeführt.

STANDARD: Geht es da speziell um onkologische Patienten?

Manns: Nein keinesfalls. Wir brauchen diese Bildgebung auch für unsere Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, um die Entzündungsherde lokalisieren zu können. Bei der Darmkrebsfrüherkennung ist die Koloskopie eine wichtige Untersuchung, die viel zu wenig häufig durchgeführt wird.

STANDARD: Inwiefern?

Manns: Früherkennung ist in unserem Fachbereich extrem wichtig. Denn 90 Prozent der bösartigen Tumore entstehen aus gutartigen Vorstufen. Bei einer Koloskopie werden sie entdeckt und auch gleich entfernt. Die Menschen nehmen diese Krebsprophylaxe viel zu wenig in Anspruch. Das macht uns Sorgen.

STANDARD: Was macht ihnen noch Sorgen?

Manns: Die wachsende Zahl an Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, weil es vor allem sehr junge Menschen trifft. Die Mehrzahl der Betroffenen ist bei der Diagnose zwischen 20 und 40 Jahre alt.

STANDARD: Gibt es eine Hypothese für die steigenden Krankenzahlen?

Manns: Bei den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen handelt es sich ganz offensichtlich um eine Fehlregulation des Immunsystems. Das Abwehrsystem greift körpereigene Strukturen an, ähnlich wie Rheuma. Das Krankheitsbild betrifft die Menschen in der westlichen Welt. Hygiene, Muttermilch und Ernährung im allgemeinen sind die Themen.

STANDARD: Welche Therapieoptionen gibt es?

Manns: Seit gut fünf Jahren haben wir eine medikamentöse Therapie mit Antikörpern, den so genannten TNF-Blockern. Leider helfen sie nur einem Teil der Patienten. Es gibt jetzt auch Medikamente, die an anderen Punkten des Immunsystems ansetzen. Ein Erfolg ist, wenn wir Patienten in Remission bringen.

STANDARD: Hält die Beschwerdefreiheit an?

Manns: Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen verlaufen in Schüben. Einen der Fragen in Studien ist, ob Medikamente die Krankheit unterdrücken oder nur den Zeitraum zwischen den Schüben verlängern. Dazu laufen Studien.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Ernährung?

Manns: Ernährung ist ganz entscheidend, wir stehen da erst am Anfang der Forschung. Sicher scheint, dass niedermolekulare Kohlenhydrate, also vor allem Zucker eine treibende Kraft für Krankheit ist. Und sicherlich auch der Auslöser von Übergewicht. Adipositas ist die Seuche des 21. Jahrhunderts. Und es gibt Evidenz, dass Übergewicht zu Dickdarmkrebs führt.

STANDARD: Was ist mit Weizen?

Manns: Zöliakie ist jene Erkrankung, die in einem direkten Zusammenhang steht. Die in Weizen enthaltenen Gliadine sind der Auslöser für Zöliakie. Wer Weizen und insofern Gliadin nicht isst, beeinflusst seinen Gesundheitszustand maßgeblich. Abgesehen von den Gliadinen enthält Weizen aber auch andere Eiweißstoffe, über die wir noch weniger Bescheid wissen. Es könnte sein, dass sie bei den unterschiedlichen Formen von Weizenunverträglichkeit eine Rolle spielen könnten. Dazu laufen Studien.

STANDARD: In ihren Fachbereich fallen aber auch Erkrankungen, bei denen die Forschung stagniert. Stichwort: Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Manns: Gerade zu diesem Thema wird intensiv geforscht. Klar ist, dass es auch beim Pankreaskarzinom unterschiedliche Formen gibt und es laufen viele Studien im Grundlagenbereich. Aber es stimmt: Die Lebenserwartung bei diesem Krankheitsbild stagniert. Es kommt auch darauf an, wo der Tumor in der Bauchspeicheldrüse liegt.

STANDARD: Gibt es Fortschritte bei Tumoren des Verdauungstrakts?

Manns: Früherkennung, darum geht es vor allem. Wenn ein Tumor da ist, haben wir neben den chirurgischen Maßnahmen auch eine Reihe von Medikamenten mit unterschiedlichen molekularen Angriffspunkten. Wir verfolgen so wie alle anderen Onkologen hier den individualisierten Ansatz. Allerdings scheint es, dass im Darm auch die Lokalisation eine Rolle spielt. Es ist nicht gleichgültig, ob ein Tumor rechts oder links im Körper liegt. Da laufen die Studien, ich bin selbst auf die Ergebnisse gespannt. (Karin Pollack, 17.10.2016)