Stockholm – Bereits vor Jahren haben sich renommierte Literaturwissenschafter wie Christopher Ricks mit Unterstützungsbriefen für eine Nominierung Bob Dylans für den Literaturnobelpreis starkgemacht. Seitdem tauchte der 75-Jährige immer wieder als Außenseiter in den Wettlisten auf.

Am Donnerstag war es tatsächlich so weit: Nach elf Grammy Awards, dem Pulitzer-Preis, je einem Golden Globe Award, einem Oscar und jeder Menge weiterer Ehrungen prämiert nun das Nobelpreiskomitee den US-Singer-Songwriter, und zwar "für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Gesangstradition".

Mister Bob Dylan, Literaturnobelpreisträger.
Foto: APA/ROBERT GALBRAITH

Damit bezieht sich die Jury dezidiert nicht auf Dylans literarische Gehversuche. Bereits 1966 veröffentlichte Dylan mit "Tarantula" einen ganz dem Stream of Consciousness verpflichteten, nicht wirklich geglückten experimentellen Roman. 2004 folgte mit "Chronicles: Volume One" der erste und bislang einzige Teil einer geradezu euphorisch aufgenommenen Autobiografie.

Die Nobel-Begründung zielt auf das ab, was der in Minnesota aufgewachsene Dylan nach seiner Ankunft in der Folkszene des New Yorker Greenwich Village ab 1962 tatsächlich ordentlich durcheinandergewirbelt hat: die Art und Weise, mit der Musiker ihre eigenen Songs verfassen.

Bob Dylan rappt: "Subterranean Homesick Blues".
BobDylanVEVO

Folk-Prozess als Stil

Angetreten als Klon seines "ersten und letzten" Idols, des Folk-Sängers Woody Guthrie, bediente sich Dylan hemmungsloser und raffinierter als die Kollegenschaft bei unterschiedlichsten Quellen, um daraus Eigenes zu destillieren. Zwar gehörte das Adaptieren, Anreichern und Zuschleifen überlieferter Songs immer schon zu einem jahrhundertelangen, meist anonymen Folkprozess. Dylan adressierte aber auf dem Rücken von Songs wie dem Traditional "Nottamun Town", aus dem der Dylan-Klassiker "Masters of War" wurde, die Themen seiner Zeit – am Anfang seiner Karriere nicht zuletzt jene der Bürgerrechtsbewegung.

Verarbeitete Dylan seine üppige Lektüre schon bei frühen Songs mit beachtlicher Raffinesse, gab es nach der Konversion zum elektrifizierten Rocker kein Halten mehr. T. S. Eliot und die französischen Symbolisten geben sich in den Texten von Alben wie "Highway 61 Revisited" oder "Blonde on Blonde" ebenso die Hand, wie sich obskure Blueszitate und Bibelstellen darin ausmachen lassen.

Bereits 1972 stellte der britische Autor Michael Gray Dylans Songwriting in seinem Buch "Song & Dance Man: The Art of Bob Dylan" auf die Höhe von dessen literarischen Quellen. Seitdem hat Dylan sein Songwriting weiter verknappt, ist zwischendurch verstummt, um sich mit neuen Songs und neuen Quellen – vom Yakuza-Roman bis zur Bürgerkriegslyrik – zurückzumelden. Plagiatsvorwürfen hat der große Transformer und Trickster unter den Songwritern mit besagtem Folkprozess gekontert.

Wie Bob Dylan sich selbst sieht: als Song and Dance Man.
ralfsu

Bleibt die Tatsache, dass sich selbst die besten von Dylans Songs auf Papier oft hölzerner lesen als genuine Lyrik. Die große amerikanische Gesangstradition ist eben ganz wesentlich eine performative Kunst, die die Aufführung braucht, um ihre Stärken zu entfalten, eine Eigenart, die sie mit der nobelpreisprämierten dramatischen Kunst teilt. Man darf den Nobelpreis denn auch als Anerkennung jener Tradition verstehen, in der sich Dylan selbst sieht.

Der ewige Troubadour Dylan, der zuletzt mit Vorliebe Songs aus dem Great American Songbook coverte, stand übrigens auch am Tag der Bekanntgabe des Nobelpreises auf einer Konzertbühne. (Karl Gedlicka, 13.10.2016)