In Ferdinand von Schirachs Stück wird der Zuseher zum Geschworenen. 86,9 Prozent befanden den Angeklagten Montagabend im ORF für "nicht schuldig".

Ferdinand von Schirachs Prozessdrama "Terror" war Montagabend im ORF zu sehen. Die zentrale Frage des Stücks: Darf man 164 Personen töten, um 70.000 zu retten? Vier weitere drängen sich nach Ausstrahlung und Urteil des Fernsehpublikums auf.

Was haben wir gesehen? Eine szenisch durchaus, im Sinne des Wortes, theatralische Gerichtsverhandlung mit einer durchaus ambivalenten Staatsanwältin und einem eher hilflosen Verteidiger, der erst beim Plädoyer etwas auftauen darf. Alles in Sinne des Autors, der explizit für eine Verurteilung wäre.

Was haben wir erlebt? Eine fast schon an Stephen King erinnernde Lynchjustiz-Casting-Show mit anschließender "No-na-ned"-Diskussion mit den üblichen Verdächtigen, mit vorverkabelten, spontanen Publikumsreaktionen, bei denen unser geschätzter Staatsrundfunk vorsichtshalber nur Prozentwerte lieferte und, verdammt sei, wer schlecht denkt, keinerlei absolute Zahlen, sich aber nicht entblödet, für das Voting auch noch Geld (50 Cent) zu verlangen.

Was haben wir nicht erlebt? Eine ernsthafte philosophische oder auch nur juristische Auseinandersetzung mit dem Thema. Dazu reichen weder fünf Zeilen Kant noch die Versicherung des Herrn Brigadiers, Luftwaffenchef Karl Gruber, sogar zwei geheime ministeriale Telefonnummern zu kennen. Der Rest war eine laue Verteidigung diverser Systempositionen bis hin zum Justizminister Wolfgang Brandstetter, der sich natürlich, ganz Politiker, nicht festlegen wollte.

Was ist interessant? Wenn auch in diesem Zusammenhang vermutlich Zufall? Das ist zumindest hierzulande die Treffsicherheit, mit der dieser Film nach dem Grazer Urteil, das zu einer breiten Diskussion über die Laiengerichtsbarkeit geführt hat, und natürlich durch den medialen Bestseller "Terrorismus" einschlägt. Um wie viel anders wäre das Urteil erstens vor 9/11 und zweitens, wenn es um eine piloten- und treibstofflose Unfallmaschine gegangen wäre, ausgefallen?

Geliebte Utopie

Das Dilemma ist keines. Ich vermute doch oder hoffe vielmehr, dass sich alle Proponenten dessen bewusst sind, es ist eben keines zwischen Moral und Recht beziehungsweise seinen verschieden gewichteten Ausprägungen, sondern eine generelle Frage des Pazifismus, der zugegebenermaßen eine, wenn auch eine von mir geliebte Utopie ist. Solange wir das Töten unter bestimmten Bedingungen eben doch "erlauben" – und wie stolz war Professor Heinz Mayer, der Verfassungsjurist, doch, dass wir die Todesstrafe abgeschafft haben und jungen Männern milliardenschweres Gerät dazu unter ihre zarten Hintern pflanzen –, ist die Frage, wann sie selbiges eben auch benutzen, eine lässliche oder eben politische, im schlimmsten Sinne dieses Wortes, Detailfrage. (Thomas Höbelt, 19.10.2016)