Keine Genregion auf dem X-Chromosom steht mit dem Erkrankungsrisiko in Zusammenhang.

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Frauen erkranken später an einem Herzinfarkt, sterben aber öfter daran, Männer sind insgesamt häufiger betroffen. Dass es geschlechtsspezifische Unterschiede bei diesem Krankheitsbild gibt, ist schon länger bekannt.

Ein internationales Konsortium mit dem Namen CARDIoGRAMplusC4D hat nun erstmalig das menschliche X-Chromosom nach genetischen Faktoren untersucht, die einen Einfluss auf die koronare Herzkrankheit und den Herzinfarkt haben könnten. Es war die erste Untersuchung überhaupt, die auf dem X-Chromosom nach Auslösern für große Volkskrankheiten fahndete. Die Forscher berichten darüber in "Scientific Reports". An der Studie, die 100.000 Personen umfasste, waren mehr als 80 Wissenschaftler aus 14 verschiedenen Ländern beteiligt.

Das menschliche Genom besteht aus 22 sogenannten Autosomen sowie den beiden Geschlechtschromosomen X und Y. Männer tragen jeweils ein X- und ein Y-Chromosom, Frauen hingegen zwei X-Chromosomen. Im Gegensatz zum Y-Chromosom, welches nur sehr wenige Gene trägt, liegen auf dem X-Chromosom rund 2000 Gene. "Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) haben in den vergangenen zehn Jahren wesentlich zum Verständnis der Genetik der koronaren Herzkrankheit und des Herzinfarktes beigetragen. In diesen Studien wurde das X-Chromosom jedoch immer ausgelassen", sagt Jeanette Erdmann vom Institut für Integrative und Experimentelle Genomik an der Universität zu Lübeck.

Spezielle Auswertungen

Dies ist vor allem methodisch bedingt: Für Analysen des X-Chromosoms müssen Männer und Frauen getrennt behandelt werden und es sind spezielle an das X-Chromosom angepasste Auswertungen notwendig. Für ihre aktuelle Studie haben die Forscher nun eine neue Auswertepipeline für die Analyse des X-Chromosoms entwickelt und diese dann an dem weltweit größten Datensatz von Herzinfarktpatienten und gesunden Kontrollpersonen angewendet.

Überraschenderweise konnten die Wissenschaftler des Konsortiums keine Genregion auf dem X-Chromosom identifizieren, die mit dem Erkrankungsrisiko in Zusammenhang steht. Erdmann: "Das Ergebnis dieser Studie hat uns alle erstaunt, denn seit vielen Jahren ist bekannt, dass kardiovaskuläre Erkrankungen bei Männern und Frauen unterschiedlich früh und unterschiedlich schwer auftreten. Für diese Unterschiede hat man auch die Geschlechtschromosomen verantwortlich gemacht." Die Studie lege daher nahe, dass andere Faktoren wie etwa Hormone, Ernährung oder Lifestyle für die Unterschiede verantwortlich sein müssen.

Inke König vom Institut für Medizinische Biometrie und Statistik an der Universität zu Lübeck ergänzt: "Aufgrund der einmaligen Größe unserer Studie können wir ziemlich sicher ausschließen, dass wir relevante Zusammenhänge übersehen haben. Darum werden wir jetzt verstärkt nach anderen Faktoren suchen, die die Unterschiede zwischen Frauen und Männern beim Herzinfarkt erklären können. Dies ist ein wichtiger Schritt, um geschlechtsspezifische Vorsorge oder sogar Therapiestrategien entwickeln zu können." (red, 31.10.2016)