Lausanne – Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (École polytechnique fédérale de Lausanne – EPFL) haben einen neuen Ansatz gegen die Duchenne-Muskeldystrophie getestet: Eine hohe Dosis des Vitamins Nikotinamid-Ribosid zeigte im Tierversuch erste vielversprechende Resultate gegen den fortschreitenden Muskelabbau.

Die Duchenne-Muskeldystrophie ist die häufigste muskuläre Erbkrankheit und betrifft eines von 3.500 Kindern. Wegen eines Gendefekts fehlt den Betroffenen ein Protein namens Dystrophin, das für die korrekte Funktion von Muskelzellen wichtig ist. Ohne entsteht eine Entzündungsreaktion, die die Muskeln nach und nach zerstört. Die Folge sind fortschreitende Lähmungen und bei den meisten Patienten Tod durch Herz- oder Lungenversagen.

Zerstörung der Muskelzellen

Weltweit suchen Wissenschafter nach Möglichkeiten, den Gendefekt zu beheben oder ihm entgegenzuwirken. Das Forscherteam um Johan Auwerx wählte einen anderen Ansatz: mit dem Vitamin namens Nikotinamid-Ribosid konnte das Fortschreiten der Krankheit in Versuchstieren gebremst werden.

Die Entzündungsreaktion in den Muskelzellen führt dazu, dass den Kraftwerken der Zelle – den Mitochondrien – der "Treibstoff" ausgeht. Das verschlimmere die Entzündung zusätzlich und damit die fortschreitende Zerstörung der Muskelzellen.

Das Vitamin Nikotinamid-Ribosid kann von den Zellen aber zu genau dem fehlenden Treibstoff für die Mitochondrien umgewandelt werden. In früheren Studien hatten Auwerx und sein Team bereits festgestellt, dass das Vitamin dem Altern von Muskeln bei Versuchstieren entgegenwirkt – ein Prozess, der ebenfalls mit dem Versagen der Mitochondrien zusammenhängt. Deshalb wollten sie den Effekt auf das Fortschreiten der Muskelkrankheit prüfen.

Entzündungsprozesse reduzieren

Dazu verwendeten sie Fadenwürmer und Mäuse, die den entsprechenden Gendefekt aufweisen, so dass sie ähnliche Symptome wie Duchenne-Muskeldystrophie-Patienten entwickeln. Mit einer hohen Dosis Nikotinamid-Ribosid behandelte Fadenwürmer zeigten gar keine Krankheitssymptome, bei den Mäusen war die Entzündungsreaktion deutlich gedämpft, berichten die Forscher im Fachblatt "Science Translational Medicine".

"Wir haben guten Grund anzunehmen, dass auch Menschen auf diese Behandlung ansprechen, und dass wir die Entzündung reduzieren können", so Auwerx. "Wir wissen aber nicht, in welchem Maß." Wichtig sei zu bedenken, dass dieser Ansatz nicht auf die Ursache der Krankheit, den Dystrophin-Mangel, abziele, betont der Forscher. Deshalb sei es schwierig, den Effekt des Vitamins bei Patienten vorherzusagen.

Dennoch wäre es ein Fortschritt, wenn dieser Ansatz helfen könnte, das Leben von Betroffenen zu verlängern und ihre Symptome zu mildern. Das Vitamin ist als Nahrungsergänzungsmittel im Handel erhältlich und auch bei hohen Dosen seien bisher keine schädlichen Nebenwirkungen bekannt, heißt es vonseiten der EPFL-Forscher. Überschüssiges Nikotinamid-Ribosid werde vom Körper mit dem Urin ausgeschieden. Klinische Studien könnten in den nächsten zwei Jahren starten.

Hohe Dosis nötig

"Wir müssen die Dosierung prüfen", so Auwerx. "Bei den Tieren war die Dosis so hoch, dass wir sie nicht über die Ernährung verabreichen konnten." Für die klinischen Studien seien massive Dosen an synthetischem Vitamin nötig.

Der Gendefekt, der die Duchenne-Muskeldysthropie verursacht, wurde vor 30 Jahren entdeckt. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat im September ein erstes Medikament für den US-Markt freigegeben, das für Patienten mit einer ganz bestimmten Variante des Gendefekts bestimmt ist. Davon profitieren jedoch nur etwa 13 Prozent der Betroffenen. Die Entwicklung weiterer Therapien und verschiedener Ansätze ist daher dringend nötig. (APA, sda, 20.10.2016)