Von einem Sparpaket könne keine Rede sein, sagt Bildungsministerin Sonja Hammerschmid.

Foto: Standard/Corn

Für zwei Tage hat Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) gemeinsam mit ihren Kabinettsmitarbeitern, den Bildungssprechern der Parlamentsparteien und einigen Journalisten Bozen besucht. Vor allem die deutschsprachigen Schulen in Südtirol schneiden bei der internationalen Bildungsstudie Pisa besser ab als die österreichischen. Für die Bildungsreform abgeschaut hat sich Hammerschmid vom System hauptsächlich die Autonomie der Schulen und die Verwaltung der Kleinschulen. Die Gesamtschule – ebenfalls Teil des italienischen Schulsystems – ist zwar ein sozialdemokratisches Ziel, derzeit liegen die Prioritäten aber woanders, sagt die Bildungsministerin im Interview mit dem STANDARD.

STANDARD: Kritik an Ihrem Autonomiepaket gibt es vor allem, weil Eltern, Lehrer und Schüler weniger entscheiden werden als bisher. In Ihrem Vorbild Südtirol gibt es einen Schulrat, der den Stundenplan und die Verwaltung des Budgets bestimmt. Können Sie sich vorstellen, die Schulpartner in Österreich doch mehr einzubeziehen?

Hammerschmid: Die Schulpartner sind nicht außen vor. Sie entscheiden bei pädagogischen Belangen mit, etwa beim Schwerpunkt eines Schulclusters. Was uns aber vorschwebt, ist, dass der Schulclusterleiter künftig die Verantwortung hat. Er wird auch die Konsequenzen tragen. Er wird dafür zur Rechenschaft gezogen, wenn eine Schule nicht so performt, wie sie sollte. Wenn jemand anderer entscheidet, kann ich nicht den Direktor zur Verantwortung ziehen.

STANDARD: Wo ziehen Sie die Grenze? Was entscheidet der Direktor, was die Schulpartner?

Hammerschmid: Die Klassengröße bestimmt der Leiter, genauso, ob es 50-Minuten-Einheiten geben soll oder nicht.

STANDARD: Die Lehrergewerkschaft fürchtet, dass mit dem Autonomiepaket ein Sparpaket kommt. Sie glaubt Ihnen nicht, dass es später sicher nicht weniger Lehrerstellen geben wird, wenn Direktoren eigenmächtig die Klassenschülerhöchstzahl hinaufsetzen dürfen.

Hammerschmid: Das ist wirklich nicht unser Ziel, das kann ich nur immer wieder betonen. Wir müssen diese Autonomie leben, dann wird man mir hoffentlich glauben. In manchen Situationen werden Lehrer in größeren Gruppen unterrichten, es wird aber auch kleinere Gruppen geben. Wenn ich von themenspezifischem Unterricht spreche, dann wird es so sein, dass Lehrerinnen und Lehrer in einem Fach zu Beginn zum Beispiel Input in großen Gruppen geben und eine Art Vorlesung halten, anschließend arbeiten sie in kleinen Gruppen zu dem Thema weiter. Ich würde mein eigenes Autonomiepaket torpedieren, wenn ich Ressourcen rausziehen würde.

STANDARD: In Südtirol können die Schulen pro Woche über den Inhalt von zwei Stunden frei bestimmen. Wie soll die pädagogische Autonomie in Österreich aussehen?

Hammerschmid: Wir machen auf. Bis jetzt konnten Schulen über fünf bis zehn Prozent der Stundentafel autonom entscheiden. Kein Lehrer kann sich vorstellen, was das heißen soll. Natürlich müssen die Schüler am Ende des Schuljahres gewisse Kompetenzen beherrschen, die wir als Ministerium abfragen werden. Darüber hinaus sollen die Schulen aber wirklich gestalten können. Physik, Chemie oder Biologie kann ich auch ganz anders unterrichten. Ich kann sagen, ich behandle all diese Fächer beim Thema Klimawandel und kann Mathematik auch gleich hineinpacken und vielleicht sogar noch auf Englisch unterrichten.

STANDARD: Soll es zum Beispiel auch möglich sein, fünf Stunden Latein pro Woche zu unterrichten?

Hammerschmid: Das scheint mir nicht unbedingt sinnvoll, aber da lege ich mich nicht fest. Das sollen die Pädagogen entscheiden, die sind dafür ausgebildet.

STANDARD: Was Sie noch nicht angegriffen haben, ist die finanzielle Autonomie der einzelnen Schulen. Wie soll die aussehen?

Hammerschmid: Finanzielle Autonomie heißt auch in Südtirol, dass man Sachmittel zugeteilt bekommt, die man frei einsetzen kann. Das können unsere Schulen bereits zum Teil, und das wird durch die Clusterbildung noch ausgeweitet. Natürlich überlegen wir im Ministerium aber auch, was man noch besser machen könnte, aber irgendwo müssen wir beginnen.

STANDARD: In Südtirol gibt es die Einheitsmittelschule. Was sind Ihre Pläne diesbezüglich?

Hammerschmid: Für uns war es wichtig, jetzt mit dem Autonomiepaket zu beginnen, das setzt einen Rahmen. Die anderen Reformpläne müssen jetzt damit verzahnt werden. Wir überlegen, wie die Schulbehördenstruktur in diesen Rahmen hineinpasst. Auch die Modellregionen zur Gesamtschule werden eingepasst.

STANDARD: Wollen Sie die Gesamtschule flächendeckend einführen?

Hammerschmid: Das wird immer ein sozialdemokratisches Ziel bleiben. Meine Prioritäten sind aber dort, wo ich schnell etwas erreichen kann. Ich will mich nicht wieder in Pattstellung begeben, sondern gestalten.

STANDARD: In Südtirol gibt es keine Sonderschulen. Wann werden sie in Österreich abgeschafft?

Hammerschmid: Wir haben derzeit inklusive Modellregionen in Tirol, Kärnten und der Steiermark. Die laufen bis 2020. Zudem gibt es Sonderschulen, die den umgekehrten Weg gehen und sich schon jetzt öffnen. Wir wollen Erfahrungen sammeln und dann schauen, wie wir damit umgehen. Mir ist Inklusion ein Herzensanliegen. Wenn man denn Mut hat, über sich hinauszuwachsen, dann geht einiges. Das habe ich hier gesehen. Eine Südtiroler Mutter hat mir erzählt, dass ihre Tochter Dinge gelernt hat, die ihr die Experten nie zugetraut hätten. Auch die soziale Interaktion von Kindern mit besonderen Bedürfnissen und anderen Kindern ist irrsinnig bereichernd. Diese Menschen werden Teil der Gesellschaft, die Berührungsängste werden abgebaut. (22.10.2016)