Eines der ältesten römischen Militärlager, das in Carnuntum mittels Georadar entdeckt wurde.

Foto: 7Reasons

Virtual-Reality-Serious-Game des Westhauses in der bronzezeitlichen Stadt Akrotiri, generiert für den Einsatz des HTC-Vive-Headsets.

Foto: 7Reasons/LBI ArchPro

CAD-Modell (Computer-Aided Design) des Amphitheaters in der Zivilstadt von Carnuntum.

Foto: 7Reasons/LBI ArchPro

Idealisierte, architektonische Rekonstruktion von einem "Contubernium", der kleinsten Einheit innerhalb einer römischen Legionärsbaracke.

Foto: 7Reasons/LBI ArchPro

Dokumentation einer archäologischen Ausgrabung mittels Image-based Modelling. Aus Einzelbildern errechnet ein Algorithmus eine dreidimensionale Oberfläche – die Grundlage für viele Anwendungen in der Virtuellen Archäologie.

Foto: LBI ArchPro

3D-Visualisierung von Klause und Kirche auf dem Falkenstein am Wolfgangsee basierend auf Ausgrabungs- und Prospektionsergebnissen, einem digitalen Geländemodell sowie historischen Quellen und Analogien.

Foto: LBI ArchPro

Eine Augmented-Reality-App, generiert für die römische Stadt Carnuntum. Basierend auf zweidimensionalen Bildern kann die App Muster erkennen und so das 3D-Modell eines Amphitheaters auf die Oberfläche platzieren.

Foto: LBI ArchPro

Serious Game "Stonehenge Explorer", speziell entwickelt für die Ausstellung "Stonehenge – Verborgene Welten" im Mamuz-Museum in Mistelbach.

Foto: Bytewood

Die 3D-Rekonstruktion von Alltagsgegenständen ist ebenso wichtig wie die Visualisierung von Landschaften oder Architektur. Das Bild zeigt den Rekonstruktionsprozess einer neolithischen Keramik, gefunden am Hambledon Hill (England) mittels Image-based Modelling, basierend auf dem Originalartefakt.

Foto: LBI ArchPro

3D-Visualisierung eines "long barrow", bevor es von Erde bedeckt wurde.

Foto: 7Reasons/LBI ArchPro

3D-Visualisierung von Woodhenge (England) mit möglichen Verzierungen an den Holzpfosten.

Foto: 7Reasons/LBI Archpro

Das Forschungsinstitut, an dem ich arbeite, trägt einen sehr langen Namen: Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie. Der Begriff der Archäologischen Prospektion ist mittlerweile recht bekannt. Virtuelle Archäologie dagegen wird manchmal noch missverstanden. So fragte mich ein Bekannter einmal verwirrt: Und was macht ihr da dann? "Tomb Raider" spielen?

Seit den 1970er-Jahren haben virtuelle Realitäten unser Leben beeinflusst und sind heute, neben ihrer Verwendung in Medizin, Technik, und Architektur, vor allem durch den Einsatz in Filmen und Games bekannt. Die Faszination, in fremde Welten und vergangene Zeiten einzutauchen, macht auch einen Großteil der Begeisterung für die Archäologie aus – das gilt für Wissenschafter genauso wie für Laien. Unsere Fantasie und Neugier wird durch spektakuläre Fundstellen wie die Pyramiden von Gizeh oder die Inkastadt Machu Picchu in den Anden leicht geweckt. Wer einmal durch die Ruinen des römischen Pompeji bei Neapel oder des Bronzezeitlichen Akrotiri auf Santorin gewandert ist, wird sich in vergangene Zeiten zurückversetzt fühlen.

Dreidimensionale Visualisierung

Nicht alle archäologischen Fundstellen sind jedoch so gut erhalten, dass es möglich wäre, sie (gefahrlos) zu betreten und dreidimensional zu erleben. In vielen Fällen – in Österreich besonders im Bereich der Urgeschichte der Regelfall – sind Fundstellen nur noch als Spuren im Boden vorhanden.

So sind zum Beispiel die 6.500 Jahre alten neolithischen Kreisgrabenanlagen im Weinviertel oder das römische Carnuntum bei Hainburg heutzutage zum größten Teil von Erdreich überdeckt. Eine Möglichkeit, diese archäologischen Hinterlassenschaften erlebbar zu machen, liegt in der dreidimensionalen Rekonstruktion und Visualisierung einer Fundstelle. Zugleich erleichtert dies für Archäologen die Interpretation, die ja auf einer Fülle von Daten aus Prospektion, gezielter Ausgrabung und naturwissenschaftlichen Analysen besteht. Hypothesen, die darauf aufbauen, können so detailreich veranschaulicht werden.

Digitalisierung der Archäologie

Hier kommt die Virtuelle Archäologie ins Spiel, die sich erst in den vergangenen Jahren als eigenes Feld etabliert hat, dies dafür aber mit unglaublicher Geschwindigkeit. Die zunehmende Digitalisierung in der Archäologie, das Aufkommen von Laserscanning, Image-based Modelling, 3-D-Druckern, Augmented Reality und 3-D-Brillen, vor allem aber eine steigende Nachfrage nach visuellen Inhalten und detailgetreuen 3-D-Rekonstruktionen in der Wissensvermittlung, etwa im Rahmen von Citizen-Science und Museen, und eben nicht zuletzt in der Forschung selbst haben dafür gesorgt, dass die Anwendung von Virtual Reality aus der Archäologie nicht mehr wegzudenken ist.

Zugleich verlangt das von uns Archäologen, uns mit den Grundlagen dieser Vielzahl an neuen Anwendungsmöglichkeiten zu beschäftigen. Das beinhaltet Fragen wie: Wie definieren wir Virtuelle Archäologie? Wofür wird sie eingesetzt? Welche wissenschaftlichen Prinzipien müssen dabei beachtet werden? Und was kann Virtuelle Archäologie bewirken? Wissenschaftliche Auseinandersetzungen darüber gab es schon länger, und auch der Begriff "Virtual Archaeology" wurde bereits 1990 vom englischen Archäologen Paul Reilly geprägt. Breiten Konsens, geschweige denn Richtlinien oder Empfehlungen gab es in der wissenschaftlichen Community aber bis vor kurzem nicht.

Hollywoods haarsträubende Fehler

Man könnte jetzt fragen, warum das so wichtig ist. 3-D-Rekonstruktionen, computerbasierte Viualisierungen und Simulationen – allesamt Teil der Virtuellen Archäologie – wurden lange Zeit auch ohne feste Regeln eingesetzt. Unreflektierter Umgang mit archäologischen Inhalten kann aber mitunter mehr schaden als nützen, vor allem im Bereich der Wissensvermittlung. Der Spruch: "Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte" trifft besonders in unserer heutigen, stark von visuellen Inhalten geprägten Gesellschaft zu.

Beispiele für die haarsträubend fehlerhafte 3-D-Darstellung vergangener Kulturen gibt es viele – Hollywood hat hier einiges auf dem Gewissen –, wenige haben es allerdings so auf die Spitze getrieben wie der Roland-Emmerich-Film "10.000 BC", in dem Pyramiden, Säbelzahntiger und Mammuts bunt gemischt wurden. Während viele Kinobesucher restlos begeistert waren, graut Archäologen bei der bis heute immer wieder gern gestellten Frage, ob Mammuts beim Bau der Pyramiden eingesetzt wurden.

Eigene Regelwerke

Natürlich ist ein Blockbuster keine wissenschaftliche Arbeit, sondern hat es rein auf Unterhaltung abgesehen, und da ist einiges an künstlerischer Freiheit erlaubt. Trotzdem zeigt das Beispiel recht gut, welch nachhaltige Wirkung virtuelle Welten auf uns haben können und warum Richtlinien betreffend der Erstellung von virtuellen archäologischen Inhalten so wichtig sind – auch in der wissenschaftlichen Forschung.

2009 wurden deshalb mit der London Charter (International Charter for Computer-Based Visualisation of Cultural Heritage) und 2011 mit den Sevilla Principles (International Principles of Virtual Archaeology) Regelwerke geschaffen, die – genau wie bei konventionellen wissenschaftlichen Arbeiten – Quellenangaben sowie Transparenz und Nachvollziehbarkeit bezüglich der Vorgangsweisen, die beim Erstellen verschiedenster 3-D-Rekonstruktionen zum Einsatz kommen, einfordern.

Das Erstellen von hochwertigen und akkuraten Rekonstruktionen ist eine sehr komplexe Angelegenheit, bei der alle vorhandenen archäologischen und naturräumlichen Daten zusammengefasst, interpretiert und in einem 3-D-Modell visualisiert werden. Zumeist sind das Laserscandaten heutiger Geländeoberflächen als Grundlage für das Geländemodell, sämtliche Prospektions- und Ausgrabungsergebnisse sowie vergleichbare Daten ähnlicher archäologischer Situationen und historische Quellen, die gebündelt in die 3-D-Rekonstruktion einfließen. Auf Basis dieser Informationen werden anschließend verschiedene Modelle und Phasen der archäologischen Befundsituation erstellt. Das kann zum Beispiel die Hypothese zur Struktur des Superhenges Durrington Walls in England sein oder aber auch einzelne Errichtungsphasen eines Langbetts (Long barrow).

Die vierte Dimension

Ein weiterer Vorteil der Virtuellen Archäologie ist die Möglichkeit, räumliche Veränderungen mit zeitlicher Tiefe zu korrelieren und somit ein 3-D-Modell durch den Faktor Zeit in ein 4-D-Modell zu verwandeln. Das ist besonders bei der Visualisierung archäologischer Landschaften, denen eine gewisse Dynamik innewohnt und die dabei landschaftliche und anthropogene Veränderungen durchmachen, von Bedeutung. Die 3-D- und 4-D-Rekonstruktionen können verschiedene Grade an Detailliertheit aufweisen, angefangen von einfachen volumetrischen Modellen bis hin zu ausgefeilten texturierten Szenerien mit vielen zusätzlichen Elementen wie zum Beispiel Vegetation oder Geräuschen. Einmal generiert, kommen die fertigen Modelle verschiedenartig zum Einsatz: als gerendertes Einzelbild, als 3-D-Animation, als RealTime-Application (Virtual oder Augmented Reality), in 3-D-Prints, 360-Renderings oder stereoskopen 2-D-Bildern.

Für die Anwendung der Virtuellen Archäologe sowie ihre ständige Weiterentwicklung braucht es Spezialisten. Mein Kollege Matthias Kucera, eigentlich studierter Physiker, beschäftigt sich schon seit mehr als zehn Jahren mit diesem Fachbereich und legt dabei besonderes Augenmerk auf die wissenschaftstheoretischen Grundlagen. Das eigentliche Erschaffen der virtuellen Welten obliegt im LBI Archpro dem spanischen Historiker Juan Torrejón Valdelomar und Nika Lužnik Jancsary, Archäologin und Kunsthistorikerin aus Slowenien, oft in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern von 7Reasons. Dadurch entstehen am Ende eines aufwendigen wissenschaftlichen Forschungsprozesses dreidimensionale Bilder unserer Fundstellen, die nicht nur Museumsbesucher, sondern auch uns Wissenschafter immer wieder zum Staunen bringen. (Petra Schneidhofer, 27.10.2016)