Das Lager in Calais wurde komplett geräumt.

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Zwei Polizisten und ein Flüchtling vor dem "Dschungel".

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Calais – Die französischen Behörden haben nach dreitägiger Räumung das Ende des Flüchtlingslagers von Calais verkündet. "Heute ist wirklich das Ende des Dschungels", sagte die zuständige Präfektin Fabienne Buccio am Mittwoch in Calais. Am Nachmittag befanden sich nur noch einige Dutzend Flüchtlinge in dem von zahlreichen Bränden verwüsteten Lager.

Die letzten Busse, die Flüchtlinge in Unterkünfte im ganzen Land bringen, sollten am Abend abfahren. "Es ist niemand mehr im Lager", sagte Buccio schon am Mittwochnachmittag. Zu dem Zeitpunkt befanden sich aber noch zahlreiche Flüchtlinge in dem Lager am Ärmelkanal, wie AFP-Reporter berichteten. Später sagte die Präfektin: "Wir werden den ganzen Tag weiter arbeiten."

Brände in Calais.
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Behördenmitarbeiter und Polizisten in Schutzmontur forderten die Flüchtlinge auf, das Lager zu verlassen. Angetrieben wurde die Räumung auch von Bränden: Flüchtlinge setzten zahlreiche Hütten und Zelte in Brand, Gasflaschen explodierten, auch ein Fahrzeug einer Hilfsorganisation fing Feuer. Dichte Rauchwolken hingen über dem "Dschungel".

Festnahmen wegen Brandstiftung

Die Flammen und der Rauch zwangen zahlreiche Flüchtlinge, die sich bis zuletzt in dem "Dschungel" aufgehalten hatten, das Lager zu verlassen. Mehrere Flüchtlinge wurden wegen Brandstiftung und versuchter Brandstiftung festgenommen. Präfektin Buccio sprach von einer "Tradition bestimmter Gruppen, ihre Unterkünfte vor dem Aufbruch zu zerstören".

Die französischen Behörden hatten am Montag damit begonnen, das berüchtigte, slumartige Flüchtlingslager am Ärmelkanal zu räumen. Am zweiten Tag der Lagerräumung begannen Arbeiter damit, leere Flüchtlingshütten und Zelte abzureißen.

Trümmer abtransportiert

Die Abrissarbeiten wurden am Mittwoch fortgesetzt, Arbeiter setzten dabei wie bereits am Vortag auch Schaufelbagger ein, um die Trümmer abzutransportieren. In den kommenden Tagen wollen die Behörden den Abriss des Lagers beschleunigen.

Die französischen Behörden bringen die Bewohner des "Dschungels" seit Montag mit Bussen in Aufnahmezentren im ganzen Land. Hunderte Minderjährige kommen zudem in Wohncontainern unter, die am Rande des Flüchtlingslagers stehen. Einige der minderjährigen Flüchtlinge haben Chancen, in Großbritannien aufgenommen zu werden.

Vor Beginn der Räumung des "Dschungels" hatten sich nach Behördenangaben rund 6.400 Flüchtlinge, nach Schätzungen von Hilfsorganisationen mehr als 8.000 Flüchtlinge in dem Lager aufgehalten. Bis zum Mittwochmittag hatten die Behörden 5.000 Flüchtlinge mit Bussen weggebracht oder in den Wohncontainern für Minderjährige untergebracht.

Viele wollen in der Region bleiben

Viele Flüchtlinge wollen die Region aber nicht verlassen: Sie hoffen nach wie vor, heimlich nach Großbritannien zu gelangen. Sie sehen dort mehr Chancen auf ein besseres Leben für sich als in Frankreich. Viele Flüchtlinge in Calais kündigten deswegen an, sich nach der Räumung des "Dschungels" in der Region durchschlagen zu wollen. Zu einem ähnlichen Verdrängungseffekt war es schon gekommen als der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy das Lager in Sangatte im Jahr 2002 schließen lies – der heutige "Dschungel" ist eines der Nachfolgelager.

"Ich werde auf der Straße enden", sagte ein sudanesischer Flüchtling. "Das wird das Schicksal von vielen von uns. Ich denke, sogar wenn der Dschungel brennt werden einige von uns hierher zurückkehren. Hier können wir wenigstens unser Glück versuchen, nach Großbritannien zu kommen."

Minderjährige obdachlos

Wegen der Räumung des "Dschungels" sind Dutzende minderjährige Flüchtlinge nach Angaben von Hilfsorganisationen plötzlich ohne Obdach. "Das Containerlager, in dem registrierte Minderjährige schlafen können, ist voll", sagte ein Sprecher von Ärzte ohne Grenzen, Samuel Hanryon, am Mittwoch.

Weil viele Hütten und Zelte im Lager abgebrannt seien, gebe es jetzt keinen Ort mehr, wo die Minderjährigen hingehen könnten. "Sie laufen verloren umher und fragen sich, wo sie die Nacht verbringen sollen", sagte Hanryon. Betroffen seien "mindestens Dutzende" Minderjährige, die Zahl sei aber schwer zu schätzen.

Auch der Leiter der Hilfsorganisation France Terre d'Asile, Pierre Henry, sagte, es gebe in den Wohncontainern für die Kinder und Jugendlichen keinen Platz mehr. Die Registrierung minderjähriger Flüchtlinge sei deswegen unterbrochen worden. Hilfsorganisationen hatten vor Beginn der Lagerräumung von rund 1.300 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Calais gesprochen. Das Containerlager hat rund 1.500 Schlafplätze.

Alle minderjährigen Flüchtlinge sollten eigentlich in den Wohncontainern unterkommen, die am Rande des Lagers stehen. Viele von ihnen können darauf hoffen, in Großbritannien aufgenommen zu werden, vor allem, wenn sie dort Verwandte haben. Ihre Fälle müssen aber einzeln geprüft werden. (APA, 26.10.2016)