Sonnenuntergang als Symbol für die Endlichkeit des Lebens. Sterben sollte als ein trauriges und schönes Erlebnis gleichzeitig erlebt werden können.

Alle Jahre wieder: Nur zu Allerheiligen wird über den Tod gesprochen. Grazer Forscher haben sich dem Tabuthema gewidmet und erkannt, dass es Menschen kurz vor ihrem Tod oft schwerer haben, als es sein müsste. Sie werden laut den Experten der Moraltheologie nicht ernst genommen oder landen im auf das Heilen ausgerichtete Gesundheitssystem statt auf den wenigen Palliativstationen.

Mit dem Projekt "Netzwerk Lebensende" haben Wissenschafter vom Institut für Moraltheologie der Karl-Franzens-Universität Graz und dem Institut für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Graz mehr als 30 ausführliche Interviews mit Gesprächspartnern aus Medizin und Pflegewissenschaften, Hospiz-Einrichtungen, Physiotherapie, Psychologie und Pädagogik, Theologie und Philosophie, Rechtswissenschaften sowie Literatur- und Sprachwissenschaft geführt. Das Ergebnis war ernüchternd: Es gibt genügend Defizite im Umgang mit dem Thema Lebensende und in der Begleitung Sterbender.

Zeitpunkt erkennen

"Ein Punkt ist, dass das Selbstwissen, die eigenen Erfahrungen und Empfindungen der Patienten, häufig nicht als Information anerkannt werden", erklärte Projektmitarbeiterin Kristin Attems von der Med Uni Graz. "Wenn jemand sagt, er habe das Gefühl, er werde in den nächsten Tagen sterben, die Diagnose aber eine andere ist, so nimmt man den Patienten oder die Patientin oft nicht ernst. Tatsächlich aber wissen Sterbende häufig sehr wohl, wann es soweit ist."

Es gebe auch kein ganzheitliches Grundverständnis, keine solide wissenschaftliche Beschreibung vom Prozess des Sterbens, die helfen würde zu erkennen, was normal und was pathologisch ist, sagte Attems und nannte als Beispiel Nahtoderlebnisse. "Wir sehen und verstehen nicht genug, deshalb kommt es zu vielen Missverständnissen und Versorgungslücken. Es bedarf auch einer verstärkten juristischen Aufklärung in der Aus- und Fortbildung innerhalb der Gesundheitsberufe, da es hier noch Unsicherheiten gibt."

Der Tod werde den Ärzten überlassen, die aber ausgebildet werden, ihn zu verhindern. "Unser gesamtes Gesundheitssystem folgt einer heilenden Logik, es ist nicht darauf ausgerichtet, Sterbende zu begleiten", betonte die Forscherin. Da es noch immer zu wenig Palliativeinrichtungen und Hospize gebe, landen viele Menschen an ihrem Lebensende in diesem heilenden System, wo sie dann nicht angemessen betreut werden können, fasste Attems zusammen.

Mit vereinten Kräften

Um die Situation zu verbessern, brauche es in der Ausbildung zu Gesundheitsberufen eine stärkere Integration von Erkenntnissen aus Ethik, Recht, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit sei in der Forschung nötig – einerseits um ein umfassenderes Verständnis vom Menschen als sterbliches Wesen zu erhalten, und andererseits zur Verbesserung der Versorgung Sterbender und der Gestaltung ihres Lebensendes. (APA, 29.10.2016)