Bild nicht mehr verfügbar.

Alle Wecker und Weckrufe halfen (bisher) nichts: Ada hält sich an keine präzisen Termine

foto: dpa-Zentralbild/Martin Schutt

Wien – Rückblickend muss ich sagen, es war der Umgang mit der Zeit, der Ada und uns auseinanderbrachte. Nicht ganz, aber ein ordentliches Stück. Was blieb, war Sympathie; selten, aber doch besuchen wir einander – meist kommt sie, heute 24 Jahre alt, mit ihrem kleinen Sohn zu uns. Auch kann sie jetzt manchmal immer noch unsere Hilfe brauchen.

Aber nicht mehr in dem Bereich, in dem wir uns privat, als sogenannte Paten, am meisten um Ada bemüht hatten: in dem Versuch, ihr, einer als unbegleitete Minderjährige nach Österreich gekommenen Nigerianerin, eine Ausbildung zu ermöglichen. Das ging schief – und auch Behördentermine, zu denen wir sie begleiten wollten, scheiterten. War der Termin um zehn Uhr, kam sie um halb zwölf. Am Ende bestellten wir sie mindestens zwei Stunden vor dem wichtigen Zeitpunkt. Das klappte einigermaßen.

Schul-Versuch

Nun fehlt es Ada keineswegs an Intelligenz. Den Hauptschulabschluss schaffte sie und eignete sich das dazu notwendige Deutsch recht mühelos an. Auch zeigte sie klare Präferenzen für einen bestimmten Lehrberuf. Wir vermittelten ihr – sie war damals 18 – einen Platz in einer Fachschule.

Das freute sie, ja, es schien sie fast zu begeistern. Doch nur zwei Wochen nach Schulbeginn rief uns der Direktor an. Ada komme immer ein, zwei Stunden zu spät in den Unterricht und verlasse diesen nach zwei, drei Stunden einfach wieder. Von uns darauf angesprochen, reagierte sie mit einer Mischung aus Überraschung und Dreistigkeit. Sie sei doch ohnehin jeden Tag in die Schule gegangen! Gegenteiliges zu behaupten sei eine Lüge! Auch habe sie anderes zu tun, als nur in der Schule zu sitzen ...

Lehrberuf ade

Um es abzukürzen: Appelle, Sanktionsankündigungen, die Aussicht, bei gleichbleibendem Verhalten die Schule wieder verlassen zu müssen – nichts half. Sie wurde verwiesen, Lehrberuf ade.

Wir konsultierten eine Bekannte, die jahrelang in Nigeria gelebt hat. Adas Verhalten hänge womöglich mit traumatischen Erlebnissen zusammen, sagte sie. Aber: "Es hat vielleicht auch mit African Time zu tun".

African Time – darunter wird ein angeblich afrikatypischer Umgang mit der Zeit verstanden. Statt sich, wie wir im Westen, einem getakteten Tagesablauf zu unterwerfen, gehe man es in Afrika sowie in der Karibik entspannter an, meinen Apologeten. Falsch, entgegnen Kritiker, es handle sich vielmehr um chronische Unpünktlichkeit aus freiwilligen sowie aus widrigen Umständen geschuldeten Gründen. Meist sind die Einwände mit Sorge um die Wirtschaft verbunden: African Time erschwere die Entwicklung.

Nur bedingt pünktlich

Nun lassen Schilderungen aus – sagen wir – der nigerianischen Hauptstadt Abuja das Argument der widrigen Umstände plausibel klingen. Stundenlange Stromausfälle, unzureichende öffentliche Verkehrsmittel, Staatsbeamte und Lehrer, die wegen existenznotwendiger Nebenjobs in ihrem Stammberuf nur sehr bedingt zur Verfügung stehen, dürften Pünktlichkeit ziemlich erschweren. Auch ist, um wiederum traditionelle afrikanische Gesellschaften anzusprechen, unter Ethnologen unumstritten, dass dort eher ein bäuerlicher, zyklischer Zeitbegriff herrscht statt des durch die Industrialisierung bedingten linearen.

Aber ein eigenes Zeitgefühl für einen ganzen Kontinent? Das erscheint nun doch vermessen. Tatsächlich spalten Fragen der Zeitnutzung ja auch andere Regionen. Man denke etwa an das westeuropäische Balkan-Bild. Wenig hilfreich ist das Konzept einer African Time letztlich aber auch für Ada, die nun ohne Ausbildung dasteht. Was sie angeht, so denke ich, uns und allen anderen fehlte bisher schlicht die Überzeugungskraft, um sie von dieser elenden Unpünktlichkeit abzubringen. (Irene Brickner, 29.10.2016)