Schickhofers Radikalkur: "Ein Österreich, eine Gesetzgebung: Weg mit dem neunfachen Regelbestand! Der Bund sollte der Einzige sein, der Gesetze beschließt."

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STANDARD: Geht es nach Ihnen, dann soll der Bund den Ländern künftig 500 Millionen Euro mehr pro Jahr an Steuergeld überweisen. Ist das nicht maßlos?

Schickhofer: Nein, ich will als Ländervertreter nichts weiter als einen fairen Ausgleich. Man kann nicht so tun, als hätte sich die Welt seit Abschluss des letzten Finanzausgleichs 2008 nicht verändert: Dass die Menschen älter werden, ist ein Glück, steigert aber eben auch massiv die Ausgaben für Pflege, Gesundheit und Soziales. Das neue Ärztearbeitszeitgesetz verursacht den Ländern weitere Mehrkosten – und da rede ich noch gar nicht von den Belastungen durch die Flüchtlingskrise.

STANDARD: Finanzminister Hans Jörg Schelling sagt: Dank der insgesamt steigenden Steuereinnahmen bekämen die Länder vom Bund ohnehin immer höhere Ertragsanteile überwiesen. Reicht das nicht?

Schickhofer: Die Ertragsanteile sind seit dem letzten Finanzausgleich um 31 Prozent gestiegen, die Ausgaben für Gesundheit, Pflege und Soziales aber um 62 Prozent. Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass laut unseren Berechnungen allein die Pflegekosten pro Jahr um 5,5 Prozent anwachsen – der Pflegefonds gehört deshalb verlängert und jährlich um dieses Ausmaß valorisiert. Wollen wir die Leistungen nicht beschneiden, dann brauchen Länder und Gemeinden mehr Geld.

STANDARD: Die Bundesländer könnten versuchen, dieses Geld an anderer Stelle einzusparen. Immerhin hat der Rechnungshof unzählige Fälle aufgezeigt, wo unnötig viel Geld ausgegeben werde – etwa in den Spitälern.

Schickhofer: Wenn ein Land Spitäler zusammenlegen will, muss es erst einmal ordentlich investieren, und unserer Erfahrung nach wird das Sparpotenzial überschätzt. Wir sind ja voll dabei, wenn es um eine Verwaltungsreform geht, doch da muss man schon die Dimensionen zurechtrücken: Die Steiermark gibt eine Milliarde Euro für die Schulen aus, die Verwaltungskosten machen davon nur 5,5 Millionen aus. Die Krankenanstalten im Land haben 17.000 Bedienstete, in der Verwaltung arbeiten aber lediglich 400 Leute.

STANDARD: Wollen die Länder für ihre Forderungen keine Gegenleistungen bringen?

Schickhofer: Doch, im Gegenteil, wir haben ein Bürokratiepaket vorgeschlagen, um das System zu vereinfachen. Dabei sind die Länder bereit, Aufgaben abzugeben: Der Bund soll die Organisation der Ganztagsschulen, in die er ja 750 Millionen Euro investieren will, künftig allein übernehmen. Derzeit sind die Länder für Lehrer zuständig, die Gemeinden für Nachmittagsbetreuung, der Bund hat die Aufsicht – dieses Durcheinander versteht kein Mensch. Wenn Sie mich fragen, dann sollte der Bund überhaupt für alle Schulen die alleinige Kompetenz erhalten, während die Kindergärten zu Gänze an Länder und Gemeinden gehen. Aber das sage ich nicht mehr als Sprecher der Finanzreferenten, sondern aus meiner persönlichen Sicht heraus.

STANDARD: Schelling will im Gegenzug mehr Steuerautonomie. Derzeit geben die Länder Geld aus, das sie ihren Bürgern nicht selbst abknöpfen müssen. Wenn Landesregierungen selbst mehr Steuern einheben müssten: Würde das nicht zur Sparsamkeit erziehen?

Schickhofer: Wenn ich sehe, was Rechnungshofberichte und Untersuchungsausschüsse so über die Amtszeiten bisheriger schwarzer Finanzministerinnen und Finanzminister zutage fördern, dann frage ich mich, wer da Ratschläge braucht. Die Steuerautonomie, die für Minister Schelling so ein großes Thema ist, hat einen neoliberalen Hintergedanken: Wenn sich die Länder etwa um den niedrigsten Wohnbauförderungsbeitrag konkurrenzieren, fehlen am Ende Millionen für sozialen Wohnbau – wir sehen ja auf EU-Ebene, was Steuerdumping anrichtet. Außerdem sollten wir Unternehmern, die über Landesgrenzen hinweg tätig sind, das Leben erleichtern und nicht noch mehr Verwaltungsaufwand zumuten. Zehn verschiedene Steuergesetze machen Österreich nur noch komplizierter. Notwendig ist das genaue Gegenteil.

STANDARD: Inwiefern?

Schickhofer: Ein Österreich, eine Gesetzgebung: Weg mit all dem neunfachen Regelbestand! Der Bund sollte der Einzige sein, der Gesetze beschließt. Warum brauchen wir, von der Jagd bis zur Jugendschutz, lauter eigene Landesgesetze? Das bedeutet einen enormen Aufwand, da wären wirklich Milliardenbeträge zu holen.

STANDARD: Soll das auch für die Mindestsicherung gelten?

Schickhofer: Ja, auch für die Mindestsicherung wäre ein einheitliches Bundesgesetz sinnvoll. Der aktuelle Fall zeigt ja gerade das Problem: Brauchst du eine Einigung von neun Bundesländern, kommst du nicht weiter. Da haben sieben Länder eine Linie gefunden, die sowohl mit christlich-sozialen als auch sozialdemokratischen Werten vereinbar ist – doch Oberösterreich und Niederösterreich haben de facto ein Veto.

STANDARD: Sollte man die Länder nicht gleich abschaffen?

Schickhofer: Nein, bei der Anwendung der Gesetze sind die Länder top: Ich will mir nicht von Wien vorschreiben lassen, welche Straßen ich saniere, wie ich die Industrie fördere oder die Jugendarbeit anlege, aber die Gesetze gehören in Bundeshand. Es hat keinen Sinn, im Rahmen des jetzigen Finanzausgleichs über Reformen weiterzuverhandeln – das haben wir drei Jahre lang getan, herausgekommen ist wenig. Wir brauchen eine ganze Bundesstaatsreform, um Österreich neu zu denken, aber da spreche ich jetzt wieder nur für mich. Ich bin erst 36 und habe deshalb eine andere Perspektive als manche Kollegen: Ich muss mit dem System womöglich noch Jahrzehnte leben – deshalb will ich es ändern. (Gerald John, 28.10.2016)