Was sich Sterbende wünschen: Keine Schmerzen zu haben, nicht alleine zu sein und über die letzten Dinge sprechen zu können, sagt Annelie Keil.

Foto: Kathrin Doepner

Gemeinsam mit Hennig Scherf hat Annelie Keil das Buch "Das letzte Tabu" geschrieben.

256 Seiten, Herder 2016
Preis: 20,60 Euro

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STANDARD: Die Ratgeberliteratur hat neben dem gelingenden Leben nun auch das gelingende Sterben entdeckt. Was halten Sie davon?

Annelie Keil: Ich glaube nicht, dass es so etwas wie gelingendes Sterben gibt. Diese Ratgeberliteratur ist zum Teil furchtbar. Das wirkt so, als ob die Autorinnen und Autoren schon einmal gestorben wären, dann zurückkommen und ein paar gute Tipps parat hätten. Sicher ist aber: wenn das Leben nicht mit Sinn erfüllt ist, wird es auch schwieriger den Lebenswillen aufrecht zu erhalten.

STANDARD: Der Theologe Hannes Küng hat im Jahr 2014 allerdings die Möglichkeit des glücklichen Sterbens betont.

Keil: Das ist sicher möglich. Aber nicht im Sinne von "erfolgreich" oder eines Patentrezeptes. Je mehr ich in mir zu Hause bin, mit all meinen Schwächen, Fehlern und Ängsten, desto leichter wird es wohl, auch den letzten Abschied zu meistern.

STANDARD: Inwiefern spielen Herkunft oder sozioökonomischer Status eine Rolle?

Keil: Es gibt Dinge, die wir nicht selbst bestimmen können und hinnehmen müssen. Ich wurde ungefragt am 17. Januar 1939 geboren. Ich habe nicht gesagt: "1939, das ist ja prima, da ist was los und Herrn Hitler wollte ich auch mal kennen lernen." Wir kommen auch ungefragt in eine Familie. Niemand hat mit irgendjemand einen Vertrag gemacht. Auch nicht mit den beiden Menschen, die später sagen: "Hallo, wir sind deine Eltern." Von dem Moment an, ab dem wir in dieser Welt sind, müssen wir uns bis zum letzten Augenblick fragen, warum wir hier sind. Das hat Viktor Frankl die Sinnfrage genannt.

STANDARD: Können Sie das konkretisieren?

Keil: Vom Moment der Geburt bis zum letzten Atemzug gilt es, das Entscheidungspotenzial immer wieder zu schärfen, immer wieder zu verändern und neue Dinge aufzunehmen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was wir im Leben entschieden haben und noch entscheiden müssen. Wir sind schließlich die erste Generation, die nach der Erwerbsarbeit noch 20, 25 Jahre draufkriegt, um überhaupt über ihr Leben nachzudenken.

STANDARD: Kann man sich mit dem Sterben zumindest vertraut machen?

Keil: Ich bin vertrauter mit dem Sterben geworden. Nicht durch den Krieg oder auf der Flucht während meiner Kindheit. Wenn Tiefflieger kommen, man in einen Graben Schutz sucht und nach dem Angriff stehen ein paar Menschen nicht mehr auf, sind das Dinge, die nicht gewöhnungsfähig sind. Aber durch meine Erkrankungen – einmal Herzinfarkt, dreimal Krebs –, war ich immer wieder in der Nähe des Todes und dadurch gezwungen mich damit auseinanderzusetzen. Wir bekommen im Leben ständig Angebote, die uns mit dem Sterben vertrauter machen können. Vor allem die Hospizarbeit sehe ich als ein solches Geschenk.

STANDARD: Dennoch haben die meisten Menschen Angst vor dem Tod.

Keil: Jeder hat Angst vor dem Sterben. Die Angst gehört vom ersten bis zum letzten Moment des Lebens dazu. Bei manchen Ängsten gibt es keine Lösung, sondern nur die Möglichkeit, die Hand zu halten oder zu sagen: "Ich bin jetzt bei dir." Das nimmt einem zwar nicht die Angst, aber der Sterbende ist nicht allein. Den Abschied leben lernen heißt auch, mit der eigenen Endlichkeit umzugehen. Es geht nicht um Friede, Freude, Eierkuchen. Das Leben hat zwar jedem andere Bedingungen auferlegt, aber sterben muss jeder. Ob es nun für den Reichen leichter ist als für den Armen, das muss konkret biografisch erfahren werden. Die Gnade und die Barmherzigkeit des Todes ist: es gibt keinen besseren, schlechteren oder erfolgreicheren Tod. Tot ist tot, fertig.

STANDARD: Was sind die häufigsten Wünsche sterbender Menschen?

Keil: Keine Schmerzen zu haben, Symptomlinderung. Nicht alleine sein und über die Dinge sprechen zu können. Der Wunsch nach Wahrheit ist sehr groß. Etwa im Gespräch mit Ärzten und Angehörigen. Häufig hören wir von der Tochter oder dem Sohn "Das dürfen Sie meiner Mutter aber nicht sagen". Dabei geht es meistens mehr um die Ängste der Angehörigen als um die Betroffenen selbst. Ein wichtiger Punkt ist noch: Dinge erledigt haben.

STANDARD: Welche Dinge sind das?

Keil: Manchmal sind es kleine Andenken, die Menschen gesammelt haben. Etwa die Schützenfestrose, die der Enkel geschossen hat. Das Gefühl, dass das nicht alles auf dem Sperrmüll landet, ist für viele Menschen wichtig. Andere wünschen sich, dass nach dem Tod nichts mehr übrig bleibt. Andere wollen noch Zettel an die Bilder kleben, die der Neffe bekommen soll. Manche Menschen haben große Angst davor, dass sie dem Enkel nichts mehr vermachen können. Für manche ist es die Sorge um ihren Hund. Da ist oft die ganze Liebe in einem Tier gelandet und die Sorge und Angst bezieht sich vor allem darauf.

STANDARD: Was wäre für Sie der beste Tod?

Keil: So einen Wunsch finde ich deshalb problematisch, weil man sich darauf einstellt. In Wirklichkeit habe ich aber keine Wahl. Früher sagte ich immer: "Klatsch, bumm, umfallen und dann ist es gut." Da ist aber nur dann o.k., wenn ich mein Haus so hinterlasse, dass meine Freunde wissen, was zu tun ist. Ich habe meine Beerdigungsfeier bereits ziemlich genau geplant: das soll ein großes Fest werden für das ich eine bestimmte Summe zurückgelegt habe. Ich habe mir auch schon meine Sonnenscheinresidenz ausgesucht, die auch eine Palliativbetreuung hat, so dass ich am Ende nicht mehr umziehen muss. (Günther Brandstetter, 1.11.2016)