Einkommen und sozialer Status wirken sich wesentlich auf die Gesundheit aus.

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In Diskussion über das Gesundheitswesen entsteht oft der Eindruck, dass zuvorderst die medizinische Versorgung Gesundheit "produziert". Das ist falsch. Den größten Anteil machen Einkommen und Sozialstatus aus. Dies stellte kürzlich der aus Österreich stammende internationale Experte Armin Fidler bei der Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Öffentliche Gesundheit (EPH) fest.

Fidler hat jahrelang für die WHO, die Weltbank und das US-Zentrum für Krankheitskontrolle (CDC) gearbeitet. Jetzt lehrt er an mehreren Universitäten in den USA und Europa. Im Gegensatz zu der weitverbreiteten Meinung, dass die klassische Medizin die Hauptbedingung für Gesundheit ist, präsentierte der Fachmann ganz andere Zahlen: Einkommen und sozialer Status bestimmen den Gesundheitszustand zu 40 Prozent. Gesundheitsrelevantes Verhalten macht 30 Prozent aus. Die klinisch-medizinische Versorgung ist für weitere zehn Prozent verantwortlich. Weitere zehn Prozent machen individuelle biologische Faktoren aus.

Die Ressourcenverteilung im Gesundheitswesen in den meisten Staaten der Erde läuft aber ganz anders: Zumeist gehen fast 90 Prozent in direkte medizinische Versorgung. Die Situation hat sich nach der Wirtschafts- und Finanzkrise ab den Jahren 2008 nur noch verschärft. "Die Krise hat die reichen und die armen Länder getroffen. Und im Rahmen der Krise fanden es auch die reichen Staaten schwierig, die weniger Begüterten zu unterstützen."

Prävention und Gesundheitsbildung

Dabei könnten gesundheitsfördernde Maßnahmen, Prävention und Gesundheitsbildung einen enormen Effekt haben. Fidler sagte: "Man hat errechnet, dass Adipositas in den USA jährlich allein 450 Milliarden US-Dollar an nicht-medizinischen Kosten verursacht."

Unter Fachleuten ist der Einfluss von Einkommen und Sozialstatus auf die Gesundheit unbestritten. "Es ist nicht ein Mangel an Gesundheitswesen, der krank macht. Der Grund für Krankheit liegt hauptsächlich in den sozialen Unterschieden", sagte Michael Marmot, Präsident des Welt-Ärzteverbandes, vergangenes Jahr bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen.

Der Experte fügte damals hinzu: "Das ist kein Phänomen von 'uns' und den Anderen, den Armen. Das ist ein Gradient, der uns alle betrifft. Die etwas weniger Reichen haben schon eine geringere Lebenserwartung als die ganz Reichen, die ganz Armen haben eine geringere Lebenserwartung als die etwas weniger Armen. Ich kann in London mit dem Rad binnen einer halben Stunde von den reichsten Teilen zu den ärmeren Gebieten fahren. Es gibt einen Unterschied in der durchschnittlichen Lebenserwartung von 20 Jahren."

Wirtschafts- und Finanzkrise haben die Situation in vielen Ländern nur noch verschärft. Donnerstagnachmittag stellte der britische Public Health-Wissenschafter Raffaele Palladino eine Studie vor, in der die Privatausgaben ("Out of the Pocket") für Gesundheit in elf Staaten in den Jahren 2006/2007 (27.000 Befragte) und im Jahr 2013 (51.000 Befragte) verglichen wurden. "Die Wahrscheinlichkeit, dass für Gesundheit aus der privaten Tasche heraus gezahlt wird, hat sich zum das 2,6-Fache erhöht. Die Ausgaben stiegen um fast 44 Prozent", stellte der Fachmann fest. In Österreich wurde allerdings sogar ein Rückgang der Häufigkeit für diese Ausgaben registriert. Hier ging der Trend in die entgegengesetzte Richtung, möglicherweise weil zuvor geleistete private Zahlungen (Zusatzversicherung) eingeschränkt wurden, wie Fidler vermutete.

Daten aus Österreich

Dass sozial weniger gut gestellte Menschen einen schlechteren Gesundheitszustand aufweisen, geht auch aus österreichischen Daten hervor. Hinzu kommt, dass für sie Leistungen des Gesundheitswesens in manchen Fällen sprichwörtlich unerschwinglich sind.

"Menschen in Haushalten unter der Armutsgrenze weisen einen dreimal schlechteren Gesundheitszustand auf als in Haushalten mit hohen Einkommen und sind doppelt so oft krank wie in solchen mit mittleren Einkommen. Die 385.000 Personen in Österreich, die als arm und mehrfach ausgegrenzt bezeichnet werden können, sind von einem sehr schlechten allgemeinen Gesundheitszustand, von chronischer Krankheit und starken Einschränkungen bei Alltagstagstätigkeiten betroffen – dreimal so stark wie der Rest der Bevölkerung", hieß es vergangenes Jahr in einem Bericht der österreichischen Armutskonferenz mit Verweis auf Daten der Statistik Austria.

Je nach sozialer Situation der Betroffenen existente Unterschiede in den gesundheitlichen Belastungen, in den Bewältigungsressourcen und Erholungsmöglichkeiten, in der gesundheitlichen Versorgung und schließlich im Gesundheits- und Krankheitshandeln führen dazu, dass weniger Einkommen eben auch weniger gesund macht. Das eine bedingt das andere. "Stress durch finanziellen Druck und schlechte Wohnverhältnisse gehen Hand in Hand mit einem geschwächten Krisenmanagement und hängt unmittelbar mit mangelnder Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten und einem ungesunden Lebensstil zusammen", schrieben in dem Armutskonferenz-Report Florian Riffer und Martin Schenk.

Medizin nicht finanzierbar

Die Autoren definierten – Monate vor Ausbruch der aktuellen Diskussion über die Mindestsicherung in Österreich – folgende Risikogruppen, in denen Flüchtlinge noch gar nicht enthalten waren: "Davon betroffen sind Menschen in prekärer Beschäftigung, Personen in schweren psychischen Krisen, Arbeitssuchende ohne Leistungsanspruch, vormals mit ihrem Ehemann mitversicherte Frauen nach der Scheidung, Hilfe Suchende, die ihren Mindestsicherungsanspruch aus Scham nicht einlösen."

Im Bericht wurden Details aus österreichischen Studien genannt: Vier Prozent der Mehrfach-Ausgrenzungsgefährdeten hatten innerhalb des vorangegangenen Jahres einen Fall im Haushalt, in dem eine zahnmedizinische oder sonstige medizinische Leistung aus Kostengründen nicht in Anspruch genommen wurde. Bei etwas weniger Gefährdeten waren es zwei Prozent. Einkommensschwächere Personen suchen nicht nur um 20 Prozent seltener Fachärzte auf als vergleichbare rezeptpflichtige (nicht von der Rezeptgebühr Befreite; Anm.) Menschen, sondern erhalten auch durchschnittlich billigere Medikamente.

Was die Befragten angaben, spiegelt die Situation wider, die über diese Personengruppen hinaus auch noch viele andere Menschen in Österreich betrifft. "Durch Selbstbehalte oder fehlenden Kostenersatz seitens der Krankenkassen sind etwa Heilbehelfe, Brillen, Schuheinlagen oder Hörgeräte oft nicht finanzierbar. Selbiges gilt für Zahnersatz und andere notwendige Zahnbehandlungen", hieß es in dem Report. (APA, 11.11.2016)