Selfie-Kultur auf Instagram: Die rasant wachsende Foto-Plattform ist besonders bei Frauen beliebt.

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In Emily Schumans Leben scheint immer die Sonne. Zumindest auf ihrem Instagram-Account. Fotos zeigen Emily lächelnd mit Leder-Mini oder im Businesskostüm, entspannt mit einem Glas Wein und dicken Socken auf der Designercouch, beim Spielen mit der Tochter im Garten, am Strand, vor dem Eiffelturm, gemeinsam mit einer Freundin beim Sushi-Essen am "besten Sonntagabend aller Zeiten". Schuman, die 2008 ihren Blog "Cupcakes and Cashmere" gegründet hat und in Los Angeles lebt, spielt in der A-Liga der sogenannten Influencer: Personen, die in sozialen Netzwerken eine große Anhängerschaft hinter sich vereinen, "authentisch" kommunizieren und damit als ideale WerbeträgerInnen gelten.

"Junge Menschen, die sehr intensiv soziale Medien nutzen, lassen sich stark oder anders gesagt gerne von Influencern beeinflussen", sagt Viktoria Egger, Marketingexpertin und Geschäftsführerin der Agentur August. Traditionelle Werbung in Form von Anzeigen oder Fernsehspots hat bei MediennutzerInnen an Glaubwürdigkeit eingebüßt, Unternehmen, die Handtaschen, Standmixer oder Wellnessreisen verkaufen, borgen sich diese bei den Influencern. So auch ein Hersteller elektrischer Zahnbürsten, der von Bloggerin Emily Schuman via Werbeposting in Szene gesetzt wird – mit einer Anekdote über Schumans Familie und einem rührenden Mutter-Tochter-Foto.

Hochglanzpersönlichkeiten

Auf einen Weblog beschränken sich die einflussreichen KommunikatorInnen längst nicht mehr – kommerzielle Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter und Snapchat werden ebenso bespielt wie Youtube und Pinterest. Im Bereich Lifestyle ist es aber vor allem der Instagram-Account, der im besten Fall "instafamous" macht. Der Fotodienst, der im Herbst 2010 gestartet war und 2012 von Facebook gekauft wurde, zählt laut eigenen Angaben mittlerweile rund eine halbe Milliarde NutzerInnen. "Auch wenn Instagram – etwa im Gegensatz zum frauendominierten Pinterest oder männerdominierten Reddit – bei jungen Frauen und Männern beliebt ist, nutzen Frauen die Anwendung häufiger", sagt die US-amerikanische Medienwissenschafterin Alice Marwick.

Marwick ist aktuell Fellow am New Yorker Data & Society Research Institute und erforscht die Auswirkungen sozialer Medien auf Identität und soziale Interaktion. Während die Kommunikation auf anderen Plattformen eher flüchtig und spontan sei, zeichne sich Instagram durch Beständigkeit aus. "UserInnen investieren oft sehr viel Zeit in ihren Account und überlegen genau, welches Bild sie von sich auf Instagram präsentieren möchten", sagt Marwick. Lifestyle-Bloggerinnen wie Emily Schuman mit fast 400.000 AbonnentInnen machen nur einen kleinen Teil der Instagram-Nutzerinnen aus, doch sie setzen Trends – und sind auf den ersten Blick oft kaum von den jungen, fröhlichen Menschen in klassischen Werbespots zu unterscheiden. Wer seinen Lebensunterhalt mit der Internetprominenz verdienen wolle, müsse eben auch dominanten Schönheitsidealen entsprechen, sagt Marwick: "Diese Influencer repräsentieren ein dominantes Narrativ, eine Art idealisierten Lebensstil. Sie essen Avocados, trinken Smoothies, joggen am Strand, haben einen attraktiven männlichen Partner und einen niedlichen Hund."

Arbeit am Ich

Um sich auf Instagram möglichst makellos zeigen zu können, stehen nicht nur die zahlreichen Filter innerhalb der App zur Verfügung, eigens entwickelte und einfach zu bedienende Programme wie Facetune und Spring zaubern weißere Zähne, längere Beine und eine schmalere Nase. Praktiken der Bildbearbeitung, die in Redaktionen von Frauenmagazinen und Werbeagenturen gang und gäbe sind und die oft unrealistische Körperbilder entstehen lassen, haben längst Einzug in den Alltag von MediennutzerInnen gehalten. Und nicht nur die Kosmetikindustrie nutzt die Kritik an der Retusche für Werbung mit "echten Kurven": Mit Hashtags wie #nofilter oder #nofacetune wird als Reaktion darauf eine – vermeintliche – Authentizität markiert: etwa beim Selfie nach dem Schwimmen im Meer oder einem schweißtreibenden Workout.

Catarina Katzer, Sozialpsychologin und Volkswirtschafterin, hat ein Buch darüber geschrieben, wie das Leben im Netz uns verändert. In "Cyberpsychologie" warnt sie unter anderem vor Ich-Kultur und Selbstobsession. "Wir vergleichen uns eigentlich ständig mit anderen, mit Menschen, die uns umgeben, um uns selbst einordnen zu können und so unser Selbstbild zu prägen. Genau das passiert auch, wenn wir uns etwa online Fotos ansehen, die gepostet werden", sagt Katzer. Insbesondere Mädchen und junge Frauen würden sich stark am gängigen Schönheitsideal – schlank, fit, langhaarig – orientieren, was im schlimmsten Fall eine selbstzerstörerische Wirkung entfalten könne. Auch die Selfie-Kultur auf Instagram sieht Katzer kritisch. Der Drang nach Selbstdarstellung könne zum Zwang werden – ebenso die Suche nach Bestätigung: "Wir werden süchtig nach den Reaktionen der anderen, den Likes und den Followern", so Katzer.

Bilder von gestählten Körpern in Bademode oder knochigen Hüften begegnen uns nicht nur in sozialen Netzwerken, aber sie entfalten dort eine andere Wirkung. Es ist das Mädchen von nebenan, das ihr scheinbar perfektes Leben präsentiert, über die Hashtag-Suche auf Instagram werden Nutzerinnen in Sekundenschnelle mit einer geballten Ladung an Bikini-Bodies und Thigh Gaps konfrontiert. Um der "Pro Ana"-Bewegung – überwiegend junge Frauen, die Magersucht glorifizieren – etwas entgegenzusetzen, hat Instagram in der Vergangenheit bereits problematische Hashtags gelöscht beziehungsweise eine Suche danach verunmöglicht – was manche Nutzerinnen mit Codewörtern zu umgehen versuchen.

Den Spieß umdrehen

Die auf Instagram omnipräsenten Selfies bergen aber auch ein selbstermächtigendes Potenzial, sind feministische Autorinnen überzeugt. "Bei Selfies übernehmen Frauen und Mädchen selbst die Regie, sie bestimmen, wie sie dargestellt werden möchten. Außerdem werden so Menschen sichtbar, die in den Mainstreammedien schlichtweg nicht vorkommen", sagt Medienwissenschafterin Marwick.

Auf Instagram zeigen sich dicke Frauen unter dem Hashtag #bodypositivity im Bikini und in Yoga-Posen und setzen so dem an rigiden Schönheitsnormen orientierten Fitnesstrend (#fitspiration) etwas entgegen. "Nicht alle Menschen haben das Privileg, visuell auf eine positive und empowernde Art repräsentiert zu werden. Gerade marginalisierte Gruppen werden, wenn überhaupt, sehr stereotyp dargestellt. (...) Fotografiere dich selbst, verbreite dein Material über alle Kanäle, zeige der Welt, dass du existierst", schreibt "Missy"-Redakteurin Hengameh Yaghoobifarah über ihre Liebe zum Selfie.

Aber auch andere Trends werden auf Instagram unterlaufen. Die britische Komikerin Bella Younger hat auf ihrem Account unter dem Pseudonym Deliciously Stella den "Clean Eating"-Trend im Visier, eine Ernährungsweise, die auf gesunde und unverarbeitete Lebensmittel setzt. Statt Avocado-Toast, Haferbrei mit frischen Beeren und "Healthy Lunch Bowls" präsentiert Younger Schokoeier und Alkopops – und ist dadurch selbst instafamous geworden.

"Meine Motivation dahinter war der Ärger darüber, dass Frauen hier äußerst unrealistische Standards setzen: Wir müssen immer perfekt und gut gelaunt sein – fast wie die 'Stepford Wives'", erzählt sie im Interview mit einem Onlinemagazin. Im September ist das Leben von "Instafoodie" Younger als Buch erschienen. Wer hingegen lieber zu einem "Coffee Table Book" in der Hochglanzversion greifen möchte, könnte bei Emily Schuman fündig werden: Ihr zweites Buch nennt sich "Cupcakes and Cashmere at Home" – eine Prise Stepford-Flair inklusive. (Brigitte Theißl, 13.11.2016)