Die sozialen Netzwerke spielen im lateinamerikanischen Protest gegen Frauenmorde eine wichtige Rolle.

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Montevideo – Lucia war 16, als zwei Männer die junge Argentinierin unter Drogen setzten, vergewaltigten und brutal zu Tode folterten. Florencia wurde nur zehn Jahre alt – dann erstickte ihr Stiefvater in Chile sie mit einem Plastiksackerl. Sie alle sind Opfer der jüngsten Gewaltwelle gegen Frauen, die in Lateinamerika zunehmend für Empörung sorgt.

Historische Protestbewegung

Aus Protest gegen Frauenverachtung und Machokultur gingen in den vergangenen Wochen in Chile, Uruguay, Bolivien und Mexiko Tausende auf die Straße. Auch Parteien und die mächtigen Gewerkschaften schlossen sich der Bewegung an. In Peru nahm Präsident Pedro Pablo Kuczynski im August an einer Demonstration mit 50.000 Menschen teil. "Ja, es gibt eine Veränderung, und das ist sehr wichtig", sagt Lakshmi Puri, stellvertretende Chefin der Frauenorganisation UN Women. "Der Ruf nach Null Toleranz erschallt inzwischen überall."

In Puris Heimat Indien hatte Ende 2012 die grauenhafte Gruppenvergewaltigung einer Studentin, die ihren schweren Verletzungen erlag, eine historische Protestbewegung ausgelöst. Die gleiche Empörung beobachtet Puri nun angesichts der brutalen Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Lateinamerika. Die UN-Expertin prangert vor allem den verbreiteten Machismus an, der die Gewalt befördere: Von den 25 Ländern mit den meisten Morden an Frauen seien die Hälfte in Lateinamerika.

Nicht eine weniger

"Es ist ungeheuer gefährlich, in Lateinamerika eine Frau zu sein", sagt auch Ariadna Estevez, Wissenschafterin an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. Zwar gebe es schon seit den brutalen Morden an Hunderten Frauen in Ciudad Juarez Anfang der 1990er-Jahre eine Protestbewegung in Mexiko, doch habe sich diese lange auf die Angehörigen der Opfer beschränkt.

Nun formiert sich Widerstand in der gesamten Region: In Argentinien begannen die Proteste 2015 unter dem Motto #NiUnaMenos (Nicht eine weniger), in Mexiko brach unter #Primaveravioleta auf Twitter und Facebook ein "lila Frühling" aus. Und in Brasilien verbreitete sich die Kampagne #MeuPrimeiroAssedio (Mein erster Missbrauch). Die sozialen Netzwerke spielten eine fundamentale Rolle, sagt Estevez. "Es war wie eine Katharsis. Viele Frauen hatten zuvor nicht über Belästigungen und Gewalt gesprochen." Und dann werde ihnen plötzlich bewusst, dass praktisch die Mehrheit der Frauen betroffen sei.

Spürbarer Wandel

In Uruguay berät Fanny Samuniski seit Jahren misshandelte Frauen bei der Organisation Mujer Ahora (Frau Jetzt). Auch sie spürt einen Wandel: Früher hätten verzweifelte Frauen um Vermittlung gebeten. "Inzwischen fragen sie nach ihren Rechten."

Allein im kleinen Uruguay, das als eines der ersten im tief katholischen Lateinamerika Scheidung und Abtreibung legalisierte, wurden seit Beginn 2016 nach Angaben von Frauenrechtlerinnen 19 Frauen von Partnern oder Ex-Partnern getötet. Im Juni zündete ein Mann in Paysandu das Haus seiner Ex-Freundin an. Der Anschlag, bei dem die Frau schwer verletzt wurde und ihre drei Töchter und eine Freundin ums Leben kamen, sorgte im ganzen Land für Entsetzen.

"Frauen zeigen häusliche Gewalt nun viel öfter an, aber vorher ertragen sie es zehn Jahre", weil viele alleine finanziell nicht über die Runden kämen, seufzt Samuniski. Die fast 80-Jährige kämpft nun für härtere Strafen für Frauenmörder, wie sie in 16 lateinamerikanischen Staaten bereits gesetzlich verankert sind.

Maria Nieves Rico, zuständig für Genderfragen bei der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika, nahm Mitte Oktober an einer Großdemonstration in Santiago de Chile teil. Veränderungen in der Region bräuchten Zeit, glaubt sie. Aber "wir hören ihre Stimmen – und das hilft immer". (APA, 14.11.2016)