Karoline heißt mein jüngstes, fünfjähriges Enkelkind. Sie geht seit zwei Jahren im burgenländischen Kittsee in den Kindergarten. Sie ist einfach nicht davon abzuhalten, dass sie dauernd dazulernt: über die Pflanzen im Garten, die Hasen und Katzen zu Hause, im Umgang mit dem älteren Bruder und den vielen anderen – teil slowakischsprachigen – Mädchen und Buben im Kindergarten, wie sie sich auf die Schaukel schwingt und ins Wasser springt, was Bilder und Buchstaben erzählen, wie viele Finger eine Hand hat – und dann erst recht zwei Hände!

Karoline ist ein ziemlich vifes Plappermäulchen, aber mit dem Artikulieren tut sie sich ein bisschen schwer. Daher darf sie seit kurzem Übungen mit einer mobilen Sonder- und Heilpädagogin machen.

Über all dies tauschen sich Elementarpädagogin und Eltern aus, reden über Interessen, Stärken und gezielte Unterstützung. Das alles passiert ganz ohne Ziffernnoten – für Karoline ebenso wie für hunderttausende andere Kinder in ganz Österreich!

Sobald Kinder sechs Jahre, also "schulpflichtig" werden, geschieht etwas höchst Eigenartiges. Nicht mit den Kindern, sondern in Gestalt ihrer neuen Umgebung namens Schule: Es gibt jetzt Lehrpläne, Jahresziele, Jahrgangsklassen und als Draufgabe Ziffernnoten für das bis dahin Selbstverständlichste und Natürlichste: das Lernen!

Der Gesetzgeber hat mittlerweile erkannt, dass in diesem Alter die entscheidenden Grundlagen für den späteren Bildungsweg geschaffen werden. So gibt es für alle Kinder zumindest ein verpflichtendes Kindergartenjahr, und künftig soll es sogar erlaubt, ja erwünscht sein, dass die Volksschulen sich mit den Kindergärten austauschen.

Und ab sofort sollen die Kinder bis zu ihrem achten, neunten, zehnten Lebensjahr Zeit haben, um die ersten drei Jahre Schule zu absolvieren – ohne Damoklesschwert des Sitzenbleibens wegen Nichterreichung der Lehrplanziele.

Die neue Wundertüte erlaubt es Schulen autonom zu entscheiden, ob sie altersgemischte Lerngruppen einrichten. Bei der Wiener Mehrstufenklasse – ein Erfolgsmodell seit 20 Jahren – gab es vom Stadtschulrat für Wien Extrastunden für Teamteaching. Es ziemte sich für das Bildungsministerium, hier Ressourcen nachzulegen – eine halbe Lehrerin mehr pro Klasse als Anreiz und Anerkennung für den enormen Mehraufwand mehrstufiger und hochindividualisierter Arbeit! Und noch ein schulautonomer Hit: alternative Leistungsbeschreibung! Wie der Name sagt, eine Alternative zu? ... zu den Ziffernnoten. Oder doch nicht?

Wir dürfen weiterhin Eltern-Kind-Gespräche führen, Portfolios anlegen, Lernfortschritte dokumentieren, aber gleichzeitig werden wir durch den Entwurf der neuen Leistungsbeurteilungsverordnung (LBVO) von höchster ministerieller Stelle ganz und gar nicht autonom dazu verpflichtet, auch alle fünf Monate eine Umschreibung der Ziffernnoten zu vergeben.

Die "Verrechnung" einzelner Leistungen älterer Schülerinnen und Schüler (Schularbeiten, Tests, Prüfungen) zu einer Jahres-Gesamtnote ist schon schwer genug, von sachfremden Faktoren mitgeprägt und höchst umstritten – wie kann dann überhaupt eine fünfstufige Bewertung in den allerersten Schuljahren generiert werden, wo es noch gar keine mündlichen Prüfungen oder schriftlichen Schularbeiten gibt? Von Integrationskindern und deren meist noch spezifischeren Lernwegen ganz zu schweigen.

Neue Verordnung

Je mehr in diesen Tagen die Details der Verordnung zu den Pädagogen durchsickern, endet für mich und wohl auch unzählige Vorkämpfer für Individualisierung, Inklusion und alternative Formen der Leistungsrückmeldung ein schöner Traum von Schulautonomie mit einem bitterbösen Erwachen: Das pädagogische Herzstück tausender engagierter Schulversuche wird handstreichartig ausgelöscht! Und ob das alles die betroffenen Eltern widerspruchslos schlucken? Sie haben jetzt an manchen Standorten im Schulforum in weitgehender Unkenntnis der Umsetzungsdetails eine alternative Leistungsbeschreibung beschlossen. Auch demokratiepolitisch höchst fragwürdig!

Ich kann es nicht glauben, ich will es nicht hinnehmen. Ich hoffe auf eine rasche Intervention der Frau Bildungsministerin. (Josef Reichmayr, 14.11.2016)