Vor fast zehn Jahren schauten wir das letzte Mal nach Stars Hollow, dem kleinen Ort mit den vielen Lichterketten und komischen Menschen. Rory Gilmore sprang nach Ende des Studiums auf den Kampagnenzug von Barack Obama auf, und Lorelai hatte ihr eigenes Hotel und war wieder mit Luke zusammen. Alles war gut. So ein bisschen. Mit der Ankündigung, dass es eine Fortsetzung der "Gilmore Girls" geben würde, versetzte Neftlix die Fans in Entzücken. Und sorgte dafür, dass die "Gilmore Girls"-Gegner neuen Zunder für ihre Abneigung finden.

Denn einfach ist es nicht mit der Liebe zu den "Gilmore Girls". Ein bisschen zu pickig-süß, ein bisschen zu sehr heile Welt, ein bisschen gute Unterhaltung, ein bisschen nervige Damen, die vor allem viel Kaffee trinken und über Belanglosigkeiten plaudern. Auch das Serienreif-Quartett ist sich alles andere als einig. Deswegen sind wir der Frage nachgegangen: Wie sehr haben wir die "Gilmore Girls" vermisst?

Spoiler-Alert: Wer bis oder seit 2006 noch nicht alle Staffeln gesehen und das noch vorhat, sollte eher vorsichtig sein.

Ab 25. November auf Netflix: vier neue Folgen der "Gilmore Girls".
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Daniela Rom: Vermisst hab ich die "Gilmore Girls" gar nicht. Aber das vor allem deswegen, weil ich mir im Sommer alle sieben Staffeln reingezogen habe, um für diesen November up to date zu sein. Das ist ja immerhin schon fast zehn Jahre her, dass das letzte Mal eine Geschichte aus Stars Hollow – also eine neue, nicht eine der 100.000 Wiederholungen – über einen Bildschirm geschwappt ist.

Michaela Kampl: Das Wiedersehen mit Lorelai und Rory ist für mich ähnlich wie ein Treffen mit alten Schulfreunden. Als die Serie damals lief, war ich nur wenig älter als Rory, und jetzt bin ich so alt wie Loreley in den alten Folgen. Das war beim Wiedersehen mit den Damen irgendwie spannend. Und ich bin gespannt, wie die Serienmacher damit umgehen, dass Lorelai jetzt auf die 50 zugeht. Die ersten Plakate mit den beiden lassen Schlimmes befürchten. Hoffen lässt mich, dass Amy Sherman-Palladino, die Original-Drehbuchschreiberin und Erfinderin der Serie, wieder dabei ist. Sie mag ihre Figuren hoffentlich zu gern, um sie zu billigen, geist- und witzlosen Remake-Schablonen verkommen zu lassen.

Daniela Rom: Sherman-Palladino war ja bei der siebenten und letzten Staffel nicht mehr an Bord, weil die Vertragsverhandlungen mit dem Studio scheiterten. Bei irgendeinem Panel vor einigen Wochen meinte sie auch, sie sei gar nicht glücklich, wohin sich die Serie entwickelt hat, und dass das nicht das sei, was sie sich für ihre "Gilmore Girls" vorgestellt hat. Konkreter wurde Sherman-Palladino zwar nicht, aber es gibt zahlreiche Theorien darüber, was sie damit meint. Zum Beispiel die ganze Lorelai-Christopher-Kiste. Wie dem auch sei, die vier Folgen der neuen "Staffel" – kann man das eigentlich so sagen? – sind quasi Sherman-Palladino-Wunschende für "Gilmore Girls".

Michaela Kampl: Fun Fact: Sherman-Palladino war auch schon Autorin bei "Roseanne". Aber nur mal zwischendrin und auch nicht bis zum Ende. Das kann jetzt gut oder schlecht sein.

Quizzfrage: Wer fehlt?
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Anya Antonius: Ich glaube, es sind gute Neuigkeiten, wenn man sich an das Ende von "Roseanne" erinnert. Ich habe mich wirklich sehr gefreut bei den "Gilmore Girls"-Nachrichten. Besonders glücklich gemacht hat mich die bisher letzte Staffel nicht, obwohl die allerletzte Folge natürlich schon extrem rührend war. Besonders auch, wenn man bedenkt, dass man Edward Herrmann als Richard Gilmore nicht mehr dabei zusehen darf, wie er mit Rory über Erstausgaben russischer Dichter redet, mit Emily tanzt und heimlich voller Stolz auf seine Tochter Lorelai ist. Gespannt bin ich, wie die "Gilmore Girls" mit diesem Verlust umgehen werden, es wird sicherlich ein großes Thema. Außerdem frage ich mich, ob Rory weiterhin ein nahezu perfektes Leben führt. Der Trailer sieht ja mehr nach Quarter-Life-Krise aus – ich würde ihr jedenfalls den einen oder anderen abenteuerlichen Umweg auf ihrem ansonsten schnurgeraden Weg wünschen.

Michaela Kampl: Warum ist diese Serie eigentlich so erfolgreich geworden? Die zwei Damen reden urschnell über irgendwelche Popkultursachen, trinken dauernd Kaffee und sind in ziemlich klassischen Liebesgeschichten verbandelt. Das haben wir doch alle schon tausendmal geseh'n, aber irgendwie kriegen Rory und Lorelai mich doch. Zwischendurch war ich auch mal genervt – von der Besserwisserei Lorelais oder der elendigen Streberin Rory, aber irgendwie verzeih ich das. Warum, weiß ich nicht genau.

Doris Priesching: Auch auf die Gefahr hin, dass ihr mich jetzt alle verachtet – aber die Hysterie verstehe ich überhaupt nicht. Generell ist mir überschwängliche Begeisterung fremd. Was an der Geschichte so toll sein soll, erschließt sich mir definitiv nicht. Ich mag die alle, wirklich, und es gab in der Zeit viel Schlimmeres: "Eine himmlische Familie" – Oh Gott, oh Gott! Aber wirklich anfreunden konnte ich mich mit den "Gilmore Girls" nie. Ich schätze, es ist etwas Emotionales. Ich lass mich aber gerne überzeugen.

Anya Antonius: Es ist etwas zutiefst Emotionales. Die Serie hat einfach Herz, ich kann es nicht anders sagen. Dazu noch intelligente Dialoge, relativ nachvollziehbare Probleme und sympathische Protagonisten. Eine Portion Eskapismus ist natürlich auch dabei. Stars Hollow ist zu vollkommen in seiner Schrägheit, der Junkfood-Konsum schlägt sich nur in perfekten Modelfiguren nieder, sogar die Unsympathler sind irgendwie lieb, und bei allen innerfamiliären Problemen – so richtig schlimm sind mir die Dramen der Familie Gilmore nie vorgekommen. Aber ist das unbedingt etwas Schlechtes? Manchmal will ich einfach genau das sehen.

Happy-peppy – Happy End? Oder doch nicht? Ab 25. November wissen wir mehr.
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Michaela Kampl: Für Verachtung reicht das bei weitem nicht, Doris. Natürlich sind wir hier Teil eines berechneten Hypes. Was dazu beiträgt, ist vielleicht, dass die Serie noch zu einer Zeit entstanden ist, in der wir alle ungefähr dasselbe im Fernsehen konsumiert haben. Manchmal sehr gern, manchmal auch einfach nur, weil es keine Alternative gab. Aber nur weil wir das alle irgendwann mal gesehen haben, können wir auch fast alle drüber reden.

Daniela Rom: Also hysterisch bin ich noch lange nicht, nur weil ich mich drauf freue und gespannt bin, wie es weitergeht. Es ist eine recht simple Story, ja, das stimmt. Es ist nicht sehr weit weg von Klischees: Heiraten ist ursuper und sehr wichtig, Bigotterie an allen Ecken. Doch diese werden für mich dann auch immer wieder gut durchbrochen. Manchmal will ich einfach keine komplexe Geschichte mit viel Metameta, sondern nur gut unterhalten werden. Und mir ganz unironisch eine schlichte Geschichte ansehen.

Michaela Kampl: Ich versteh schon auch, warum Stars Hollow nicht für alle super ist. Diese Kleinstadt kann als liebevoll und heimelig wahrgenommen werden. Aber auch als ein Ort, in dem die soziale Kontrolle umfassend ist und Privatheit nicht existiert. Genervt hat mich hin und wieder auch Rory. Die darf einfach nie erwachsen sein. Immer bleibt sie klein und zuckersüß und brav und die Gescheiteste – ein einziger pickiger Patzen. Selbst in den Folgen, in denen sie und Lorelai streiten oder wenn sie zu Emily zieht: Rory ist eine nervige Einserschülerin, die am Ende dann doch wieder alles richtig macht. Aber vielleicht darf sich das auch nicht ändern, weil es für den Kontrast zu Lorelai nötig ist. Die ist auch nervig, aber sie durfte auch lustig, selbstbewusst und unangepasst sein. Bin gespannt, ob sich in der Dynamik zwischen den beiden in den neuen Folgen was verschiebt.

Anya Antonius: Ich gebe dir grundsätzlich recht, was Rory betrifft. Aber von Zeit zu Zeit darf auch sie Fehler machen beziehungsweise zumindest für kurze Momente vom braven Strebertum abweichen. Vielleicht tragen aber auch ihre Freunde dazu bei, sie irgendwie interessanter zu machen – die beste Freundin Lane mit den vielen Geheimnissen, der grantige Mädchenschwarm Jess oder die leicht manische Paris. Ich hatte oft das Gefühl, das Rory als Figur permanent unterschätzt wird.

Irgendwas mit Verkleiden. Hoffentlich. Weil styletechnisch gibt es sonst null Punkte.
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Doris Priesching: Als jemand, der aus einer Zeit stammt, da Pubertät noch "sich aufbäumen" hieß, war mir diese Mutter-Tochter-Verbandelung immer suspekt. Kinder, die sich so daran orientieren, was die Elternwelt darstellt – daraus kann keine Weiterentwicklung entstehen. Ich bin geneigt, diese Haltung für einiges Übel in der Welt verantwortlich zu machen. Also nicht für alles, aber doch einiges. Interessanterweise übernimmt die Oma diesen Part des störrischen Kindes, wenigstens hier entsteht Reibung, wenngleich sie ja für die falschen Werte steht.

Daniela Rom: Ich fand ja auch immer das Verhältnis Lorelai-Emily viel spannender als alles, was mit Rory zu tun hatte. Es gibt da auch gesellschaftstheoretische Überlegungen dazu, also nicht konkret zu "Gilmore Girls", aber anhand der drei Frauengenerationen kann man das aufschlüsseln: Da ist die gesettelte Generation (im Falle "Gilmore Girls": Emily), halbwegs wohlhabend, konservativ. Dann die sich aufbäumende Generation (Lorelai), die gegen das Establishment handelt und mit dem Wertekanon nix anfangen kann. Und dann die nächste Generation (Rory), die sich nicht mehr auflehnen muss, weil vermeintlich eh schon alles erreicht ist, und wieder in eine konservativere, bravere Seite tendiert.

Anya Antonius: Ich habe mir beim Wiederanschauen der alten Folgen ehrlich gesagt öfter einmal die Frage gestellt, was denn jetzt das große Problem zwischen den Generationen ist. Es reagieren alle extrem, meistens mit Kontaktabbruch, auf Dinge, die mir mittlerweile recht aufgebauscht vorkommen. Ich habe sehr oft Verständnis für Emily, aber vielleicht bin ich in den vergangenen Jahren auch einfach nur unglaublich spießig geworden. Jedenfalls empfinde ich mit dem Abstand der "Gilmore Girls"-freien Jahre die super-super-enge Beziehung von Rory und Lorelai um einiges unnatürlicher als die von Emily und Lorelai.

Essen bei der Familie kann ganz schön anstrengend sein. Wenn man mit Baseball-Cap dahersteigt, passt das Emily sicher gar nicht, aber das könnte er mittlerweile auch schon wissen, der Luke.
Foto: Netflix

Doris Priesching: Was die "Gilmore Girls" vorweggenommen haben, ist diese "Lalala"-Stimmung, die man in gewisser Weise als Facebook-Mentalität verstehen könnte, in der alle Likes sammeln und letztlich in einer Blase landen. Also für mich ist das Realitätsverweigerung, insofern könnte man der Serie am ehesten vorausschauenden Charakter zugestehen. Aber ob das gut ist? Ich konnte mit Eskapismus dieser Sorte noch nie viel anfangen, und glaub auch nicht, dass sich das mit den neuen Folgen ändern wird.

Michaela Kampl: Doris, das mit der Facebook-Mentalität versteh ich nicht. Meinst Du, dass sich im Gilmore-Universum alle mögen? Oder dass es am Ende immer darum geht, Harmonie herzustellen? Oder ganz was anderes?

Daniela Rom: Wir alle leben in einer Blase, egal ob auf Facebook oder im Turnverein, egal ob im Internet oder in der Stars Hollow. Das war schon immer so, das ist nichts Neues, bloß weil es Facebook gibt. Der einzige Unterschied ist, dass die Blase vielleicht größer ist und sichtbarer. Aber am Ende gibt es keinen großen Unterschied, ob ich auf Facebook Likes sammle oder alle am Stammtisch in die Hände klatschen.

Doris Priesching: Es geht darum, gegenteilige Standpunkte zuzulassen. Das wird bei Facebook ausgeblendet und bei den "Gilmore Girls" sind es, wenn überhaupt, Scheingefechte, die letztlich nur darauf hinauslaufen zu sagen: Hey, wir haben uns alle lieb. Ist ja auch alles unterhaltsam, ich will das niemandem nehmen, nur für mich ist das nichts. (Anya Antonius, Michaela Kampl, Doris Priesching, Daniela Rom, 16.11.2016)