Wer Dauerstress hat, kann seine Fettreserven nicht abbauen. Diese These könnte erklären, warum Diäten bei manchen Menschen nicht funktionieren.

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Rein evolutionär betrachtet, ist der Mensch für Stresssituationen gut gerüstet. Von einer Sekunde auf die andere kann der gesamte Stoffwechsel auf Alarm umschalten. Cortisol spielt dabei eine Schlüsselrolle. Es kurbelt sämtliche Körperfunktionen an. Das Problem daran: Stress ist, was unsere biologische Grundausstattung betrifft, ein Ausnahmezustand. Dauerstress hat die Natur in der Form nicht vorgesehen. Für viele ist das aber Realität.

Dass Dauerstress im Körper Entzündungsreaktionen auslösen und krank machen kann, ist in der Medizin längst bekannt. Wissenschaftler der Universitäten Ulm und Wien haben nun herausgefunden, warum Stresshormone wie das Cortisol zudem einen massiven Einfluss auf den Fettstoffwechsel haben. Sie sind dabei auf einen molekularen Mechanismus gestoßen, der die Entstehung von Übergewicht und Diabetes im Alter erklären kann.

"Wir haben dafür in den Fettzellen die Weiterleitung von bestimmten Stresssignalen blockiert und dann beobachtet, wie sich dadurch Zuckerstoffwechsel sowie Fettaufbau und Fettabbau verändern", erklärt Jan Tuckermann, der Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere an der Universität Ulm.

Entzündungsreaktionen triggern

Im Fokus stand dabei die Wirkung von Cortisol. Das Stresshormon, das zur biochemischen Klasse der Glucocorticoide gehört, spielt nicht nur eine Schlüsselrolle bei der Unterdrückung von Entzündungsreaktionen, sondern steuert zudem in Stress- und Gefahrensituationen die Mobilisierung von Energie. Dieses Hormon wirkt über einen Glucocorticoid-Rezepter (GR), der im Zytoplasma der Zellen sitzt. Wenn er aktiviert wird, dringt er in den Zellkern ein und reguliert dort die genetische Aktivität.

"Um herauszufinden, wie wichtig die Cortisolwirkung für den Stoffwechsel ist, haben wir dieses Rezeptormolekül in den Fettzellen von Mäusen gentechnisch deaktiviert und damit das Cortisol-vermittelte Stresssignal blockiert", erläutert Kerstin Hartmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin aus dem Ulmer Tuckermann-Labor. Sie hat zusammen Kristina Müller vom Ludwig Boltzmann Institut für Krebsforschung in Wien eine Studie in der Fachzeitschrift "Diabetes" veröffentlicht.

Am Wiener Boltzmann-Institut wurde untersucht, wie sich die Blockade des Stresshormonrezeptors auf den Stoffwechsel dieser Mäuse auswirkt, wenn diese auf Reduktionsdiät gesetzt sind. "Aufgrund der blockierten Stressantwort können diese Mäuse beim Fasten die Energiereserven aus den Fettzellen nicht verwerten.

Gestörter Energiehaushalt

Zum Ausgleich greift der Körper auf andere Energiequellen zurück, was zu einer fundamentalen Störung des gesamten Stoffwechsels führt", so Richard Moriggl, Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Krebsforschung, der gemeinsam mit Tuckermann das Forschungsprojekt geleitet hat.

Was dagegen passiert, wenn Mäuse mit blockiertem GR-Rezeptor einer äußerst fettreichen Diät unterzogen werden oder wenn sie einfach nur altern, haben die Ulmer Wissenschaftler analysiert. Denn wie beim Menschen steigt auch bei der Maus mit dem Alter normalerweise der Körperfettanteil. "In der Studie zeigt sich, dass die Mäuse mit blockiertem Stresssignal viel schlanker waren als die jeweilige Wildtyp-Vergleichsgruppe, und zwar sowohl die alten, als auch die besonders fettreich ernährten", berichtet Tuckermann.

Dabei waren nicht nur die Fettdepots kleiner, sondern auch die Fetteinlagerung in der Leber deutlich geringer als bei den Mäusen, deren Cortisolsignalweg in den Fettzellen ungehindert funktionierte. Und auch der Zuckerhaushalt der genetisch modifizierten Mäuse hatte sich deutlich verbessert. Die Folge: ein wesentlich niedrigeres Diabetesrisiko. "Aus diesen Ergebnissen leitet sich im Umkehrschluss ab, dass Stresshormone die Gewichtszunahme beschleunigen und Alterdiabetes begünstigen können", sagen die Forscher.

Wechselwirkungen klären

Was ist die medizinische Relevanz der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der EU geförderten Untersuchung? Altersassoziierte Erkrankungen wie Fettleibigkeit gehen mit einer ganzen Reihe an schwerwiegenden Begleiterkrankungen einher. Dazu gehören Herzkreislauferkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, aber auch Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes. "Wenn es nun gelingt herauszufinden, welche Rolle hier Stresshormone wie das Cortisol spielen, die zwischen entzündlichen und metabolischen Prozessen vermitteln, können wir möglicherweise neue Anknüpfungspunkte finden, um über die beteiligten Signalwege krankhaft veränderte Stoffwechselprozesse positiv zu beeinflussen", glaubt Tuckermann. (red/idw, 16.11.2016)

Originalpublikation:

Adipocyte Glucocorticoid Receptor Deficiency Attenuates Aging- and Hfd-Induced Obesity, and Impairs the Feeding-Fasting Transition