Von Hofer bis Brexit, von Orbán bis Petry und natürlich von Erdogan über Duterte bis zur letzten, noch immer beinahe unglaublichen Emanation namens Donald Trump – die Emotionalisierungspolitik scheint den kärglichen Rest der rational Argumentierenden längst in Geiselhaft genommen zu haben. Eine Suche nach den Gründen für die Emotionalisierung, ja Hysterie muss jedoch zuerst den glatten Gegner der schmuddeligen Hetzer unter die Lupe nehmen, der bei näherer Betrachtung nicht mehr als Kontrahent erscheint, sondern als deren Ziehvater.

Verbaler Irrwitz

Seit dem Wahlsieg rechnen europäische Medien dem neuen Präsidenten der USA vor, was er alles nicht machen können wird – eine 600 Millionen teure Mauer an der Grenze zu Mexiko hochziehen etwa oder die zehntausenden Exekutivbeamte zur Ausweisung von elf Millionen sogenannter Illegaler ein- und die dafür nötige Infrastruktur bereitstellen (Lager, Fahrzeuge, Lebensmittel zur Zwischenversorgung et cetera). Seit dem so hübsch ikonisch daherkommenden Datum 11/9 listen europäische Medien die verbalen Irrwitzigkeiten auf, deren sich Trump während seines Wahlkampfes schuldig gemacht hat und kommen nicht selten zu dem Schluss, der Typ habe schlicht einen "an der Waffel". Dem sei hier nicht widersprochen. Die Wahlerfolge solchen Irrsinns sind damit jedoch keineswegs erklärt.

Trump und die anderen genannten ultrarechten Akteure – der methodisch schimpfende Duterte ist vermutlich der dankbarste Vergleich – scheinen aus dem Blickwinkel einer auf die eigene Rationalität pochenden Politik ebenso wie der Kritik als hochgefährliche Verrückte, als hochgradig irrationale Aktionisten. Sie gewinnen Wahlen jedoch nicht trotz, sondern aufgrund dieses irrationalen Aktionismus. Fern davon, ein peripheres Charakteristikum zu sein, steht die zur Methode erhobene Grenzüberschreitung im Zentrum dieser "Politik". Wie aber sehen die Regeln aus, durch deren (scheinbare) Übertretung sich Anfang des 21. Jahrhunderts weltweit Mehrheiten sammeln lassen?

Die Ratio Tinas

Wie eng die Bande zwischen dem Rationalen und dem Emotionalen der Politik sind, zeigte sich schon an Ronald Reagan. Sein breitschultriger Schauspieler-Präsidenten-Körper bot Raum für beides. Reagan sicherte seine Wahl 1981 durch eine nur lässig verhüllte rassistische Botschaft an die weiße Bevölkerung der ehemaligen Südstaaten. Die ebenso wirtschafts- und militärfreundliche wie unsoziale Innenpolitik seiner Präsidentschaft aber war, zumindest rhetorisch, äußerst "rational". Gemeinsam mit Margret Thatcher erhob er vor allem eine extrem marktliberale Politik buchstäblich zur Ultima, ja zur einzig denkbaren Ratio. "Tina" – There Is No Alternative – wurde in dieser Zeit geboren, und sie lebt munter bis heute: Das im deutschen Politikdiskurs so häufig gebrauchte "alternativlos" wurde noch 2011 zum Unwort des Jahres 2010 gewählt und wahrscheinlich führte nur dieser Umstand zu einem leichten Rückgang seiner Verwendung. Was dieses Wort ausdrückt, blieb unwidersprochen, der noch plastischere Begriff "marktkonforme Demokratie" sprang sofort in die Bresche.

Wechsel der Worthülsen

Im Wechsel der Worthülsen bleibt die Sache dieselbe. Rational wird im politischen Diskurs gemeinhin nicht das genannt, was mit kühlem Kopf diskutiert wird, sondern das, was kein Argument mehr nötig zu haben vorgibt. Rational ist nicht das frei Gewählte, sondern das, gegen das man nicht stimmen zu können glaubt. Privatisierungen werden als alternativlos verkauft, Aufweichungen des Gesundheits- und Pensionssystems, die Rettung der Banken mit Steuergeldern ebenso, und wenn die EU bald die Grenzen ganz dichtgemacht haben wird, dann natürlich nicht mit irgendeiner Begründung im engeren Sinn, sondern mit dem Hinweis darauf, dass eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen nicht mehr möglich sei. Die Grenzen des Verkraftbaren werden dann eben überschritten sein. Das Rationale in der Politik seit den 1980ern ist etwas, das als Naturgesetz daherkommt und nicht in politischen Debatten produziert wird, sondern diese verunmöglicht. Wir trieben und wir treiben Antipolitik.

Emotionen vergiften keineswegs seit einigen Jahren einen an sich vernünftigen politischen Diskurs. Sie ersetzen vielmehr seit Jahrzehnten eine Politik, die sich selbst sehenden Auges abgeschafft hat. Wie gut die Ziehmutter namens Tina gearbeitet hat, sieht man einerseits daran, dass die Unappetitlichen von der FPÖ, der AfD, der PIS, dass Erdogan und Trump über weite Strecken dieselben "rationalen Argumente" gebrauchen wie sie: Man wird Schwierigkeiten haben, in den Wirtschaftsprogrammen der Genannten irgendetwas zu finden, das nicht dem wirtschaftsliberalen Mainstream entspricht.

Strukturell tritt auch die menschenverachtende Flüchtlings- und "Ausländerpolitik" dieser Akteure als alternativlose auf, insofern sie sich zumindest implizit (und immer deutlicher auch explizit: Während Trump bekanntlich auf Mexikaner schimpft, ist in Europa, das sollte neben dem ganzen Entsetzen über die Amerikaner nicht vergessen werden, vom "Negerkonglomerat" [Andreas Mölzer, FPÖ] bis zum "Quotenneger" [Dubravko Mandic, AfD] die Rede) als rassistische generiert und damit ebenfalls auf "Argumente" zurückgreift, die keine sind, da sie natürliche Gegebenheiten (rassische Merkmale) dort postulieren, wo kein klar denkender Mensch welche finden wird.

Rechte Vernunft

Vielleicht ist dieser Umstand der Schlüssel für den bestürzenden Erfolg der Rechten in Europa und den USA: dass die so machtvolle "Ratio", selbst wenn sie in Gestalt des Rassismus auftritt, endlich einmal auch auf "meiner" Seite steht. Einer großen, wachsenden Gruppen anzugehören und dennoch von der noch größeren Welt ausgeschlossen zu sein: Donald Trump schafft es mit dieser Geschichte noch, die weiße Mehrheit der USA davon zu überzeugen, dass sie die Ignorierten seien. Das ist buchstäblich Emopolitik, doch es ist eben auch dieselbe Emopolitik, der sich Ronald Reagan als einer der Konstrukteure von There Is No Alternative bedient hatte.

Trump = Reagan – Clinton

Dennoch: Der Präsidenten-Schauspieler-Körper Reagans, das rationale/rassistische Hybrid scheint zerbrochen. Er hat sich in Donald Trump und Hillary Clinton geteilt, in Angela Merkel und Frauke Petry, in François Hollande und Marine Le Pen, in Christian Kern und Heinz-Christian Strache. Die Politik der alten Parteien ist darauf aus, zusammenzukitten, was von jeher zusammengehört hat. Dass Sigmar Gabriel der CDU vorwirft, den rechten Rand nicht mehr zu vertreten, also das Monster "Alternative für Deutschland" geschaffen zu haben, indem man selbst nicht mehr ganz so monstermäßige Politik zu machen begann, ist zwar eine Fehlinterpretation, weist aber den Versuch, Emotion und die so gnadenlos runtergerockte Ratio wieder unter einem Parteidach zu vereinen, als für die derzeitige politische Agenda zentral aus.

An Argumentation oder Rationalität im aufklärerischen Sinne wird hier kein Gedanke verschwendet. "Tina" lebt eben mit dem, was da ist (so natürlich nur das Narrativ: Eigentlich hat sie das, was so verloren als aktuelle Realität an der Hinterkante der Geschichte herumstolpert, selbst zuallererst produziert).

Enge Schranken

Politik würde Veränderungen versuchen, jenseits eines wild gewordenen Aktionismus ebenso wie jenseits der engen Schranken, welche die allzu strenge Tina definiert. Rationale Argumente – in dem Wortsinn, der seit mindestens drei Dekaden so geflissentlich ignoriert wird – gäbe es genug. (Gottfried Schnödl, 16.11.2016)